Interview mit Bischof Fellay

Quelle: Distrikt Deutschland

Der Reporter Edward Pentin vom National Catholic Register hat am 13. Mai 2016 ein Interview mit Bischof Fellay geführt. Hier das vollständige Transkript und die Videos:

Video-Interview: Teil 1

Exzellenz, wie ist der Stand der Gespräche zwischen dem Heiligen Stuhl und der Priesterbruderschaft St. Pius X.?

Den Kontakt mit Rom gibt es nicht erst seit heute. Man kann sagen, dass es nie zu einem völligen Kontaktabbruch mit Rom kam, nicht einmal während der Zeit der Exkommunikation wegen der Bischofsweihen 1988. Wir wollten uns nie von Rom trennen. Das hat Erzbischof Lefebvre ganz klar zum Ausdruck gebracht. Es gab Differenzen, ja, und ich kann sagen, dass es diese Probleme nach wie vor gibt. Diese Kontakte haben sich allerdings im Jahr 2000 intensiviert. So kam es  am Ende jenes Jahres zu einem ersten Schritt, als wir anlässlich des Heiligen Jahres die Wallfahrt nach Rom unternahmen. Und am Ende jenes Jahres wurde uns von Rom durch Kardinal Castrillon Hoyos, damals Präsident der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei, mitgeteilt, dass der Heilige Vater das Problem zu lösen wünschte. Und damals sagte ich zu ihm: „Ja das ist schön, das ist gut, aber es gibt da ein Problem: Wir vertrauen Ihnen nicht.“ Wir schilderten, wie sie seinerzeit die anderen Bewegungen, insbesondere die Priesterbruderschaft St. Petrus, behandelt hatten. Dessen ungeachtet begannen vereinzelte Gespräche, die es Rom jedoch ermöglichten, uns etwas besser kennenzulernen. Einige Jahre später war es dann ganz eindeutig, dass Kardinal Castrillon zu dem Schluss gekommen war, dass wir keinesfalls schismatisch sind. Er sagte wiederholt, dass wir Katholiken sind. Er hat auch noch die Aufhebung des Exkommunikationsdekrets erlangt, auf welche leider der schmerzliche Sachverhalt der Aussagen von Bischof Williamson folgte, was wiederum zu einer gewissen Kälte führte; gleichzeitig kamen wir jedoch einen Schritt voran.

Aufgrund dieses mangelnden Vertrauens hatten wir als Voraussetzung weiterer Verhandlungen zwei Präambeln gefordert, die bekräftigen sollten, dass jeder katholische Priester das Recht hat, die Tridentinische Messe zu zelebrieren; Etwas, das im Jahr 2000 als unmöglich erschien, wurde 2007 durch Papst Benedikt XVI. Tatsache, als dieses Recht tatsächlich bestätigte wurde, indem er sagte, dass die Tridentinische Messe niemals abgeschafft worden war. Dies war also ein wesentlicher Punkt, der die Freiheit zur Zelebration dieser Messe tatsächlich wieder einführte, zumindest in der Theorie, auf der Ebene des Kirchenrechts.

Zweieinhalb Jahre später wurde dann die Exkommunikation aufgehoben, welches der zweite Punkt war. Wir haben gesagt, wenn dies einmal geschehen sein würde, wären Gespräche notwendig, Gespräche über die Probleme in Bezug auf die Lehre, über das, was wir für lehrmäßige Probleme halten. Und dem gebührend hat Benedikt XVI. diese Gespräche für notwendig erklärt. Ich denke nicht, dass wir den gleichen Blickwinkel hatten, dennoch kamen wir überein, Gespräche zu führen, die über zwei Jahre auf höherer Ebene stattfanden.

Es gab bei der Glaubenskongregation Zusammenkünfte und Gespräche über die verschiedenen strittigen Punkte, die sich - wenn man so sagen will - auf das Konzil stützen, und die durch das 2. Vatikanische Konzil in das Leben der katholischen Kirche eingeführt wurden. Nach diesen zwei Jahren legte Rom ein offizielles Angebot vor, das uns zu schwammig erschien, d.h., dass dieses Angebot das Problem würde lösen können. Ich sagte ihnen: „Wenn wir eine Übereinkunft erlangen über etwas, das nicht eindeutig geklärt ist, verschieben wir das Problem nur auf später. Und diese Angelegenheit erst danach zu behandeln wird alles nur noch schlimmer machen.“ Und deswegen sagte ich: „ Wir müssen das jetzt klarstellen, vorher. Die Situation war ein großes Hin und Her und blieb ohne Ergebnis. Hier einen Durchblick zu haben war äußerst schwierig, da mir von internen, dem Papst [Benedikt] nahestehenden Kontakten mitgeteilt wurde, dass der uns unterbreitete Vorschlag nicht den Ansichten des Papstes entsprach. Es war also sehr schwierig zu erkennen, was da los war.

