Erzbischof Marcel Lefebvre: Liberalismus und Freimauerei
Aus dem Buch „Sie haben ihn entthront“
Es ist nicht unangebracht, an das zu erinnern, was das 1. Vatikanische Konzil gelehrt hat:
Nicht nur können Glaube und Vernunft niemals in Uneinigkeit sein, sondern sie leihen einander sogar gegenseitig Unterstützung, da die rechte Vernunft die Grundlagen des Glaubens beweist und, von seinem Licht erleuchtet, sich der Wissenschaft von den göttlichen Dingen widmet, während der Glaube seinerseits die Vernunft von den Irrtümern befreit und bewahrt und sie in vielfältiger Erkenntnis unterrichtet.
Die Revolution jedoch hatte sich gerade im Namen der Göttin Vernunft vollzogen, der Vernunft, die sich zur obersten Norm des Wahren und des Falschen, des Guten und des Bösen aufwirft.
Liberalismus, Naturalismus und schließlich Rationalismus sind nur einander ergänzende Aspekte dessen, was man die Revolution nennen muss. Dort, wo die rechte Vernunft, vom Glauben erhellt, nur Harmonie und Unterordnung sieht, gräbt die vergöttlichte Vernunft Abgründe und führt Mauern auf: die Natur ohne die Gnade, der materielle Besitz ohne die Suche nach den ewigen Gütern, die bürgerliche Gewalt von der kirchlichen Gewalt getrennt, die Politik ohne Gott und Jesus Christus, die Menschenrechte gegen die Rechte Gottes und endlich die Freiheit ohne die Wahrheit.
Das ist der Geist, in dem sich die Revolution verwirklicht hat; sie hatte sich schon seit über zweihundert Jahren in den Köpfen vorbereitet, wie ich Ihnen zu zeigen versuchte, doch erst zu Ende des 18. Jahrhunderts kam sie ans Ziel und trug ihre entscheidenden Früchte – ihre politischen Früchte – dank der Schriften der Philosophen, der Enzyklopädisten und einer unvorstellbaren Aktivität der Freimauererei, die in einigen Jahrzehnten in die gesamte führende Schicht eingedrungen war und sie unterwandert hatte.
(Man beachte die Jahreszahlen: 1517 die Revolte Luthers, der in Wittenberg die päpstliche Bulle verbrannte – 1717 die Gründung der Großen Loge von London.)
Die Freimaurerei als Verbreiterin dieser Irrlehren
Mit welcher Präzision, welcher Hellsichtigkeit die Päpste dieses Unternehmen anprangerten, legt Papst Leo XIII. in dem bereits zitierten Quod apostolici dar und noch einmal in der En- zyklika Humanum Genus vom 20. August 1884 über die Sekte der Freimaurer:
In unserer Zeit scheinen die Anstifter des Übels sich in einer ungeheuren Anstrengung verbündet zu haben unter dem Antrieb und mit der Hilfe einer an zahlreichen Orten verbreiteten und fest organisierten Gesellschaft, der Gesellschaft der Freimaurer. In ihrer wachsamen Besorgnis um das Heil des christlichen Volkes haben unsere Vorgänger gar rasch diesen Hauptfeind erkannt in dem Augenblick, als er, aus dem Dunkel einer geheimen Verschwörung hervortretend, sich am hellen Tag zum Angriff emporschwang.
Leo XIII. erwähnt sodann die Päpste, die bereits die Freimaurer verurteilt haben; Clemens XII. sprach in der Enzyklika In eminenti vom 27. April 1738 die Exkommunikation gegen die Freimaurer aus; Benedikt XIV. erneuerte diese Verurteilung in der Enzyklika Providas vom 16. März 1751; Pius VII. klagte in der Enzyklika Ecclesiam suam speziell die Carbonari an; Leo X II. deckte des Weiteren in seiner Apostolischen Konstitution Quo graviora vom 13. März 1826 die Geheimgesellschaft L 'Universitaire auf, die die Jugend zu verderben versuchte; Pius VIII. (Enzyklika Traditi vom 24. Mai 1829) und Pius IX. (Konsistoriums- ansprache vom 25. September 1865 und Enzyklika Quanta cura vom 8. Dezember 1864) sprachen in demselben Sinn.
Sodann beklagt Leo XIII., dass die Regierenden so ernsten Warnungen so wenig Rechnung trugen, und stellt die erschreckenden Fortschritte der Sekte fest:
Daraus ergibt sich, dass im Zeitraum von anderthalb Jahrhunderten die Sekte der Freimaurer unglaubliche Fortschritte gemacht hat. Zugleich Verwegenheit und Schläue einsetzend, ist sie in alle Ränge der sozialen Hierarchie eingefallen und beginnt inmitten der modernen Staaten eine Macht einzunehmen, die der Souveränität gleichkommt.
Was würde er heute sagen, wo es keine einzige Regierung gibt, die nicht den Beschlüssen der Freimaurerlogen gehorcht?
Und heute folgt der Ansturm auf die Hierarchie der Kirche, zu dem der freimaurerische Geist oder die Maurerei selbst in dicht geschlossenen Reihen antritt. Doch ich werde darauf zurückkommen.
Was ist aber der freimaurerische Geist? Er ist gut erklärt in wenigen Worten aus dem Mund des Senators Goblet d'Aviello, eines Mitglieds des Grand Orient von Belgien, der am 5. August 1877 in der Loge der Amis Philanthropiques in Brüssel sprach:
Sagt den Neophyten, dass die Freimaurerei . . . vor allem eine Schule der Popularisierung und der Perfektionierung ist, eine Art Laboratorium, wo die großen Ideen der Epoche sich miteinander kombinieren und einander bestärken, um sich dann in greifbarer und praktischer Form in der profanen Welt auszubreiten. Sagt ihnen mit einem Wort, dass wir die Philosophie des Liberalismus sind.