Was man heute katholische Theologiestudenten lehrt
Die Dogmatik an der Universität Regensburg
Pater Mattias Gaudron
Seit einigen Jahren trifft mit schöner Regelmäßigkeit einige Zeit vor den Priesterweihen in Zaitzkofen ein Brief des Regensburger Bischofs ein, in welchem er ein Verbot dieser Weihen ausspricht. Der Priesterbruderschaft St. Pius X. ist natürlich bewusst, dass ein Bischof an sich nicht in der Diözese eines anderen Bischofs ohne dessen Erlaubnis Priester weihen darf. Die Priesterbruderschaft argumentiert hier mit dem kirchlichen Notstand.
Nun gehört Bischof Rudolf Voderholzer sicherlich zu den besseren der deutschen Bischöfe und hat schon öfters zu Recht manchen extrem-modernistischen Forderungen widersprochen. Herrscht also in seiner Diözese vielleicht kein Notstand? Kann man in Regensburg z. B. ohne Bedenken katholische Theologie studieren?
Die katholische Dogmatik wird an der Universität Regensburg von Prof. Erwin Dirscherl und seinem Assistenten Dr. Markus Weißer unterrichtet. Beide haben gemeinsam ein Buch mit dem Titel: Dogmatik für das Lehramt. 12 Kernfragen des Glaubens[1] herausgegeben, das wir uns angeschaut haben.[2]
Dogmen sind überholbar
Prof. Dirscherl betont zunächst mit einer gewissen Berechtigung die Vieldeutigkeit der Hl. Schrift, die immer wieder neu ausgelegt werden muss, und wendet dies dann auf die Dokumente des kirchlichen Lehramts an: Auch die Dogmen sind nicht per se eindeutig, denn „das kirchliche Lehramt steht nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm“ (S. 27). Das ist ein Sophismus, der arglose Geister in die Irre führen soll. Natürlich steht das Lehramt nicht über dem Wort Gottes, aber gerade weil die Hl. Schrift nicht immer eindeutig ist, hat das Lehramt den Beistand des Heiligen Geistes, um die Hl. Schrift richtig auszulegen. So hat es das 1. Vatikanische Konzil gelehrt:
Die Lehre des Glaubens, die Gott geoffenbart hat, wurde … als göttliche Hinterlassenschaft der Braut Christi anvertraut, damit sie treu gehütet und unfehlbar erklärt werde. Daher ist auch immerdar derjenige Sinn der heiligen Glaubenssätze beizubehalten, den die heilige Mutter Kirche einmal erklärt hat, und niemals von diesem Sinn unter dem Anschein und Namen einer höheren Einsicht abzuweichen.[3]
Nach Dirscherl müssen nun aber sämtliche Aussagen des Lehramts, auch die Dogmen „in der Gemeinschaft der Kirche immer wieder neu gedeutet und rezipiert werden“ (ebd.). Eine Tradition, die sich der Offenheit neuer Deutungen verschließt, sei geradezu ein Verrat am Wort Gottes! Genau so hat der hl. Pius X. den Modernismus beschrieben. Für diesen sind selbst die Dogmen nur zeitbezogene Ausdrucksformen des Glaubens, die zu anderen Zeiten neu formuliert und interpretiert werden können.
Sogar der hl. Thomas v. Aquin weise „zwingende Gottesbeweise“ zurück, behauptet der Regensburger Professor (S. 28). Wo Thomas das tut, gibt er nicht an – kann er auch nicht, denn Thomas lehrt ja ausdrücklich das Gegenteil, dass man nämlich die Existenz Gottes beweisen kann (z. B. Summa Theologiae Pars I, q.2, a.2). Richtig ist, dass die eigentlichen Offenbarungsinhalte (Dreifaltigkeit Gottes, Menschwerdung usw.) nicht beweisbar sind, denn sonst wäre der Glaube nicht mehr Glaube, sondern Wissen. Daraus folgt aber nicht, dass der Glaube uneindeutig wäre. Wenn Christus über das Brot beim letzten Abendmahl sagt, es sei sein Leib, und die Kirche das immer im Sinn einer wirklichen Verwandlung des Brotes verstanden und alle symbolischen Erklärungen zurückgewiesen hat, dann ist derjenige, der heute eine bloß symbolische Deutung annimmt, vom katholischen Glauben abgefallen.
Diese Einleitung zeigt schon, wie die folgenden Kapitel des Buches zu nehmen sind. Auch da, wo die frühere kirchliche Lehre zu einem Punkt des Glaubens richtig dargelegt wird, soll man sich vor Augen halten, dass es sich dabei nicht um endgültig bindenden Entscheidungen handelt, sondern nur um das damalige Verständnis des Wortes Gottes. Heute dürfen wir also für neue Deutungen offen sein. Es gibt für Dirscherl offenbar kein festes und unveränderliches christliches Bekenntnis!