Mit dem neuen Papst, Papst Franziskus, sind wir jetzt in eine neue Phase eingetreten, eine neue Situation, die zwar sehr interessant, aber noch verwirrender ist. Ich bezeichne sie als eine paradoxe Situation, da sich - wenn man so sagen will - gerade die Probleme, die wir anprangern, in der Kirche verschlimmern. Gleichzeitig beginnen, besonders in Rom, einige Stimmen laut zu werden und einzuräumen, dass etwas getan werden muss.

Von Seiten der Glaubenskongregation gibt es also eine neue Sichtweise uns gegenüber, die angibt, dass es, dank der Gespräche, so aussieht - wieder einmal -, dass die Priesterbruderschaft nicht schismatisch ist. Das heißt, dass es bei den Punkten, die wir verteidigen, nicht um Punkte geht, welche die Bruderschaft von der Kirche trennen würden, weder auf der Ebene des Schismas noch, was noch schlimmer wäre, auf der Ebene der Häresie, d.h. gegen den Glauben. Man geht dort weiterhin davon aus, dass der Klärungsbedarf in der Auffassung darüber besteht, was das Lehramt ist. Aber wir behaupten, dass sie diese Auffassung verwirren, vor allem wenn wir sehen, dass heute Themen aufgeworfen werden, die gar nichts mit dem Lehramt zu tun haben - was sehr verwirrend ist. Da gibt es die höchste Autorität in der Kirche, die sagt: „Ich spreche nicht lehramtlich“. Was ist es aber dann? Ist es verbindlich? Man sieht ganz klar, dass sie verpflichten wollen. Gleichzeitig sagen sie, dass es nicht verbindlich ist. Es ist also wirklich ein echtes Durcheinander.

Worüber sich viele wundern: im Augenblick scheint die Chance auf eine volle Gemeinschaft größer denn je zu sein, und doch scheint sich der Heilige Stuhl und der Papst wohl Ihrer Meinung nach von dem zu entfernen, was Ihnen lieber wäre. 

Das ist genau das, was ich als paradox bezeichne. Es ist aber nicht missverständlich. Man kann erklären, was dort passiert. Ich muss hinzufügen, dass es jetzt zwei Linien gibt: Wir müssen die Position des Papstes von der Position der Glaubenskongregation unterscheiden. Sie haben nicht den gleichen Ansatz, kommen jedoch zum gleichen Schluss, nämlich: Beenden wir das Problem, indem wir die Bruderschaft anerkennen. Aber ich bin davon überzeugt - zumindest teilweise - dass es einen anderen Ansatz gibt, der schließlich zum gleichen Ergebnis führen könnte, nämlich dass man dem Problem, das wir als wichtig erachten, also dem Konzil, weniger Bedeutung beimisst, indem man also die Verbindlichkeit des Konzils herabsetzt.

Dies sind nun „offene Fragen“, sagen Sie?

Das sage ich provozierend. So werden sie es in Rom nicht sagen, aber sie sagen nun, dass die Infragestellung der Religionsfreiheit, der Erklärung Nostra Aetate, der interreligiösen Beziehungen, des Ökumenismus, und sogar weithin die Infragestellung der Liturgiereform nicht mehr als Grund für eine Trennung von der Kirche angesehen werden. Mit anderen Worten, man kann diese Dinge in Frage stellen und dabei katholisch bleiben. Das bedeutet auch, dass die Kriterien, die wir immer als Nachweis anbringen sollten, dass wir katholisch sind, diese Punkte nicht mehr umfassen. Und das ist durchaus wichtig.

Wie geht dies zusammen mit den Worten Erzbischof Lefebvres, dass es keine Möglichkeit zur Aussöhnung geben kann, es sei denn, Rom bereut seine Irrtümer? Hat sich dies geändert oder trifft das noch zu?

Nein, ich denke, es gibt hier zwei Ebenen. Die eine beinhaltet die Frage: in welcher Wirklichkeit leben wir? Wir erwarten, dass die Kirche rein und heilig ist, und wir bekennen auch, dass sie so ist. Aber wir wissen sehr gut, dass es viele Mitglieder der Kirche gibt, von der Spitze bis zur Basis, die nicht so leben. Das ist nichts neues, das hat es schon immer gegeben. Man kann sagen, ja gut, es gibt gute Katholiken, es gibt laue Katholiken, es gibt tote Mitglieder; das sind alles Mitglieder der Kirche. Man muss also gewissen bedauerlichen Geschehen in der Kirche Raum zugestehen, da wir die Kirche nicht als menschliche Wirklichkeit ansehen, sondern als übernatürliche Wirklichkeit mit einer menschlichen Komponente. Wir richten unseren Blick auch weiterhin auf die Heiligkeit der Kirche, während wir gleichzeitig jene Elemente kritisieren, angreifen, tadeln, verurteilen, die der Heiligkeit und Reinheit der Lehre, die ja von unserem Herrn kommt, entgegenstehen.

