„Bleiben wir realistisch“. Ein Interview mit Pater Regens Pascal Schreiber

Quelle: Distrikt Deutschland

Hochwürdiger Herr Pater Schreiber, im aktuellen Studienjahr verzeichnen Sie in Zaitzkofen mehr Eintritte als je zuvor, das Seminar platzt aus allen Nähten. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?  

Als erste Erklärung sehe ich einen Zusammenhang mit dem Gebetskreuzzug, zu dem unser Generaloberer für die Zeit vom 21. November 2020 bis zum 1. April 2021 (für die uneingeschränkte Zelebration der hl. Messe und für Berufungen) aufgerufen hat. Die hohen Eintrittszahlen in allen Seminaren sind die offensichtlichen Früchte dieses Gebetssturmes.

Des Weiteren gibt es in vielen Prioraten und Kapellen seit Jahren das Gebet der Mütter um Berufungen, auch wurde in den Distrikten und anlässlich von Wallfahrten in diesem Anliegen gebetet und geopfert. Ich denke da an die Fastenaktion 2022 im Schweizer Distrikt oder an das Bearbeiten des Themas in der deutschen KJB.

Im Seminar Zaitzkofen selbst halten wir schon seit vielen Jahren einmal pro Monat an einem Sonntagnachmittag eine freiwillige Fußwallfahrt um Berufungen ab, an der sehr viele Seminaristen, Brüder und Oblatinnen teilnehmen. Zusätzlich bildeten die Seminaristen verschiedene Gruppen, um für Berufungen aus ihrem eigenen Herkunftsland zu beten. So halten die deutschen Seminaristen beispielsweise eine immerwährende Novene zu Ehren der hl. Theresia vom Kinde Jesu, die Polen singen im gleichen Anliegen jeden Sonntag ein marianisches Offizium.

Nicht vergessen sollte man die Corona-Krise, die viele Fragen aufgeworfen und die Menschen wachgerüttelt hat. Während sich die einen vermehrt die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Wichtigkeit des ewigen Heils stellten, wurden andere in der Corona-Zeit zum ersten Mal auf die Tradition und die Bruderschaft aufmerksam.

Schließlich dürfte auch der „Franziskus-Effekt“ eine Rolle spielen. Zahlreiche Katholiken haben erst unter dem jetzigen Papst verstanden, dass wir eine beispiellose und tiefgreifende Kirchenkrise durchleben.

Wir leben in einer Zeit und in einer Gesellschaft, die rein auf das Irdische ausgerichtet ist. Die Wahrheit wird bewusst verdunkelt und die Sittenlosigkeit nimmt täglich zu. Wenn jede Berufung schon eine besondere Gnade bedeutet, dann umso mehr in der heutigen Zeit. Unter den Kandidaten in unserem Priesterseminar befinden sich einige, die in ihrer Familie die einzigen sind, die als traditionsverbundene Katholiken praktizieren. Irgendjemand von den Gläubigen hat für diese Kandidaten gebetet und geopfert, sonst befänden sie sich heute nicht auf dem Weg zum Priestertum!

Ist das schon eine länger anhaltende Tendenz, dass die Zahl junger Männer steigt, die bei Ihnen ins Seminar eintreten wollen?  