Trinität und Christologie
In der Trinitätslehre wird der traditionellen Lehre „ein Klassiker des 20. Jahrhunderts: Karl Rahner“ (S. 74) mit seiner Theorie von der immanenten und ökonomischen Trinität gegenübergestellt. Rahner ist für beide Autoren eine anerkannte Größe, was immer wieder durchscheint. Die heilsökonomische Trinität ist für diesen:
Der ursprungslose Gott, der sich in zwei verschiedenen Gegebenheitsweisen selber mitteilt … In dieser heilsökonomischen Trinität heißt der ursprungslos und souverän bleibende Gott Vater, in seiner Selbstmitteilung in die Geschichte Logos, in seiner Selbstmitteilung an die Transzendentalität des Menschen Heiliger Geist.[4]
Das entspricht der schon im Altertum verurteilten Irrlehre des Modalismus: Es gibt in Gott nicht drei Personen, sondern nur drei Weisen, wie er sich offenbart. Rahner versucht dann zwar, den Modalismus zu umgehen, indem er sagt, die beiden Mitteilungsweisen Gottes seien von Ewigkeit her schon als aktuelle Möglichkeiten in Gott und könnten Subsistenzweisen genannt werden, aber das hat mit der katholischen Trinitätslehre wenig zu tun. Immerhin scheinen Rahner am Ende seines Lebens selbst Bedenken über seine Trinitätslehre gekommen zu sein: „Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob das, was ich über die Trinität geschrieben habe, richtig gewesen ist (mit dem Dogma übereinstimmt). … Ich denke heute, dass meine Trinitätslehre zu Bedenken Anlass gibt.“[5] Das scheint Prof. Dirscherl aber nicht bekannt zu sein.
In der Christologie wird – wieder ganz im Sinn von Karl Rahner – die traditionelle Theologie von Markus Weißer als Deszendenz-Christologie bezeichnet, d. h. als Abstiegs-Christologie: Gott ist Mensch geworden. Dem wird nun eine Aszendenz-Christologie, also eine Aufstiegs-Christologie gegenübergestellt, die vom Menschen Jesus von Nazareth ausgeht und fragt, wie uns „in diesem Menschen Gott selbst begegnen kann“ (S. 159). Mit der Rede von der Geburt Jesu aus einer Jungfrau werde „keine biologische Aussage intendiert“. Vielmehr gehe es „um eine kreative und unerwartete ‚Neuschöpfung‘, einen Neuanfang durch das Handeln Gottes und die freie Zustimmung und Mitwirkung der Mutter Jesu“ (S. 157).[6] Jesus wurde also offenbar ganz normal von Josef gezeugt. Aber Gott hat sich in diesem Jesus von Nazareth unwiderruflich der Welt zugesagt. „Gott bindet sich und sein Wort an das Schicksal dieses Menschen, identifiziert sich mit ihm und spricht durch ihn alle Menschen an. So kommt die machtvolle Herrschaft Gottes in dieser Welt zum Durchbruch“ (S. 179). Dass Jesus der Sohn Gottes ist, bedeutet also nur, dass Gott sich in ihm und durch ihn endgültig geoffenbart und zugesagt hat.
Kirche und Sakramente
Die sieben Sakramente wurden gemäß Weißer, der hier wieder Karl Rahner folgt, von Christus höchstens in dem Sinn eingesetzt, dass die Kirche als Grundsakrament in ihm gründe (S. 212). Höchstens die Eucharistie und vielleicht die Taufe gehen direkt auf Jesus zurück. Im Übrigen hat Jesus „in keinem expliziten Akt eine Kirche gegründet. Dennoch gründet diese Kirche in ihm“ (S. 245). Das Wort Jesu von der Gründung seiner Kirche auf Petrus in Mt 16,18 f. sei „exegetisch umstritten“ und gelte „als nachösterlicher Reflex der jungen Gemeinde“ (ebd.).
Die Sakramente haben die Aufgabe, uns das Heil bewusst zu machen: „Sakramente sind also die effektive Ausdrücklichkeit dessen, was überall und immer schon durch die Gnade Gottes geschieht, ohne dass diese dort explizit ins Bewusstsein tritt“ (S. 220). Die Sakramente vermitteln uns also die Gnade Gottes offenbar nicht, sondern machen uns nur bewusst, dass wir die Gnade schon haben.
Die Eucharistie wurde nach Dirscherl zunächst in kleinen Hausgemeinschaften gefeiert, in denen „sich der Mahlcharakter der Eucharistie besser vollziehen“ ließ, „als in den großen Gemeinden, die seit der Konstantinischen Wende zur Regel werden“ (S. 309). In Wirklichkeit heißt es schon in 1 Kor 14,23, dass „die ganze Gemeinde an demselben Ort zusammenkommt“, und die Apostelgeschichte berichtet, dass in Troas die Versammlung am Sonntag in einem großen Obersaal stattfand“ (20,7 f.). Nach den ältesten christlichen Schriftstellern wie Ignatius von Antiochien und Justin dem Märtyrer gab es in den ersten drei Jahrhunderten, also vor Konstantin, in jeder Stadt nur einen Ort, an dem die Messe gefeiert wurde.