Unser Erzbischof Lefebvre hat immer diese Position vertreten. Er war ein Bischof der Kirche, er kannte den Zustand der Kirche, er wusste, dass die Menschen um ihn herum nicht allesamt vollkommen waren und er hätte es auch nicht gewagt, sich selbst als vollkommen zu bezeichnen. Jeder hat Fehler … Damit muss man leben. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir allem zustimmen müssen. Zu einem Problem wird es, wenn die höchsten Autoritäten diese Haltung vertreten. Da bekommt man dann ein Problem mit dem Gehorsam, was überaus ernste Sache ist. Und in diesem Sinne müssen wir, wie ich meine, die Worte von Erzbischof Lefebvre verstehen. Wir werden in diesen Punkten weiterhin nicht folgen.

Wenn Sie nun tatsächlich zurück in die volle Gemeinschaft kämen, und wenn nun ein Konflikt entstünde zwischen dem Gehorsam und der Tradition, was hätte für Sie Priorität?

Zunächst gibt es wahren Gehorsam nur in der Tradition. Der Papst ist somit kein Freischaffender. Er kann sich nicht einfach etwas ausdenken, was ihm gefällt. Er ist an das gebunden, was wir das „Glaubensgut“ nennen. Da gibt es den berühmten Ausspruch über die Unfehlbarkeit des Papstes, dass der Heilige Geist dem Hl. Petrus und seinen Nachfolgern niemals die Möglichkeit verheißen hat, durch eine neue Eingebung etwas Neues schaffen zu können. Auf keinen Fall! Gott gewährt in einem solchen Fall keine Hilfe. Aber in der Konstitution [1. Vatikanum] über die Unfehlbarkeit des Papstes heißt es: Mit der Hilfe des Heiligen Geistes kann der Papst dieses Glaubensgut heilig erhalten, heilig bewahren und gläubig weitergeben. Wenn Sie also von Gehorsam sprechen -, ja, natürlich muss ein Katholik gehorsam sein, vorausgesetzt, dass die Oberen, die Prälaten, Bischöfe und der Papst die Lehre beibehalten und ihrem Auftrag treu verpflichtet sind.

Video- Interview: Teil 2

Was sind Ihre primären Gründe zur vollen Gemeinschaft zu kommen? Liegt es zum Teil auch daran, dass Sie neue Bischöfe weihen müssen?

Nein. Erstens sagen wir schon immer, und wiederholen es auch andauernd: Wir befinden uns nicht außerhalb der Kirche. Und dabei bleiben wir. Wir verfügen über alle Elemente, die erforderlich sind, um in voller Gemeinschaft mit der Kirche zu stehen, und zwar in dem Sinne, wie man es früher verstanden hat.  Man kann sagen, dass man beim Konzil eine neue Bedeutung für das Wort „Gemeinschaft“  kreiert hat, man spricht von „voller Gemeinschaft“, „unvollständiger Gemeinschaft“, was schon wieder verwirrend ist, da der gewöhnliche Katholik dieses Wort immer im herkömmlichen Sinn verstanden hat, nämlich: entweder ist man drin oder man ist es nicht. Man ist entweder schismatisch oder man ist Katholik. Punkt. Nun hat man dieses „nicht in voller“ Gemeinschaft eingeführt und keiner versteht mehr, was das eigentlich sein soll. Wir fordern also nur das Recht ein, als Katholiken bezeichnet zu werden, weil wir Katholiken sind, weil wir die Obrigkeiten anerkennen und weil wir all diese Elemente als unerlässlich anerkennen. Das ist der erste Punkt. Darüber hinaus strebe ich nicht nach dieser kirchenrechtlichen Regularisierung als etwas absolutem. Für mich ist sie bereits vorhanden, es ist ein Recht, dass man sie besitzt. Um diese zu erhalten, werden wir allerdings den Glauben, die Disziplin der Kirche, nicht aufs Spiel setzen bzw. schädigen. Dass wir diese Regularisierung nicht erhalten, sehen wir als Ungerechtigkeit, und deshalb behaupten wir sozusagen unseren Standpunkt. Das ist alles. Und wenn wir also vor die Wahl gestellt werden, sagen wir einmal, den Glauben zu bewahren oder einen Kompromiss einzugehen, ist es klar, was wir tun werden. Wir werden keinen Kompromiss schließen.

