Dantes Göttliche Komödie: 2. Die Hölle

Quelle: Distrikt Deutschland

Dante beginnt seine fiktive Jenseitsreise „in der Mitte unserer Lebensbahn“, d. h. nach Ps 89 („Die Zeit unseres Lebens währt siebzig Jahre“) im Alter von 35 Jahren. Da Dante 1265 n. Chr. geboren wurde, handelt es sich um das Jahr 1300. Am Karfreitag, dem 8. April, hat er sich in der Nacht in einem finsteren Wald verirrt, aus dem er am Morgen herausfindet Als er einen Hügel besteigen will, wird er daran von drei wilden Tieren gehindert und zurückgedrängt. Da begegnet ihm die Gestalt eines alten Mannes, den er um Erbarmen anfleht, wer er auch sei, „ob Schatten oder wirklicher Mensch“. Es ist der Geist des altrömischen Dichters Vergil (70-19 v. Chr.), der Dante erklärt, die selige Beatrice sei zu ihm in den ersten Höllenkreis gekommen, um ihn im Auftrag der Muttergottes zu bitten, Dante durch die Hölle und den Läuterungsort zu führen. Durch den Himmel werde sie ihn dann selbst führen.

Die Figur der Beatrice spielt eine große Rolle in der Komödie. Wahrscheinlich entspricht sie einer historischen Gestalt, nämlich der Bice Portinari, einer jungen Florentinerin, von deren engelgleicher Gestalt Dante in seiner Jungend tief beeindruckt gewesen war. Er soll auch bei ihrer Hochzeit anwesend gewesen sein. Nach ihrem frühen Tod am 8. Juni 1290 mit 24 Jahren verklärte sie Dante zu einer weiblichen Idealgestalt.

Die Führerrolle Vergils erklärt sich wahrscheinlich dadurch, dass dieser Dichter Dantes Vorbild für das Lateinische war und er in seiner Aeneis selbst die Unterweltreise des Aeneas beschrieben hat. Er tritt in der Komödie als Vertreter der natürlichen Vernunft auf.

Der Eingang zur Hölle

Über dem Höllentor stehen die Worte geschrieben:

Durch mich geht es in die Stadt des Leidens,

durch mich geht es in das ewige Leid,

durch mich geht es unter die verlorenen Scharen.

Gerechtigkeit bewog meinen hohen Schöpfer;

mich schuf die göttliche Allmacht,

die höchste Weisheit und die erste Liebe.

Vor mir gab es keine geschaffenen Dinge,

nur ewige, auch ich verbleibe ewig.

Gebt alle Hoffnung auf, ihr, die ihr eintretet.[1]

Dies sind die bekanntesten und meistzitierten Worte der gesamten Commedia. Besonders im letzten Vers hat Dante den eigentlichen Schrecken der Hölle zum Ausdruck gebracht: In der Hölle gibt es keine Hoffnung! Gäbe es hier irgendeine Hoffnung auf ein Ende der Leiden – und sei es durch eine völlige Vernichtung –, wäre die Hölle nicht die Hölle.

Als sie das Tor durchschritten haben, sehen sie Seelen, die unter Weinen und lautem Geheul einer Fahne nachlaufen. Es sind die „Jammerseelen“, „die ein Leben ohne Schande und ohne Ruhm führten“ (V. 36) und denen nur Verachtung geziemt. Das ist eine Erfindung Dantes, für die es in der Tradition kein Vorbild gibt. Man kann in ihnen aber vielleicht eine Illustration des dritten Knechts sehen, der sein Talent vergrub (vgl. Mt 25, 24 ff.). Es genügt nicht, nicht zu sündigen, sondern man muss auch Gutes tun.

Dante erkennt unter diesen Seelen „den Schatten des Mannes, der aus Feigheit den großen Verzicht beging“ (V. 60). Wahrscheinlich ist damit Coelestin V. gemeint, der als Papst freiwillig zurücktrat und damit den Weg für den von Dante besonders verabscheuten Bonifatius VIII. freimachte. Falls diese Zuordnung stimmt, entspricht sie nicht dem Urteil der Kirche, die Coelestin als Heiligen verehrt.

Anschließend gelangen Dante und Vergil an den Acheron, den Totenfluss, den alle Verdammten überqueren müssen, wobei sie vom Höllenfährmann Charon übergesetzt werden. Von den Verdammten heißt es:

Sie verfluchten Gott und ihre Eltern, das menschliche

Geschlecht und den Ort und die Zeit

und den Samen ihrer Zeugung und ihrer Geburt.

