Übertragung des hl. Hauses von Loreto
Der Zweck dieses Festes ist, dem gütigen Gott zu danken für die große Wohltat, die Er durch diese Übertragung des heiligen Hauses den Katholiken des Abendlandes erzeigte. Als nämlich durch den unglücklichen Ausgang der Kreuzzüge das heilige Land im Jahr 1291 wieder ganz in die Hände des türkischen Sultans Kalil fiel, welcher 25.000 Christen ermorden, andere 200.000 in die Sklaverei schleppen ließ, rettete Gott durch wunderbare Übertragung auf katholischen Boden das niedrige und doch so unendlich erhabene Haus, in welchem die gnadenvolle Jungfrau Maria die Botschaft des Engels empfing, das Heilige Wort durch ihre Zustimmung Fleisch wurde und unter uns zu wohnen begann.
Als Zeugen für die Wahrheit dieses Wunders stehen nicht nur die Annalen der Kirche und die Geschichtsschreiber von Loreto, wie Tursellini und Martonelli ein, sondern auch Forscher ersten Ranges, wie Papebrock, Alexander Natalis, Benedikt XIV., Trambelli und Hammon. Dieser letztere sehr gelehrte Schriftsteller berichtet:
Im Jahre 1291, als Papst Nikolaus IV. den Stuhl Petri zierte und die Christen vollständig die heiligen Stätten in Palästina verloren hatten, wurde das Häuschen, in welchem sich die Menschwerdung Jesu Christi vollzog, durch Engelshände nach Dalmatien oder Slawonien auf einen Hügel, Tersate genannt, getragen. Die Wunder, welche dort fast jeden Tag vorkamen, die Untersuchungen, welche Abgeordnete dieses Landes in Nazareth persönlich anstellten, um sich von der wirklichen Übertragung des Hauses nach Dalmatien zu vergewissern, die allgemeine Überzeugung der Völker endlich, die voll andächtigen Staunens von allen Seiten herbeikamen, schienen ein unleugbares Zeugnis des Wunders zu sein.
Nach drei Jahren und sieben Monaten, im Jahre 1294 wurde das heilige Haus plötzlich über das adriatische Meer in das Gebiet von Recanati in einen Wald übertragen. Dieses Ereignis erregte unter den Bewohnern Dalmatiens eine gar schmerzliche Betrübnis. Um sich in etwa zu trösten, bauten sie auf dem Platz, wo das heilige Haus gestanden, eine Kirche, die der Mutter Gottes geweiht und den Franziskanern übergeben wurde; an der Kirchenpforte wurde die Inschrift angebracht: „Hier ist der Ort, an welchem das heilige Haus von Nazareth stand, das jetzt im Gebiete von Recanati verehrt wird.“ Viele Bewohner von Dalmatien siedelten selbst nach Italien über, bauten sich in der Nähe des heiligen Hauses an und errichteten daselbst die Genossenschaft des Corpus Domini (Leib des Herrn).
Diese neue Übertragung machte solches Aufsehen in der Christenheit, dass aus fast ganz Europa eine ungeheure Menge Pilger nach Recanati strömte, um das Haus zu verehren, das seitdem das Haus von Loreto heißt. Aber noch deutlicher sollte dieses Wunder bestätigt werden. Die Einwohner der Provinz schickten sechzehn mit allen nötigen Eigenschaften ausgerüstete Persönlichkeiten nach Dalmatien und dann nach Nazareth, um neue Untersuchungen anzustellen. Indessen ließ sich Gott selbst herbei, die Tatsache zu bekräftigen, indem Er noch zweimal nacheinander im Gebiet von Recanati das Wunder erneuerte. Nach acht Monaten nämlich hatten sich im Walde Räuberbanden festgesetzt, welche die Pilger anhielten. Da wurde plötzlich das heilige Haus um eine Meile weitergetragen und stand nun auf einer kleinen Anhöhe, welche zwei Brüdern gehörte. Da aber diese wieder einander zu den Waffen griffen, weil sie sich über die Teilung der Pilgergaben nicht einigen konnten, wurde das heilige Haus abermals versetzt, und zwar an eine nahe gelegene Stelle, mitten auf die öffentliche Landstraße. Dort ist es geblieben bis auf dem heutigen Tag!
Diese letzte Übertragung geschah am 7. September 1295. Papst Paul II. legte den Grundstein zu der herrlichen Kirche, welche unter Sixtus V. vollendet worden und heute noch eine würdige Zierde des heiligen Hauses ist.
Seit fast sechshundert Jahren ist Loreto eine unerschöpfliche Gnadenquelle, aus welcher unzählbare Erdenpilger die Wasser des Heiles getrunken. Irr- und Ungläubige erhielten hier das übernatürliche Glaubensleben, verstockte Sünder die Liebesreue, Laue ihren ersten Eifer, Kranke ihre Gesundheit, Stumme die Sprache, Taube das Gehör und Blinde das Sehvermögen. Die unzähligen, hier aufbewahrten Votivzeichen sind beredte Zeugen, wie sehr der dreieinige Gott eifert für den Ruhm seiner Tochter, Braut und Mutter und für die Erfüllung ihrer Weissagung: „Siehe, von nun an werden mich alle Geschlechter seligpreisen.“
In dem heiligen Hause zu Loreto haben viele Päpste, Kaiser, Könige und Fürsten ihre Andacht verrichtet, sowie auch eine große Anzahl Heiliger, u.a. der hl. Franz Xaver, der hl. Franz von Sales, der hl. Aloysius, der hl. Karl Borromäus, der hl. Alphons, der hl. Franz von Paula.
Quelle:
Otto Bitschanu, Das Leben der Heiligen Gottes