Es gibt Bedenken, z.B. von Bischof Richard Williamson [der 2012 wegen Ungehorsam aus der Bruderschaft ausgeschlossen wurde], dass Sie sich selbst in eine gewisse modernistische Richtung bewegen werden, allein dadurch, dass Sie selbst Teil der konziliaren Kirche werden. Was sagen Sie dazu, dass es diesbezüglich eine Gefahr gibt, und welche Schutzmaßnahmen gibt es, dass diese Gefahr nicht Realität wird?

Ich würde sagen, Gefahren gibt es überall. Die generelle Situation der Kirche ist im Moment sehr brenzlig. Die Gefahren sind überall. Ich beschreibe unsere Situation immer als wie auf einem Berggrat. Es gibt zwei Abgründe: einer rechts, einer links. Wenn man seinen Fuß zu weit nach rechts oder links stellt, fällt man. Dem Teufel ist es egal, auf welche Seite man fällt, was für ihn zählt ist, dass man fällt. Ich betrachte es fast als Wunder, dass wir bis jetzt noch nicht gefallen sind und wir beten wirklich dafür, dass das so bleibt. Deshalb - nein, die Sichtweise von Bischof Williamson ist völlig falsch. Er denkt, dass wir erstens einen Kompromiss eingehen wollen, dass wir das um jeden Preis wollen, und dann, als zweites, sagt er, dass wir unter dem Einfluss Liberaler stehen werden und da diese dann unsere Oberen wären, wir zwangsläufig dem Mainstream folgen würden. Noch einmal, das ist für uns keine Option. Wir erbitten, fordern von Rom deshalb Garantien, dass wir so weitermachen können wie bisher.

Und haben Sie schon akzeptable Garantien erhalten oder noch nicht?

Ich glaube, je länger das so weitergeht, desto milder wird Rom werden. Und deshalb beginnen wir über eine Annäherung zu sprechen, weil Rom nach und nach das zugesteht, was wir als Muss ansehen, und was man auch in Rom in der gegebenen Situation der Kirche als unumgänglich zu sehen beginnt. Nicht alle in Rom, ein Teil, es sind die Konservativen, die völlig entsetzt sind über das, was jetzt in der Kirche geschieht.

Bei der derzeitigen Verwirrung in der Kirche und dem Unmut der Konservativen, wie sie sagen, sehen Sie sich als diejenigen, die der Kirche vielleicht zur Rettung kommen?

Einige in Rom sagen das so zu uns, einige werden wohl nicht von „Rettung“ sprechen, sondern von „Hilfe“, auf jeden Fall wird sogar in dem vorgeschlagenen Dokument [über die Regularisierung] davon gesprochen. Es sind also nicht wir, die etwas Neues schaffen. Die Situation in der Kirche ist wirklich - sagen wir - katastrophal. Und abschließend meine ich, werden heute, in dieser sich noch verschlimmernden Katastrophe, Stimmen laut und Leute nähern sich uns an und versuchen, unsere Haltung als nicht mehr ganz so schlecht anzusehen, wie das früher der Fall war.

Man hat auch hören können, dass im Falle ihrer Eingliederung es fast so sei, als würde sich Gottes Barmherzigkeit jenen zeigen, die so bestürzt über das Chaos sind und verunsichert über die jetzige Situation in der Kirche. Sehen Sie da Gottes Hand im Spiel?

Ich bin überzeugt davon, dass Gott seine Kirche nicht verlassen hat. Er lässt Prüfungen zu, aber er ist immer da. Es ist im Vorfeld immer etwas schwierig, diese Dinge zu etikettieren, aber für mich ist es so, dass wir nicht verdammt sind in dieser Situation, die ja wirklich paradox ist, weil wir ja nichts geändert haben und wir auch weiterhin anprangern, was geschieht. Dennoch kann man innerhalb Roms diese Bewegung zu unseren Gunsten erkennen. Also, was mich betrifft, ja, ich sehe Gottes Hand im Spiel, aber in dem Sinne, dass wenn dies geschehen würde - und da bin ich mir noch nicht so sicher-, es ein gutes Zeichen der Barmherzigkeit Gottes wäre - ja, für alle.

Sie haben gesagt, dass Sie diesen Papst mögen, also gewisse Seiten dieses Papstes.

Der Heilige Vater ist völlig atypisch, und wenn man mit ihm zu tun hat entsteht das Problem, dass man versucht, ihn in eine Schublade zu stecken, wie man das gewohnt ist. Ich meine, eines der größten Probleme liegt darin, dass man normalerweise jemanden aufgrund seiner Handlungen beurteilt und so zu der Schlussfolgerung gelangt, dass er so handelt, weil er so denkt. Wenn man aber auf diese Weise bei dem heutigen Papst versucht, auf eine Lehre oder auch Ideologie Rückschluss zu ziehen, ist man komplett ratlos, weil an einem Tag macht er das eine und am nächsten Tag macht oder sagt er geradezu das Gegenteil. Das ist also einer der verwirrendsten Aspekte was unseren derzeitigen Papst betrifft.