Dann sammelten sie sich alle miteinander

unter heftigem Weinen an dem schlimmen Ufer,

das auf jeden harrt, der Gott nicht fürchtet.[2]

Der Limbus

Im ersten Höllenkreis gibt es kein lautes Klagen, sondern nur ein Seufzen. Hier waren die Gerechten des Alten Bundes, bevor Christus die Erlösung bewirkt hatte. Diese hat er bei seiner Höllenfahrt befreit. Nun sind hier noch alle, die nicht durch die Taufe oder den Glauben mit der Erlösung in Verbindung treten konnten, also nicht nur die ungetauft gestorbenen Kinder, sondern auch edle Heiden. Diese wohnen in einer stolzen Burg an einem schönen Ort, und hier ist der eigentliche Aufenthaltsort Vergils, aber auch anderer edler Dichter, Staatsmänner und Philosophen wie Cicero, Seneca, Sokrates, Aristoteles, Platon usw.

Diese Darstellung Dantes entspricht nicht der Lehre der Kirche und entspringt wohl eher künstlerischer Freiheit, denn der Limbus ist nur für die unerlöst sterbenden Kinder. Für diejenigen, die zum Vernunftgebrauch gelangt sind, gibt es nur den Himmel oder die eigentliche Hölle, denn Gott bietet jedem Menschen genügend Gnade an, damit er sich ihm zuwenden und seine Seele retten kann.

Der zweite bis fünfte Höllenkreis

Am Eingang des zweiten Höllenkreises steht Minos, der sagenhafte König Kretas, und zeigt den Verdammten den Kreis an, für den sie bestimmt sind, indem er seinen langen Schwanz entsprechend oft um seinen Leib wickelt. Je schwerer ihre Sünden waren, desto tiefer ist der Platz, der den Verdammten angewiesen wird.

Die ersten Höllenkreise sind der Bestrafung derjenigen Sünden gewidmet, die nicht so sehr aus eigentlicher Bosheit, sondern aus unbezähmter Leidenschaft begangen wurden: Die Unkeuschen werden wie Blätter von einem höllischen Sturm durch die Luft gewirbelt, die Schlemmer liegen auf stinkender Erde und werden von einem kalten Regen getroffen, Verschwender und Geizhälse müssen schwere Lasten wälzen, die Zornigen und Missmutigen schließlich stecken in einem sumpfigen Graben, der von einer kochenden Quelle gespeist wird.

Dante nennt die Verdammten meist „Schatten“. Die Frage drängt sich auf, wie sie die beschriebenen Leiden erdulden können, da sie doch keinen Leib haben. Im 3. Gesang des Läuterungsbergs versucht Vergil dafür eine Erklärung zu geben: Die göttliche Allmacht stelle den Seelen im Jenseits „ähnliche Körper“ zur Verfügung, „um Qualen, Hitze und Frost zu erdulden“. Im 25. Gesang heißt es dann, die Seele bilde sich aufgrund ihrer Gestaltungskraft aus der umgebenden Luft eine neue Erscheinungsform. Die Seele schaffe sich also gewissermaßen einen Schattenleib, in dem sie bis zum Jüngsten Gericht bleibt. Dies ist Dantes eigene Theorie, die natürlich eher poetisch als theologisch ist, denn für die Darstellung der jenseitigen Welt braucht Dante den Schattenleib.

Die innere Höllenstadt

Die folgenden Höllenkreise gehören zur inneren Höllenstadt, in der die eigentlichen Bosheits-Sünden gestraft werden. Sie wird Dis genannt – ein Name, der sich vom griechischen Zeus herleitet, hier aber für Luzifer steht. Bei der Überfahrt über den sumpfigen Graben begegnen sie einem Florentiner, der in der Überlieferung der Stadt als Inbegriff des Hochmuts, des Jähzorns und der Anmaßung galt. Für den Hochmut gibt es in Dantes Hölle keinen eigenen Strafort, vielleicht, weil der Stolz alle Verdammten beseelte. Dieser Stolz hat sie davon abgehalten, ihre Sünden zu bereuen und um Verzeihung zu bitten. Vergil kommentiert: „Wie viele gelten dort oben jetzt als große Könige, die hier wie Säue im Kot stecken werden!“[3]

Im sechsten Höllenkreis, der sich hinter der Mauer der Stadt Dis befindet, liegen die Ketzer in glühenden Sarkophagen, deren Deckel noch offen sind. Wenn die Schatten nach dem Endgericht ihren Leib wiedererhalten, werden die Steingräber geschlossen werden.

