Rosenkranzmonat: Ave Maria!
Ein Gespräch mit Pater Heinrich Mörgeli
Der Monat Oktober heißt in der Frömmigkeit des christlichen Volkes der „Rosenkranz-Monat“. Papst Leo XIII. hatte den Rosenkranz den Gläubigen nach den großen politischen und religiösen Krisen des 19. Jahrhunderts in einer Reihe von Enzykliken ans Herz gelegt und den Oktober als Zeit des gemeinsamen Rosenkranzbetens in der Pfarrei proklamiert.
Der Himmel ist diesem Bemühen vorhergegangen (Lourdes) und hat es mit seinem Siegel versehen (Fatima).
Das Mitteilungsblatt sprach mit Pater Heinrich Mörgeli, einem der großen Förderer des Rosenkranzgebetes im Schweizer Distrikt. Als Exerzitienmeister hat er vielen Konvertiten und bekehrten Katholiken die Liebe zum marianischen Psalter ins Herz gesenkt.
Mitteilungsblatt: Hochwürden, man kann die Frage nicht oft genug wiederholen: Warum hat der Rosenkranz eine solche Bedeutung? Ist er nicht nur eine „Frömmigkeitsform“, die der Beliebigkeit und dem Geschmack des einzelnen Katholiken überlassen bleiben sollte?
Pater Heinrich Mörgeli: Ich wage zu sagen, dass der Rosenkranz heute zu unserer heiligen Religion gehört wie die tradtionelle heilige Messe. Wir dürfen dieses Gebet als ein Geschenk des Himmels betrachten, das uns von Gott durch die Vermittlung Mariens gegeben wurde. Es begann mit dem Konzil von Ephesus, welches im Jahr 431 den Titel der Gottesmutterschaft Mariens bestätigt hat und den Gruß des Ave Maria mit der Anrufung „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder…“ als Gebet der Christen begründet hat.
Die Gebetsweise des Rosenkranzes mit der Betrachtung der 15 Glaubensgeheimnisse ist dem heiligen Dominikus im Jahre 1208 geoffenbart und als wirksames Mittel gegen die hartnäckigen Irrtümer der Albigenser geschenkt worden.
In den folgenden Jahrhunderten erlangte die Christenheit durch dieses Gebet herrliche Siege gegen innere und äußere Feinde der Kirche. Man denke an die Besiegung der überlegenen Flotte der Türken in der nur fünfeinhalb Stunden dauernden Seeschlacht von Lepanto am 7. Oktober 1571. Die Kirche verlieh darauf der Gottesmutter den Titel Unserer Lieben Frau vom Siege und setzte bei dieser Gelegenheit das Rosenkranzfest ein.
MB: Sie haben haben viele Jahrzehnte Exerzitien gepredigt und haben dadurch einen nicht geringen Einfluß auf das „geistliche Profil“ des Schweizer Distrikts haben dürfen. Welche Rolle spielte der Rosenkranz in der Kirchenkrise der letzten 50 Jahre?
P. Mörgeli: Tatsächlich haben sich seit den 70er Jahren viele Gläubige, die durch kirchliche Neuerungen verwirrt und durch progressistische Priester enttäuscht wurden, nach Hilfe in dieser Glaubensnot umgesehen. Wie in einer Familie, wo der Vater seine Aufgabe vernachlässigt, sich die Kinder umso mehr der Mutter zuwenden, so richteten sich auch die Gläubigen vertrauensvoll an Maria, die Mutter der Kirche und die Hilfe der Christen. Sie trafen sich an Wallfahrtsorten und erfuhren dort von Maria die Weisung, am Glauben festzuhalten, den Rosenkranz zu beten und glaubenstreue Priester zu unterstützen. Es bildeten sich verschiedene Gebetsgruppen, die sich dann später oft zu Zentren der Tradition entwickelten. An diesen Orten sind sich die Gläubigen einig, dass Maria sie vor dem Verderben gerettet hat.
Auch heute finden immer wieder suchende Menschen auf erstaunlichen Wegen zu uns, und wenn man sie fragt, was ihnen dabei geholfen hat, vernimmt man oft die Antwort: „Wir begannen, den Rosenkranz zu beten, und dann hat uns Maria geführt.“
MB: In Lourdes und Fatima spielte der Rosenkranz eine besondere Rolle. Warum?
Pater Mörgeli: Zu früheren Zeiten hieß es hauptsächlich: Rette Deine Seele! In Lourdes begann Maria auch um das Gebet für andere, für die Sünder, zu bitten. Das heißt, die Gläubigen sollten für die vielen durch die Irrtümer der neuzeitlichen Revolutionen von der Religion getrennten und der Gottlosigkeit ausgelieferten Seelen beten, auf dass Maria als Mittlerin aller Gnaden ihnen bei Gott Barmherzigkeit erlangen kann.