Ich denke, man muss verstehen, dass er nicht so an die Dinge herangeht. Er hat das mehrmals gesagt. Er hat gesagt, dass er die Lehre eher für ein Hindernis im Umgang mit den Menschen hält. Was für ihn zählt ist das Leben, die Person, und deswegen bemüht er sich, den Menschen zu sehen, da ist er sehr menschlich, wenn ich das einmal so sagen darf. Was sind dann also seine Motive? Und hier auch versuchen wir zu verstehen. Mir erscheint er als jemand, der will, dass jeder gerettet wird, jeder Zugang zu Gott hat, und auch als jemand, der wie ein Retter, der versucht zu den Leuten zu kommen, als letzte Möglichkeit das Sicherheitsseil kappt, und sich dadurch selbst in eine riskante Situation bringt. Und so macht er es mit uns wahrscheinlich auch.  Aus Sicht der Modernisten hat er sehr wahrscheinlich das sogenannte Sicherheitsseil gekappt, um zu uns zu gelangen. Und er hat uns selbst gesagt, dass er aufgrund dieser Vorgehensweise schon mit Leuten in der Kirche Schwierigkeiten hatte.

Die schärfste Kritik des Papstes scheint sich immer gegen die „Schriftgelehrten“ zu richten und gegen jene, die er für pharisäisch hält. Manch einer könnte behaupten, er spricht da unter anderem über die Priesterbruderschaft. Was meinen Sie dazu, dass er sich scheinbar über Leute wie Sie am meisten aufregt?

Ich habe ein paar Leute in Rom gefragt, wen er damit meint. Sie wussten es nicht. Sie wussten nicht, was sie sagen sollten. Sie sagten: „Womöglich Sie, aber …“. Die Antwort, die ich am häufigsten zu hören bekam war: „Höchstwahrscheinlich konservative Amerikaner“! Also ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Er mag eindeutig keine Leute, die zu ideologisch sind. Das ist ganz klar. Und ich denke, von Argentinien her kennt er uns gut genug, um zu wissen, dass wir uns um die Menschen kümmern. Ja, in Bezug auf die Lehre vertreten wir einen festen Standpunkt, aber wir kümmern uns um die Menschen. Wir zeigen ein wahres apostolisches Wirken, das aus der Lehre herausfließt, es ist wohl nicht, woran er Anstoß nimmt. Natürlich ist er über die Punkte des Konzils, gegen die wir angehen, nicht einer Meinung mit uns. Mit Sicherheit nicht. Aber für ihn, dem die Lehre nicht so wichtig ist, zählt der Mensch, für ihn sind die Menschen wichtig, und da haben wir genug Beweise geliefert, dass wir katholisch sind. So geht er an die Dinge heran.

In letzter Zeit haben Sie mehrmals die Annahme geäußert, dass in den Augen des Papstes die FSSPX seinen Kummer teilt über eine Kirche, die es sich in der Selbstzufriedenheit bequem gemacht hat und nicht mehr nach den verlorenen Schafen sucht.

Soweit würde ich gar nicht gehen, er sieht einfach, dass wir authentisch sind. Punkt. Sicher sieht er bei uns Dinge, denen er nicht zustimmen würde, Dinge, von denen er vermutlich gerne hätte, dass wir sie ändern, aber das ist nicht das, was für ihn zählt. Für ihn zählt Jesus zu lieben und das ist alles.

Wenn es nun wirklich zu einer Einigung käme, würde die FSSPX dann aufgrund von Regularisierungskonditionen Rom das Recht zur Auswahl ihrer Bischofskandidaten überlassen, wenn dabei Ihre eigenen Wünsche unberücksichtigt bleiben?

Das ist es nicht, was der Papst durchsetzen will. Was die Wahl oder die Ernennung eines Oberen in der neuen kanonischen Struktur angeht, fordert Rom, dass wir drei Namen vorlegen, unter diesen würde der Papst den Oberen erwählen, der dann der Bischof sein würde.

Und wenn er sich nun für jemanden entscheiden würde, den sie nicht mögen, wenn Sie also einen anderen vorziehen würden, wäre das ein Problem?

Man kann nicht alle möglichen negativen Situationen durchdenken. Wenn wir drei auszuwählen dürfen, dann meine ich, liegt es an uns, die richtigen auszusuchen.