Nein, diese Tendenz gibt es erst seit zwei, drei Jahren, wir hoffen aber, dass sie weiterhin anhält. Erlauben Sie mir, einen Blick in die einzelnen Distrikte zu werfen: Deutschland hat aktuell elf Kandidaten im Priesterseminar, eine schöne Zahl, auch wenn sie in den 1980er und 1990er Jahren schon höher war. Vom österreichischen Distrikt gibt es einen einzigen mit deutscher Muttersprache, aber die Länder, die zum Distrikt gehören, stellen zusammen immerhin sieben Kandidaten. Die Schweiz ist zurzeit eher schwach vertreten mit zwei Seminaristen und zwei Kandidaten im Brüdernoviziat, wobei man nicht vergessen darf, dass sich einige Eidgenossen in Flavigny und Ecône befinden. Wenn man bedenkt, dass auf Schweizer Boden 550 Kinder in Schulen der Bruderschaft (bei 4‘000 Messbesuchern am Sonntag!) eine katholische Erziehung genießen, dann kann man sich nur schwer vorstellen, dass der Berufungsstrom aus diesem Land versiegen sollte. Der Distrikt Benelux wird in diesem Sommer zum vierten Mal in Folge einen soliden Kandidaten nach Zaitzkofen schicken; es handelt sich um einen Distrikt mit nur 13 Priestern, der gleichzeitig auch Flavigny "beliefert", da normalerweise nur die Niederländisch- und Flämischsprechenden in Zaitzkofen eintreten. Schließlich haben wir zurzeit sehr viele polnische Seminaristen, das dortige Apostolat der Bruderschaft nimmt stark zu und blüht richtig auf. Es handelt sich um eine Bevölkerung, bei der noch viel Glaubenssubstanz und persönliche Frömmigkeit erhalten geblieben ist. Ich möchte die aktuelle Situation in Polen mit der kirchlichen Situation vergleichen, die wir in den 1970er Jahren bei uns noch kannten: Die äußeren Strukturen sind intakt, die Kirchen voll, aber es gibt schon erste Anzeichen, dass in der Kirche und Gesellschaft, die dem Westen zugewandt ist, der christliche Geist in den nächsten Jahrzehnten verloren geht, falls nicht eine große Wende kommt.

Bemerkenswert ist folgende Tatsache: Von den aktuell 20 Seminaristen des Spiritualitätsjahres haben zu Beginn ihres 20. Lebensjahres nur fünf (!) bei der Bruderschaft praktiziert. Alle anderen sind später dazugestoßen. Das ist einerseits sehr erfreulich, andererseits dürfen wir uns von den absoluten Zahlen nicht blenden lassen. In unseren Prioraten, Familien, Jugendgruppen usw. sollten wir vermehrt unser Augenmerk auf Eigenschaften wie Großherzigkeit, Eifer und Hingabe richten.

 

Wann würden Sie denn einem jungen Mann dazu raten, eine Berufung zu prüfen?   

 

Grundsätzlich rate ich jedem jungen Mann, sich die Frage zu stellen, ob er zum Priester oder Ordensbruder berufen ist. Solange diese Frage nicht geklärt ist, ist es verfrüht, eine Beziehung zu einem Mädchen zu beginnen. Wenn der junge Mann sowohl die natürlichen und übernatürlichen Voraussetzungen mitbringt, wie auch eine gewisse Neigung zum geistlichen Stand verspürt, dann lege ich ihm drei Dinge ans Herz:

a) Er soll ein intensives geistliches Leben führen: häufiger Messbesuch, regelmäßiger Sakramentenempfang, tägliche Betrachtung, Rosenkranz, Gewissenserforschung und die Lektüre von geistlichen Schriftstellern.

b) Der junge Mann soll in engem Kontakt mit einem Priester bleiben, mit dem er sein geistliches Leben bespricht und der ihn auf den Seminareintritt vorbereitet.

c) Der Besuch eines Exerzitienkurses ist sehr hilfreich. Während dieser Woche hat man Zeit, um sich in der Stille und im Gebet mit Gott, dem Ziel des Menschen und den wesentlichen Dingen des Lebens zu beschäftigen. Häufig stellt sich in diesen Tagen die Frage nach der Berufung noch klarer heraus.

Wird der Gedanke an das Seminar konkreter, soll er für einige Tage zu Besuch kommen.

 

Angenommen, der erfreuliche Trend mit Neueintritten hält an: Wie gut sind Sie darauf vorbereitet?  

Personell sind wir gut darauf vorbereitet, aber wir haben leider ein Problem mit den Räumlichkeiten, die uns Grenzen setzen, so dass wir maximal 55 Seminaristen beherbergen können: In der Kapelle sitzen die Seminaristen aktuell zu sechst in einer Bank, die Hörsäle sind ausgefüllt, der Speisesaal ist bis auf den letzten Tisch besetzt, die Küche ist von der Infrastruktur her ausgelastet. Wir können nicht unbegrenzt Kandidaten aufnehmen.