In Fatima wurde dieser Aufruf noch deutlicher. Die Gottesmutter setzt sogar ihr unbeflecktes Herz ein, damit wir durch dessen Heiligkeit bei Gott nicht nur alle Sünder, sondern sogar ihre Lästerer und hasserfüllten Feinde vor der ewigen Hölle retten können. Als Bedingung erbittet sie wiederum den Rosenkranz, den wir täglich beten sollen, und die Andacht zu ihrem unbefleckten Herzen. In Fatima gab sie sich bei der letzten Erscheinung am 13. Oktober 1917 als Königin des Rosenkranzes zu erkennen.
Sie stellen die Frage nach dem Warum?
Der Rosenkranz ist offensichtlich das Lieblingsgebet der Gottesmutter. Darin wiederholen wir den Gruß mit dem Lob, das die allerheiligste Dreifaltigkeit selbst durch den Engel an sie gerichtet und sie dadurch zur Würde der jungfräulichen Mutterschaft des Erlösers erwählt hat. Daher kann niemand außer Gott und Maria erfassen, welche Freude dieser Gruß im Herzen Mariens geweckt hat. Wenn wir sie deshalb ganz bewusst bei jedem Ave grüßen, erinnern wir sie an diesen gesegneten Augenblick der Menschwerdung des Sohnes Gottes.
Den zweiten Grund könnte man in der Verbundenheit dieses Gebetes mit der Betrachtung der Erlösungsgeheimnisse sehen. Die von der Gottesmutter angebotene Rettung der Seelen beruht auf dem Glauben an die ewigen Wahrheiten. Durch die Betrachtung der Geheimnisse üben wir stellvertretend für die Sünder Akte des Glaubens und können ihnen auf diese Weise die Bekehrung erlangen.
Ein dritter Grund könnte der zeitliche Umfang dieses Gebetes sein. Für den Rosenkranz nimmt man sich normalerweise eine halbe Stunde Zeit, und dies verlangt doch eine gewisse Ernsthaftigkeit oder sogar ein bedeutendes Opfer. Die Gottesmutter freut sich sicher, wenn wir ihr eine halbe Stunde lang Gesellschaft leisten.
MB: Woran erkennt man den Katholiken? Am Rosenkranz in der Tasche und der Hornhaut auf den Knien? Sollte das eine realistische Beschreibung sein?
P. Mörgeli: Das wären lediglich äußerliche Merkmale, die nicht wesentlich sind. Der Heiland sagt selbst: „Das Reich Gottes ist in euch!“ und der heilige Paulus: „Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig. “ Das entscheidende Element des Glaubens und jeder religiösen Übung ist die Innerlichkeit, weil sie geistige Wirklichkeiten sind.
Leider ist der Rosenkranz für viele Christen lediglich eine zu erfüllende Pflicht, den sie mit der vorherrschenden Absicht beten, möglichst schnell damit fertig zu werden. Man betet ihn vielleicht noch mit der löblichen Absicht, weil die Gottesmutter es wünscht.
Es ist hilfreich, die Gottesmutter beim Ave grüßen zu wollen, um sie zu erfreuen. Das griechische Wort χαῖρε weist uns in diese Richtung, denn es bedeutet „freue dich“. Auch der Name „Gnadenvolle“ ist beachtenswert. Maria ist nicht nur ähnlich einem Gefäß mit Gnaden erfüllt, sondern ihr ganzes Wesen ist von göttlicher Gnade und Vollkommenheit durchdrungen und belebt. Deshalb ist Gott mit ihr und in ihr, so viel es für ein Geschöpf möglich ist. In Maria ist Gott herrlicher gegenwärtig als in den höchsten Seraphim, sagt Ludwig Maria Grignion von Montfort.
Als vernunftbegabte Wesen sollen wir den Beweggrund für unser Gebet erwägen. Deshalb stellt die Kirche das Vaterunser mit den sieben großen Bitten unseres Herrn an den Anfang jedes Gesätzchens.
Ferner kann auch das Bewusstmachen der besonderen Gebetsmeinung das Beten intensivieren. Wenn wir z. B. an die in diesem Moment Sterbenden denken, werden wir unweigerlich zur Ernsthaftigkeit in unserem Beten angespornt.
Eine belebende Wirkung hat auch das Betrachten des ausgewählten Gesätzchens. Hier ist nicht so sehr eine lebendige Phantasie notwendig, sondern der Akt des Glaubens, durch den wir uns mittels der Gnade mit dem Geschehen verbinden. Mit der Hoffnung erbitten wir die von Jesus und Maria erlangten und im Geheimnis enthaltenen Gnadenfrüchte für unsere Heiligung. Durch die Tugend der Liebe vereinigen wir uns mit den Gesinnungen, Gedanken und Gefühlen, mit denen Maria alles mit Jesus miterlebt hat. Wir grüßen Maria unter dem Gesichtspunkt und in der Situation des betreffenden Geheimnisses, indem wir nach Belieben einmal mehr an die gesprochenen Worte oder dann wieder eher an die Bedeutung des Geschehens denken. So kann der Rosenkranz zu einer Betrachtung oder gar zur Kontemplation hinführen. Lassen wir uns dabei von der Liebe zu Jesus und Maria leiten!