Manche Leute fragen sich:  Selbst wenn man Sie anerkennt, was würde die Leute dann davon abhalten, sich der Priesterbruderschaft St. Petrus anzuschließen, wenn es keine ausgesprochenen Unterschiede mehr gibt?

Ich denke, es ist die Priesterbruderschaft St. Petrus, die sich allmählich der Priesterbruderschaft St. Pius X. anschließen wird!

Halten Sie es aber doch für möglich, dass es irgendwann einmal zu einer Art Allianz kommt?

Ich denke nicht, dass dies so schnell geschehen wird, da in der Vergangenheit zu viel passiert ist. Sie haben sich von uns getrennt, sie haben behauptet, wir wären schismatisch und so weiter. Und selbst heute noch verharrt ein Teil von ihnen in dieser Position. Deshalb glaube ich nicht, dass das so schnell geschehen wird, selbst im Falle einer Anerkennung, da ihre Behauptungen ja auf etwas basieren. Und ich denke nicht, dass sie bereit sind, an dieser Basis etwas zu ändern. Es wird also noch Anlass für Auseinandersetzungen geben. Ich glaube nicht, dass alles in bester Ordnung ist, so ist es nicht. Die Lage der Kirche ist nicht gut. Deshalb ist es die Aufgabe aller, sich dies vor Augen zu halten und zu überlegen, wie wir aus diesem Schlamassel herauskommen.

 

Video-Interview -: Teil 3

 

Die Lage der Kirche, so wie sie sich derzeit darstellt, entwickelt sich zu einer wirklich chaotischen Situation, was bedeutet, dass es viel Arbeit gibt, und es ist die Aufgabe aller, jedes einzelnen Katholiken, sich zu überlegen, was aktiv oder passiv zu tun ist, um zu einer normalen Situation der Kirche zurückzukehren. Ich denke also nicht, dass eine kanonische Anerkennung das Problem beseitigen könnte. Das Problem sind ja nicht wir. Das Problem liegt in der Kirche und ist genau das, was wir gerade sehen, nämlich Verwirrung auf allen Ebenen - der Moral, der Lehre.

Sehen Sie sich in dem bestätigt, was sie schon seit etwa 30 Jahren sagen?

Ich sehe das als eine Stufe, die beweist, wie richtig wir lagen, was nicht heißt, dass es schon zu Ende ist. Keineswegs.

 Und welche Gewähr gibt es im Falle einer Regularisierung, dass Sie weiterhin so kritisch sein können, wenn es notwendig ist?

Seit ungefähr zwei Jahren erheben sich auch andere Stimmen. Diese Tatsache ist eine praktische Garantie. Wir sind nicht mehr die Einzigen. Wenn wir die Einzigen gewesen wären, hätte das eine Sorge sein können, aber jetzt, da viele andere Stimmen laut werden, wird es zur Regel, also etwas Normales. Und die Obrigkeit ist drauf und dran, Einfluss zu verlieren, weil die Lage so ernst ist. Ich denke, darum ist man jetzt langsam froh über jede Stimme, die diese Situation beim Namen nennt.

Als weitere Bedingung ist vorgeschlagen worden, dass der Obere der FSSPX vielleicht ein Kardinal sein sollte. Ist das etwas, worauf Sie bestehen würden?

Nein, es ist wirklich Sache des Papstes, diese Dinge zu entscheiden und sich seine Berater auszusuchen, weil die Kardinäle ja seine Berater sein sollen. Also nein, ich meine, wir haben unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, an unserem Platz zu bleiben und dort unsere Arbeit zu machen, und nicht zu träumen. Ich glaube nicht, dass sich mit dem Kardinalsrang irgendetwas ändern würde. Welchen Posten, welches Amt oder welche Arbeit wir auch immer erhalten, wir müssen unsere Aufgabe vor Gotte erfüllen, und das ist alles.

Wegen der Probleme, die Sie mit dem Konzil haben: Ist es für Sie im Falle einer Regularisierung in Ordnung, dass diese Probleme so weiterbestehen, oder werden Sie gewissermaßen darauf bestehen, dass diese in irgend einer Weise geändert oder berichtigt werden?

Rom sieht vor, dass die Diskussionen über diese Punkte weitergeführt werden. Deshalb werden wir auf jeden Fall weiter auf Korrekturen drängen und ich glaube, teilweise beginnt man dort, diese Dringlichkeit zu verstehen.

Und wenn es keine Berichtigungen gibt, wenn Sie da keinerlei Bewegung sehen?

Nun, wir werden geduldig sein. Sie werden kommen.

Wie sicher sind Sie, die Gläubigen der Priesterbruderschaft hinter sich zu haben? Es ist beispielsweise kaum anzunehmen, dass sie Kapitel 8 von Amoris Laetitia befürworten.

Niemand befürwortet das!