Bleiben wir realistisch: Im letzten Herbst hatten wir eine außergewöhnlich hohe Eintrittszahl, das wird nicht immer so bleiben. Zwölf Eintritte pro Jahr scheint mir für die nächsten Jahre realistisch zu sein. 

 

Nun hört man, dass aus Platzgründen nicht mehr jeder Seminarist ein eigenes Zimmer bewohnen kann. Wie sind Ihre Pläne, um dem zu begegnen?  

 

Es gab schon weit vorangeschrittene Pläne unter meinem Vorgänger, Herrn Pater Franz Schmidberger, einen Anbau zu bewerkstelligen, doch verschiedene Gründe hatten das Projekt ins Stocken gebracht. Da der Platzmangel nun doch evident geworden ist, war die Frage nicht mehr ob, sondern wie und wo gebaut werden soll. Inzwischen sind die Würfel gefallen: Wir bauen unterhalb des Wohnhauses „Albertinum“ ein weiteres Wohnhaus mit 19 Seminaristen- und drei Priesterzimmern.

Warum ist die Entscheidung auf einen Neubau gefallen? Hätte es keine anderen Lösungen gegeben?  

 

Selbstverständlich hätte es andere Lösungen gegeben, die wir auch geprüft haben, z. B. der Ausbau des Dachgeschosses im Schloss oder die Aufstockung des Wohnhauses „Albertinum“ um ein Stockwerk.

Im Dachgeschoss des Schlosses hätten wir nur sieben Zimmer dazugewonnen, verbunden mit einem schlechten Preis-Leistungs-Verhältnis und kostenintensiven Auflagen des Denkmalschutzes. Die Aufstockung des Albertinums und auch ein möglicher Anbau an dieses Wohnhaus scheiterten daran, dass wir aus statischen Gründen bis zu 1 Mio. Euro in eine Fundamentertüchtigung hätten investieren müssen. So hat sich der Neubau als einzig gangbarer Weg herauskristallisiert.

22 neue Zimmer klingt nach sehr viel, diese Zahl muss aber relativiert werden: Da der jetzige Hörsaal aus den Nähten platzt, müssen wir einen größeren Hörsaal im Schloss einrichten, dadurch gehen sechs Schlafzimmer verloren. Des Weiteren haben wir im Schloss einige Seminaristenzimmer, die sehr renovierungsbedürftig sind. Als das Seminar 1978 seine Türen öffnete, wurden die Zimmer nur notdürftig mit 8 Millimeter (!) dicken Wänden abgeteilt, die natürlich sehr hellhörig sind (ein Seminarist wies darauf hin, dass er sogar hört, wenn sich der Nachbar seine Schuhe zubindet).

 

Die Ausbildung von nach Heiligkeit strebenden Priestern ist das Hauptziel der Priesterbruderschaft St. Pius X., aber eigentlich wäre es die Kernaufgabe der Bischöfe. Heute ist man offen für jeden, nur nicht gegenüber den Traditionstreuen. Warum? 

Die Bischöfe im deutschsprachigen Raum sprechen nicht die gleiche Sprache wie die traditionstreuen Katholiken. Uns geläufige Begriffe wie Seelenheil, Wahrheit, Glaube, Bekehrung, Mission, Christkönigtum usw. kommen kaum über deren Lippen. Sie scheinen hauptsächlich damit beschäftigt zu sein, die äußere Struktur eines untergehenden Schiffes zu retten und eine zunehmend priesterlose Kirche zu organisieren. Darum hört man sie wenig bis nie von der besonderen Schönheit und der heilsgeschichtlichen Wichtigkeit des Priestertums sprechen.

Unser verehrter Gründer, Msgr. Marcel Lefebvre, hingegen sah seine erste Aufgabe als Bischof darin, Priester heranzubilden. Es gehört zu den außergewöhnlichen Gnaden der heutigen Zeit, diesem Werk und der Tradition der katholischen Kirche anzugehören. Die Tradition befindet sich im Aufwind und diese Entwicklung ist – Gott sei Dank – nicht mehr aufzuhalten.