Erzbischof Marcel Lefebvre: Rückblick nach zwei Jahrzehnten
Aus der Predigt zum 1. November 1990 in Ecône
Manche Leute, manche unter Ihnen werden mir vielleicht sagen: „Wozu denn die Priesterbruderschaft St. Pius X.? Ist sie in dieser heutigen Zeit wirklich noch sinnvoll? Gibt es nicht auch heute noch genug heiligmäßige Bischöfe und heiligmäßige Priester auf der Welt?”
Ach, leider waren wir gezwungen festzustellen, daß die Revolution, die ausgebrochen ist, im Begriff ist, täglich mehr um sich zu greifen. Wir befanden uns im Jahr 1970, das Konzil hatte seit fünf Jahren seine Pforten geschlossen und man hatte verheerende Reformen eingeführt, verheerende! Denn was ist schließlich den Priestern der Pfarren widerfahren, diesen armen Priestern, von denen viele allerdings nichts mehr vom Priester hatten als den Namen? Sie haben das bewiesen, indem sie ihr Priestertum aufgegeben und sich wieder der Welt angeschlossen haben. Viele von ihnen hatten noch ihren Glauben bewahrt, hatten den Wunsch bewahrt, sich heiligmäßig ihrem Meßopfer zu verschreiben. Aber da hat man ihnen sowohl das heilige Meßopfer als auch ihren Katechismus gewissermaßen aus der Hand gerissen, also jenes Wort Gottes, das im traditionellen Katechismus aufgezeichnet ist, der nichts anderes ist als die Verkündigung des Wortes unseres Herrn Jesus Christus. Man hat ihnen den Katechismus verfälscht. Man hat von ihnen verlangt, einen anderen Glauben zu lehren, der nicht mehr der katholische Glaube ist. Stellen Sie sich den Schmerz dieser Priester vor! Und man zwingt sie auch heute noch, alle Kinder ihrer Pfarre diese ihrem Glauben widersprechenden, dem katholischen Glauben widersprechenden Sätze zu lehren. Man hat ihnen das Meßopfer entrissen, man hat es umgeändert, man hat es ganz offensichtlich dem protestantischen Abendmahl viel mehr angenähert als dem wahren katholischen Meßopfer. Das ist offenkundig. Diese Umänderung hat vielen dieser Priester einen tiefen Schmerz bereitet. Im Übrigen haben sich viele von ihnen zurückgezogen. Bischöfe haben sich zurückgezogen, haben ihren Abschied genommen, um nicht mehr gezwungen zu sein, diese Revolution in die Tat umzusetzen. Viele Priester haben ihre Pfarre verlassen, jene, die konnten, haben ebenfalls ihren Abschied genommen. Ich habe einige von ihnen weinen gesehen, weinen vor Schmerz! Und ich bin überzeugt und habe es schon oft gesagt, daß mindestens zwei Erzbischöfe, der von Madrid und der von Dublin, vor Schmerz über diese entsetzliche Revolution, die die Natur des Priesters verändert hat, gestorben sind. Für den Priester, der nicht mehr das wahre Meßopfer darzubringen, sondern nur eine einfache Eucharistiefeier zu halten hat, ein Teilen nach Art der Protestanten, und der nicht mehr den wahren Katechismus zu lehren hat, wie er ihn selbst in seiner Kindheit gelernt hat, bedeutet das einen Dolchstoß ins Herz und um so mehr für die Bischöfe, die wissen, daß sie gewissermaßen für das, was in ihrer Diözese geschieht, verantwortlich sind. Ja, diese furchtbare Reform war wirklich eine Revolution, die weitergeht und noch nicht beendet ist.
Sagen Sie mir also, meine lieben Freunde, meine geliebten Brüder, ob die Institution der Priesterbruderschaft St. Pius X. unnütz, vergeblich war. Sie ist die klar gezielte Gegenrevolution durch die Bekräftigung des Glaubens, des katholischen Glaubens aller Zeiten, sie ist die Gegenrevolution durch die Darbringung des wahren Meßopfers, das die Quelle der Heiligkeit, die Quelle des Lebens ist, denn man muß zusammen mit dem heiligen Meßopfer auch die sieben Sakramente sehen, die gleichsam die Ausstrahlung der Messe sind als ihre Vorbereitung oder ihre Folge, aber wesenhaft mit dem heiligen Meßopfer verbunden, zutiefst verbunden. Die heilige Messe ist das Leben Jesu, das Leben des göttlichen Wortes, das uns durch die heilige Messe und durch die heiligen Sakramente mitgeteilt wird, vor allem durch unseren Herrn Jesus Christus selbst in der allerheiligsten Eucharistie, dem Zentrum unserer Religion. Die Entstehung unserer Priesterbruderschaft St. Pius X. war ganz bestimmt von der Vorsehung gewollt.
Ich bin davon umso mehr überzeugt, weil ich selbst ein, manchmal vielleicht etwas ungenügend lenksames, Werkzeug Gottes war, denn ich habe mich im Lauf jener Jahre 1969, 1970 auf einmal gefragt, ob man dieses Unternehmen nicht aufgeben sollte. Nur weil meine beiden Schutzengel mir zur Seite gestanden sind, nämlich Abbé Aulagnier und Abbé Tissier de Mallerais, die mich gestärkt haben und mir beigestanden sind wie, so stelle ich mir vor, die heiligen Engel, die unserem Herrn im Ölgarten beigestanden sind und unserem Herrn die Worte eingegeben haben „Fiat voluntas tua — Dein Wille geschehe”, ist die Bruderschaft entstanden und Wirklichkeit geworden. Und ich glaube, daß nach zwanzigjährigem Bestehen alle, selbst alle, die jetzt außerhalb der Bruderschaft stehen, ihr nicht mehr folgen oder sogar mit ihr nicht einverstanden sind, wirklich zugeben müssen, daß sie von Gott gesegnet wurde. Ein Beweis dafür sind jene, die von Rom gekommen sind, um uns offiziell zu visitieren und im Goldenen Buch dieses Seminars Worte ihrer Bewunderung für das Werk eingetragen haben, das sich hier in diesem Seminar verwirklicht hat. Ja, die Bruderschaft war wirklich gottgewollt und hat unzählige Gnaden erhalten.