Könnte jedoch so eine Sache bei den Gläubigen Skepsis und Vorbehalt gegenüber einer vollen Gemeinschaft, bzw. einer Regularisierung verstärken?

Ich glaube, wenn man nicht das Gesamte sieht, könnte man meinen, es sei verrückt, jetzt ein Übereinkommen anzustreben. Von daher wird es durchaus Arbeit und Zeit benötigen, um die Gläubigen, diese neue Phase in der Geschichte der Kirche, diese neue Wirklichkeit bewusst zu machen. Wir leben in einer Wirklichkeit, wir müssen sie möglichst eindeutig, möglichst genau erfassen, um ihr richtig zu begegnen. Zu sagen, wir machen nichts, weil die Sache so schlimm ist, ist auf gar keinen Fall das, was Gott, Unser Herr, von seinen Aposteln erwartet.

Ein weiteres Problem betrifft die Möglichkeit weiblicher Diakone. Wird es durch eine Sache wie diese nicht noch schwieriger für Sie, die Gläubigen bei sich zu halten?

Das ist nur eine weitere Sache, es ändert nichts an dem zugrunde liegenden Problem. Für die Kirche ist dies nur ein weiteres Element  in der Tragödie, die sie durchlebt und welche darin besteht, dass Verwirrung erzeugt wird, Etikettenschwindel betrieben wird, indem man frühere Gegebenheiten auf heutige Dinge anwendet, aber eben nicht in der gleichen Weise. Man findet den Namen „Diakonisse“ in der Heiligen Schrift, wo Paulus über Diakonissen spricht. Das war jedoch kein sakramentales Amt, es hatte also gar nichts damit zu tun. Es war einfach nur ein Dienst, eine Hilfe sozusagen, welcher damals dem Dienst ähnlich war, der von den Diakonen erwartet wurde. Aber dieser Dienst fand auf einer anderen Ebene statt, da der Diakon über die Kraft des Sakraments verfügte, die den Diakonissen von damals nicht gegeben war. Man vermischt also diese Dinge und erzeugt dadurch noch mehr Verwirrung. Und natürlich - und hier spreche ich einen überaus heiklen Punkt an - wissen wir auch, dass die Modernisten weibliche Priester und Bischöfe einführen wollen. Das ist deswegen interessant, da Rom - um genau dies zu verhindern -  es als Sünde gegen den Glauben definiert hat. Wenn jemand weibliche Priester und Bischöfe fordert, steht er außerhalb der Kirche und hat seinen Glauben verloren.

Denken Sie, dass dies möglichweise auch der Hintergedanke dieses Vorschlags ist? 

Nicht unbedingt was den Papst anbelangt, da dieser, um das noch einmal sagen, keine ideologische Strategie verfolgt. Er sieht das aus einem anderen Blickwinkel. Aber es gibt Leute, die diesen Hintergedanken haben und diese Sache für diese Ziele nutzen. Das ist ganz klar.

Glauben Sie, dass der Papst bei Ihren Treffen dem Gehör schenkt, was Sie sagen?

Das tut er mit Sicherheit. Aber ich denke nicht, dass er über die Lehre sprechen will. Wir sprechen also darüber, Seelen zu retten und über die Möglichkeiten, das zu erreichen.

Die Lehre steht bei ihm jedoch an zweiter Stelle?

Aus seiner Sicht, was den Umgang mit Problemen betrifft, ja, davon bin ich doch recht überzeugt.

Haben Sie bisweilen die Sorge, dass er Sie - wie manche Leute meinen - nur eingliedern will, um Ihnen dadurch den Stachel zu ziehen und Sie zum Schweigen zu bringen?

Das ist nicht seine Sichtweise. Ich würde das Gegenteil sagen. Ich denke, er ist jemand, der den Nutzen einer Meinungsverschiedenheit sieht. Und er ist ja auch selbst sehr provokativ. Ich schätze ihn eher so ein, dass er es gutheißt, wenn wir kampfbereit sind und herausfordern, und dadurch eine neue Situation zu schaffen, die möglicherweise - auf eine hegelsche Art und Weise - die Lage verbessern würde. Selbstverständlich sind wir gegen solch einen dialektischen Ansatz, aber so könnte es sein. Ich kann hier allerdings keine sichere Aussage treffen.

Bezüglich Bischof Williamson, was halten Sie von der jüngsten Bischofsweihe, um die - wie er es nennt - „Widerstandsbewegung“ zu stärken. Bereitet Ihnen das Sorge, und wie reagieren Sie darauf?

Nein, für mich ist er weg - was bedauerlich ist, sehr bedauerlich. Er ist weg und hat jetzt nur einen weiteren Schritt in den Abgrund gemacht. Es ist ein Steinwurf ins Wasser und verändert gar nichts. Es hilft in keinster Weise. Es ist ein gewaltiger Fehler, und nun ja, beten wir für ihn.