Aber für Dirscherl führte die angebliche Entwicklung der Eucharistie von der privaten Mahlfeier zum öffentlichen Gottesdienst zu bedenklichen Fehlentwicklungen: Jetzt wurde der Opfercharakter der Messe herausgestellt und „der Bischof/Priester als eigentlicher Akteur verstanden“ (S. 310). Immerhin scheint für Dirscherl irgendeine Art von Realpräsenz zu bestehen: Wir dürfen „darauf vertrauen, dass im Zeichen des Brotes Christus im Hl. Geist auf sakramentale Weise gegenwärtig ist und wir ihn wirklich in uns aufnehmen“ (S. 318).
Keine Auferstehung des Leibes
Jesus ist nach den Autoren selbst nicht leiblich auferstanden, und daher werden auch die übrigen Menschen nicht leiblich auferstehen. Markus Weißer will zunächst „einem der vielleicht häufigsten Missverständnisse“ in Bezug auf den christlichen Auferstehungsglauben vorbeugen: „Es geht hierbei nicht um eine Rückkehr in das bisherige Leben, Auferstehung ist keine Wiederbelebung eines Leichnams oder ein Weiterleben wie bisher“ (S. 182). Selbstverständlich geht es bei der Auferstehung Christi nicht um eine Rückkehr in das bisherige Leben. Niemand hat das je behauptet. Allerdings berichtet das Evangelium auch solche Totenerweckungen, nämlich die des Jünglings von Naim, der Tochter des Jairus und des Lazarus. Diese sind für Weißer offensichtlich ein „eher mythologisch oder märchenhaft anmutendes ‚Weiter so‘“ (S. 183) und haben folglich nicht stattgefunden. In Bezug auf Jesus lernen in einem ordentlichen Katechismusunterricht jedoch schon die Kinder, dass er mit einem verklärten Leib auferstanden ist. Es geht dabei aber doch um die Wiederbelebung eines Leichnams. Der Leichnam Jesu erwachte zu einem neuen Leben und verließ das Grab.
In Bezug auf die übrigen Menschen wird die Theorie einer „Auferstehung im Tod“ nach Gisbert Greshake als plausibel vorgestellt. Die Verstorbenen sollen danach nicht als abgeschiedene Seelen weiterleben, sondern sollen sogleich – obwohl ihr Leichnam im Grab verfällt –als individuelle Person anfangshaft vollendet werden. „Es handelt sich also um die anfangshafte Vollendung des einen und ganzen Menschen, bestehend aus Leib und Seele, im individuellen Tod und um die Vollendung der ganzen Menschheit am Ende der Geschichte“ (S. 364). Auferstehung ist demnach ein Prozess, der mit der Taufe beginnt und erst am Ende der Welt vollendet ist. „Die auferweckte Leiblichkeit“ ist dabei „das ganze lebendige organische Ensemble von Relationen und gegenseitigen Abhängigkeiten, die – offen auf das Ganze der Wirklichkeit – unser Leib von seinen wesenhaften partikulären Individualitäten her geprägt hat“ (S. 366).
Konklusion
Jesus wurde nach den Regensburger Autoren nicht ohne Beteiligung eines Mannes von einer Jungfrau geboren, er weckte keine Toten auf und stand auch selber nicht leiblich vom Tod auf. Er gründete keine Kirche und kann „Gottes Sohn“ nur in dem Sinn genannt werden, dass Gott sich in ihm der Welt unwiderruflich zugesagt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann man wohl niemandem raten, in Regensburg katholische Theologie zu studieren.
Da Bischof Voderholzer seinen eigenen Seminaristen keine katholischen Vorlesungen garantieren kann, sollte er doch denjenigen gegenüber, die aus dieser Krise die Konsequenzen gezogen haben, wenigstens wohlwollend schweigen und sie nicht bekämpfen.
Anmerkungen
[1] Regensburg: Pustet 2019.
[2] Mit „wir“ meine ich nicht nur meine Person, sondern auch die Seminaristen des Dogmatik-Kurses in Zaitzkofen, mit denen ich zentrale Passagen des Buchs gelesen habe.
[3] Dogmat. Konstitution Dei Filius, DH 3020.
[4] Karl Rahner, Schriften zur Theologie, Bd. 13: Gott und Offenbarung, Zürich, Einsiedeln, Köln 1978, S. 140 f.
[5] Diese Aussagen machte Rahner gegenüber Heinz-Joachim Fischer, dem Rom-Korrespondenten der FAZ. Zitiert in: Die Tagespost vom 11.11.2004, S. 6.
[6] Sämtliche kursive Hervorhebungen in den Zitaten stammen aus dem Original.