Im siebten Höllenkreis werden Gewalttätige gestraft. Er hat drei Ringe: Im ersten sind die Gewalttätigen gegen andere, also Mörder und Tyrannen, in einem kochenden Blutstrom. Im zweiten Ring sind die Gewalttätigen gegen sich selbst, d. h. die Selbstmörder. Sie haben nun eine Existenz als Bäume oder Sträucher, und wenn die Harpyien, die es dort gibt, von ihren Blättern fressen, leiden sie Schmerzen. Im dritten Kreis leiden Gewalttätige gegen Gott oder die Natur, d. h. Gotteslästerer, Sodomiten und Wucherer, unter einem Feuerregen, der unaufhörlich auf sie niedergeht.

Der achte Höllenkreis ist für diejenigen bestimmt, die Dante in irgendeiner Weise als Betrüger betrachtet. Er hat acht Gräben, die in konzentrischen Kreisen angeordnet sind. Hier sind z. B. im dritten Graben die Simonisten, also solche, die die hl. Weihen für Geld verkauften oder kauften. Dante geißelt hier aber vor allem Päpste, die sich nicht als geistliche Hirten aufführten, sondern Nepotismus betrieben, ihre Familie bereicherten und ihre weltliche Macht ausdehnen wollten. Sie stecken kopfvoran in Löchern im Boden, so dass man nur ihre zappelnden Beine und brennenden Fußsohlen sieht. Dante spricht hier mit Nikolaus III. (1277–1280), mit dem die Unsitte des Nepotismus begann, d. h. die Praxis, die eigenen Neffen in den Kardinalsrang zu befördern. Hier sollen auch Bonifatius VIII. (1294–1303) und Clemens V. (1305–1314) ihren Platz erhalten.

Im neunten Graben befinden sich die Zwietrachtstifter, und hier sieht Dante unter anderen Mohammed mit aufgeschlitztem Bauch. Er wird folglich nicht so sehr als Irrlehrer gesehen, sondern als derjenige, der die Welt in zwei feindliche Lager (Christen und Mohammedaner) spaltete.

Im neunten Höllenkreis schließlich sind die Verräter, und zwar die Verräter an den Verwandten (wie der Brudermörder Kain), am Vaterland, an Freunden und an Wohltätern (wie Judas Iskariot). Dieser tiefste Höllenkreis ist ein Eissee, in dem die Verdammten eingefroren sind – ein Symbol für die Eiseskälte ihrer Herzen. Nur die Köpfe ragen aus dem Eis heraus, so dass sie weinen und mit den Zähnen klappern können.

Hier ist auch der Aufenthaltsort Luzifers, der in riesiger Gestalt von der Brust an aus dem Eis ragt. Er hat drei Gesichter – eine Nachäffung der Trinität – und in seinen drei Mäulern stecken die Cäsar-Mörder Brutus und Cassius sowie Judas Iskariot, die hier ewig zermalmt werden. Sie repräsentieren den Verrat an den Grundprinzipien der Gesellschaft, der weltlichen und der geistlichen Gewalt.

Der Wiederaufstieg

Der Weg aus der Hölle führt Dante und seinen Führer Vergil durch einen Spalt zwischen dem behaarten Körper Luzifers und dem vereisten Gestein, in dem er steckt. Durch den Gang, den Luzifer bei seinem Höllensturz grub, gelangen sie an den Fuß des Läuterungsbergs, der bei Dante das einzige feste Land auf der Südhalbkugel der Erde ist. In der Fiktion ist nun der Morgen des Ostersonntags, womit Dantes Reise in Parallele zum Abstieg Christi in die Unterwelt gesetzt wird, die ebenfalls vom Abend des Karfreitags bis zum Ostermorgen währte.

Anmerkungen

[1] Die Hölle, 3. Gesang, Vers 1-9. Zitiert nach der Übersetzung von Walter Naumann, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003.

[2] 3. Gesang, Vers 103-108.

[3] 8. Gesang, Vers 49 f.