Wenn wir den Rosenkranz in diesem Lichte sehen und uns bemühen, ihn in dieser Weise beten, wird er für uns kein langweiliges Gebet mehr sein.
MB: Der Rosenkranz hat ganz besondere Formen ausgeprägt. Denken wir an den „Lebendigen Rosenkranz“, den „Rosenkranz-Sühnekreuzzug“, den Familienrosenkranz, den öffentlichen Rosenkranz auf den Plätzen. Haben Sie Ratschläge für die Verbreitung des Rosenkranzes?
P. Mörgeli: Das sind sehr lobenswerte Bestrebungen, die jeweils durch eine konkrete Notsituation entstanden sind: Für den Rosenkranz-Sühnekreuzzug war es die Befreiung Österreichs von der kommunistischen Besetzung nach dem zweiten Weltkrieg. Das öffentliche Rosenkranzgebet auf den Plätzen begann man wegen der gesellschaftlichen Probleme infolge der sogenannten Pandemie vor zwei Jahren.
Ich denke, das Rosenkranzgebet sollten wir in dieser Zeit des Glaubenszerfalls vor allem als Rettungsmittel für die gefährdeten Seelen und für eine echte und tiefgreifende Erneuerung der Kirche neu entdecken.
Der erstaunliche Eifer in der Tradition gegen Ende des 20. Jahrhunderts, welcher für die Erneuerung den Weg geebnet hat, soll gerade in unsere dramatischen Zeit wieder erweckt werden!
Der Geisteskampf ist heute offensichtlich heftiger geworden. Der vom heiligen Grignion vorausgesagte Endkampf Satans gegen die Frau der Apokalypse ist offensichtlich im Gange. Die Androhungen von Fatima scheinen sich zu erfüllen: „Wenn man aber nicht aufhört, Gott zu beleidigen, … wird die Welt für ihre Verbrechen durch Krieg, Hungersnot, Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters gestraft werden. … Um das zu verhindern, werde ich kommen, um die Weihe Russlands an mein Unbeflecktes Herz und die Sühnekommunion an den ersten Sams¬tagen zu erbitten. Wenn man auf meine Wünsche hört, wird Russ¬land sich bekehren, und es wird Friede sein. Wenn nicht, dann wird es seine Irrlehren über die Welt verbreiten, die Kriege und Ver¬folgungen der Kirche heraufbeschwören werden. Die Guten werden gemartert werden und der Heilige Vater wird viel zu leiden haben; verschiedene Nationen werden vernichtet werden.»
Ich denke, wir sind bald hier angelangt. Deshalb wäre mein dringendster Wunsch, dass sich großherzige Seelen dem unbefleckten Herzen Mariens weihen, sich an der Hand Mariens in Jesus durch das eifrige Rosenkranzgebet erneuern und durch die Nachahmung der Tugenden Mariens zur Heiligkeit hinbewegen. Ihr Beispiel wird gewiss auch in ihrer Umgebung und in ihren Familien Früchte tragen.
Glauben wir fest an die Verheißung Mariens, die Schwester Lucia im Jahre 1957 Pater Fuentes mitgeteilt hatte: „In diesen letzten Zeiten, in denen wir leben, hat die allerseligste Jungfrau dem Rosenkranzgebet eine neue Wirksamkeit verliehen, die es früher nicht hatte.“ – Diese Verheißung gilt es zu erproben!
Die tröstliche Verheißung Mariens: „Am Ende aber wird mein Unbe¬flecktes Herz wird triumphieren“ soll uns im Eifer ermutigen. Der Sieg der Jungfrau über die Schlange wird sicher eintreffen. Aber das Ausmaß des Triumphes wird von unserer Mitwirkung abhängen. Entsprechend unserer Ernsthaftigkeit, mit der wir dem Aufruf Mariens durch unser Gebet und unserer Heiligung werden mehr oder weniger Seelen gerettet oder der ewigen Verdammnis anheimfallen!
Diese von Papst Pius XII. als „schauererregendes Geheimnis“ bezeichnete Tatsache sollten wir uns öfters ins Bewusstsein rufen!
MB: Welche Rosenkranzheilige würden Sie gerne den Gläubigen besonders empfehlen?
P. Mörgeli: Allen voran würde ich den heiligen Ludwig Mari Grignion empfehlen, diese Feuerseele, die uns im Goldenen Buch die Bedeutung Mariens im Heilsplan der Erlösung in genialer Weise dargelegt hat. Die Reichtümer des Rosenkranzgebetes erklärt dieser Heilige im Buch Der heilige Rosenkranz. Der französische Titel lautet: Le secret admirable du très saint Rosaire.
Pater Maximilian Kolbe lehrt uns seinerseits, den Rosekranz als wirksamste geistliche Waffe gegen Satan und für den Aufbau des Reiches Jesu Christi in die Hand zu nehmen.
Empfehlen wir das Vorbild dieser großen Heiligen besonders unseren Priestern zur Nachahmung, denn die Priester sind berufen, als gute Hirten unseren lieben Gläubigen voranzugehen.
MB: Vergelt’s Gott für das Gespräch.