Einige Ihrer Kritiker würden gerne wissen, ob Sie sich wohl der Ironie bewusst sind, die darin liegt, ihn wegen Ungehorsams auszuschließen, wobei Sie nach deren Meinung selbst Rom gegenüber ungehorsam sind.

Wir behaupten ja gerade, dass wir nicht ungehorsam sind. Man kann sagen, wir halten das Prinzip des Gehorsams als ein Muss aufrecht. Was immer der Papst deshalb fordert, und was katholisch ist und dem entspricht, was die Kirche immer gefordert und getan hat, wir unterwerfen uns dem und befolgen es. Wir sind also nicht per Prinzip ungehorsam. Und Gehorsam ist ein durch und durch katholisches Prinzip.

Heute ist das Fest Unserer Lieben Frau von Fatima.  Es heißt, dass ein noch nicht enthüllter Aspekt des Dritten Geheimnisses besagt, dass der Glaubensabfall „an der Spitze“ beginnen wird [Alice von Hildebrand bezeugt die Richtigkeit dieser Aussage, die ursprünglich von Kardinal Luigi Ciappi stammt]. Was sagen Sie dazu?

Ich entsinne mich keiner derartigen Aussage, die offiziell in der Botschaft von Fatima oder dem Geheimnis enthalten ist. Es gibt eine Menge Rekonstruierungen, Hypothesen. Was klar auf der Hand liegt ist, dass nicht alles veröffentlicht wurde. Schwester Lucia hat in ihrem dritten Bericht Worte der Mutter Gottes mit einem „et cetera“ widergegeben. Und in dem, was von Rom vorgelegt wurde, gibt es keine Worte, da gibt es nur eine Vision. Hier fehlt also eindeutig etwas. Also, was ist es? Es gibt große Bemühungen, diesen Teil anhand von Äußerungen jener zu rekonstruieren, die den Bericht gelesen haben. Und das ist natürlich sehr interessant. Wir können mit Sicherheit sagen, dass es mit dem Glauben zu tun hat. Papst Benedikt XVI., damals noch Kardinal Joseph Ratzinger, hat gesagt, dass es  die Gefahren berührt, die den Glauben bedrohen, und sich nicht nur auf die Vision beschränkt. Nachdem Pater Fuentes mit Schwester Lucia gesprochen hatte, verfasste er einen Bericht, in welchem er feststellt, dass es sich nicht unbedingt um die ganze Botschaft oder das Geheimnis, sondern ihre Auslegung davon. Und sie spricht da von einer teuflischen Verwirrung, und das betrifft natürlich die Spitze. Und ich denke, damit sind wir jetzt konfrontiert.

Wie wird es Ihrer Meinung nach in der Kirche weitergehen?

Das menschliche Vorgehen zu definieren ist sehr schwierig. Wenn Gott dieses menschliche Vorgehen weiterhin zulässt, gibt es ein großes Chaos. Das haben wir bereits. Aber es wir noch schlimmer, noch verworrener. Papst Benedikt hat noch als Kardinal ein Buch, „Salz der Erde“, veröffentlicht, in welchem er den Verfall der Kirche in kleine Gruppen beschreibt, mit kleinen Inseln, Oasen. Darum, ja, wenn Gott zulässt, dass sich die Dinge, wie sie jetzt sind, so weiterentwickeln, dann wird das genau die Situation sein, die uns bevorsteht. Es wird kleine Stellungen des Katholizismus inmitten eines großen Sturmes, eines großen Aufruhrs geben.

Und die Hauptursache liegt darin, dass man in der Kirche den Menschen an die Stelle Gottes setzt. Würden Sie das so sagen? 

Auf jeden Fall. Die Kirche ist in erster Linie göttlich. Das heißt, sie ist auf das Übernatürliche hin geordnet. Und wenn man versucht, darüber hinwegzutäuschen und  sie herabzieht, und in Ziel und Mittel auf den Menschen hin ordnet, dann löst man sie auf, man vernichtet sie. Natürlich kann die Kirche nicht zerstört werden, aber auf diese Weise tut man alles, was dazu führt.

Sehen Sie das als eine Finsternis der Kirche?

Das wurde in La Salette so gesagt. Finsternis bedeutet, dass etwas zwar noch vorhanden ist, aber man es nicht mehr sieht - für eine Weile. Wird Gott es so weit kommen lassen? Also, ich habe keinen Zweifel, dass sich die Leute bereits jetzt fragen: „Wo ist die Kirche?“. Möglicherweise ist es also schon soweit.

Übersetzt mit freundlicher Genehmigung von National Catholic Register