Erzbischof Lefebvre: Wird die Kirche rechtzeitig ihre wahre Erneuerung vollziehen?

Quelle: Distrikt Deutschland

30. August 1968

Kann sie es noch? Wenn die Kirche eine rein menschliche Gesellschaft wäre, müssten wir mit einem Nein antworten, denn der Verfall der Ideen, der Einrichtungen und der Disziplin ist so groß, dass keine Hoffnung auf Besserung möglich scheint. Seitdem Gott über die Menschheit wacht, damit der Glaube nicht verlorengehe, kann man jedoch die Beispiele nicht mehr zählen, in denen eine menschlich hoffnungslose Lage plötzlich zum Ausgangspunkt einer außerordentlichen Erneuerung wurde. Das am wenigsten erwartete und erhabenste Eingreifen, das Gott in seiner Weisheit und unendlichen Barmherzigkeit fand, ist die Verheißung des Messias aus Maria, nachdem der Mensch durch seine Sünde die Verdammnis verdient hatte.

Seit dieser Verheißung ist bis auf unsere Tage die Geschichte der Barmherzigkeit Gottes gegenüber dem Menschengeschlecht die Geschichte des Alten und Neuen Bundes und somit die ganze Geschichte der Kirche. Nun weht der Geist, wo er will, und um der notleidenden Kirche zu Hilfe zu kommen, wählt er sich Päpste und einfache Gläubige, Fürsten und junge Hirtenmädchen. Ihre Namen sind im Munde aller, die die wirkliche Geschichte der Kirche auch nur einigermaßen kennen.

Aber, wenn der Heilige Geist auch weht, wo er will, hat doch sein Wehen stets den gleichen Ursprung, die gleichen grundlegenden Mittel und das gleiche Ziel. Der Heilige Geist kann nichts anderes tun als das, was unser Herr ihm gesagt hat: „Er wird nicht aus sich selbst reden, er wird vielmehr reden von dem, was er hört, ...er wird mich verherrlichen, denn er wird von dem Meinigen nehmen und es euch verkünden“ (Joh. 16, 13), mit anderen Worten, der Heilige Geist kann nur wiederholen, was unser Herr gesagt hat.

Darum haben die, die er erwählt hat, wenn auch äußerlich auf verschiedene Weise, das Gleiche wiederholt und getan und haben sich an den gleichen Quellen genährt, um der Kirche wieder Lebenskraft zu geben. Der hl. Hilarius, der hl. Benedikt, der hl. Augustinus, die hl. Elisabeth, der hl. Ludwig, die hl. Johanna von Orléans, der hl. Franz von Assisi, der hl. Ignatius, der hl. Pfarrer von Ars, die hl. Theresia vom Kinde Jesu haben alle die in den Grundprinzipien gleiche Spiritualität gelehrt, nämlich jene der Buße, des Gebetes, der vollkommenen Hingabe an unseren Herrn und an die allerseligste Jungfrau Maria, des unbegrenzten Gehorsams gegen den Willen Gottes, der Achtung vor denen, die diesen Willen auslegen, von den Eltern bis zu den rechtmäßigen weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten. Sie alle hatten eine große Ehrfurcht vor den Sakramenten und besonders vor der Eucharistie und dem heiligen Messopfer. Sie alle bekunden Entsagung gegenüber den Gütern dieser Welt und den Eifer für das Heil der Sünder. Für sie war nichts wertvoller als die Ehre Gottes, die Ehre unseres Herrn Jesus Christus, die Ehre seiner einzigen Kirche. Die Heilige Schrift war ihnen vertraut und sie verehrten die Überlieferung der Kirche, so wie sie in den Glaubensbekenntnissen, den Konzilien und den Katechismen zum Ausdruck kommt, in denen die echte, von den Aposteln hinterlassene Lehre enthalten ist. Aus diesen Quellen schöpften sie eine Gnade, eine besondere Vereinigung mit dem Heiligen Geist, die aus ihnen außergewöhnliche Zeugen für den Glauben und die Heiligkeit des Evangeliums gemacht hat.

Folgender Art sind die historischen Feststellungen bezüglich der Einwirkung des Heiligen Geistes, die es uns ermöglicht zu glauben, dass die Kirche sich durch die Heiligung ihrer Mitglieder immer erneuern kann. Gott hat seine Kirche niemals im Stich gelassen. Er wird sie auch heute nicht im Stich lassen, doch die Prüfungen, die scheinbaren Triumphe des bösen Geistes, des Fürsten dieser Welt, können ein Ärgernis sein, das heißt ein Anlass zum Sturz und zum Abfall vom Glauben für viele. Unrecht haben jene, die sich von den falschen Propheten irreleiten lassen, die da predigen, dass ihre Zeit in nichts den vergangenen Zeiten gleiche und dass das Evangelium von gestern nicht mehr das Evangelium von heute sein könne. Christus gehört allen Zeiten an: Jesus Christus heri, hodie et in sae- cula. Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit. Das lehrt uns der hl. Paulus.

Leider, man muss es zugeben, das Zweite Vatikanische Konzil hätte das Konzil der Erneuerung durch eine Rückkehr zu den Quellen sein sollen, wie es in der Kirche die Regel ist — hätte sein sollen! Denn je länger die streitende Kirche unterwegs ist, um so eher kann es geschehen, dass die Botschaft sich verwischt, dass es den Feinden der Kirche gelingt, das gute Samenkorn zu ersticken, dass die Nach- lässigkeit der Hirten den Glauben schwach werden lässt, dass die Sitten verderben, dass die Christenheit den Spötteleien dieser verderbten Welt ein geneigtes Ohr leiht.

Erneuerungen sind also notwendig, aber, nach dem Beispiel unseres Herrn, der nur sagt, was der Vater gesagt hat, und des Heiligen Geistes, der nur sagt, was der Sohn gesagt hat, haben die Apostel nicht aufgehört, ihren Schülern und Jüngern zu wiederholen: Bewahret, was euch gesagt worden ist, bleibt in der Lehre, die euch gelehrt wurde, behütet das Gut des Glaubens, laßt euch nicht umgarnen von den falschen Propheten, den Lügnern, den Söhnen des Verderbens, die mit all denen, die ihnen folgen, für das ewige Feuer bestimmt sind.