Die zwölf Verheißungen des göttlichen Herzens Jesu: Das Herz Jesu und die Standesgnaden

„Ich werde ihnen alle in ihrem Stande notwendigen Gnaden geben!“ Dieses Versprechen geht auf den 141. Brief der heiligen Margareta Maria Alacoque an ihren Seelenführer zurück: „Bemühen Sie sich besonders darum, Ordensleute dazu zu bringen, diese Andacht zu praktizieren, werden doch gerade diese viel Hilfe daraus ziehen… Was die Laien betrifft, so werden sie in dieser Andacht alle notwendigen Hilfen für ihren Lebensstand finden: Frieden in ihren Familien, Trost in ihrer Arbeit, den Segen des Himmels auf alle ihre Unternehmungen und Trost in ihren Leiden“.
Diese für den Stand notwendigen Gnaden, oder einfach Standesgnaden, sind eine von Gott verheißene Hilfe zur Erfüllung der "Standespflichten", also der Pflichten, die Stand oder Beruf mit sich bringen; ähnlich den sakramentalen Gnaden, etwa für die christlichen Ehegatten und Eltern, die "in ihrem Lebensstand und in ihrem Wirkbereich ihre besondere Gabe im Gottesvolk" haben (Lumen gentium, 11).
Widerstandskraft nennt sie Dietrich Bonhoeffer, "Gott will uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern auf ihn verlassen." (Widerstand und Ergebung, 1943)
Schon die Apostel hatten eingesehen, dass sie auf ihren Sendgängen gut ausgerüstet waren; auf die Frage des Herrn nämlich, ob ihnen je etwas unterwegs gefehlt habe, antworteten sie mit einem ehrlichen: Nein, nichts! (vgl. Lk 22, 35) Das Herz Jesu stellt ja nicht einseitig Forderungen, ohne dann bei der Erfüllung zu helfen. Wenn Jesus etwa im Bußgericht der Beichte verlangt: Gehe nun, und sündige nicht mehr (vgl. Joh 8, 11), so gibt er auch die wirksame Hilfe dazu (sakramentale Gnade)! „Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass die Prüfung über eure Kraft geht. Er wird euch bei allen Versuchungen den Weg zeigen, auf dem ihr sie bestehen könnt.” (1 Kor 10, 13)
Der große Aquinate kennt die helfende Gnade, “auxilium”, diese gnadenhafte Ausrüstung für die von Gott gegebenen Aufträge (vgl. Summa theologiae I-II: 109-114). Erinnern wir uns doch, wie Moses angesichts der ihm zugemuteten Aufgabe kleinmütig wurde, er sei doch gar nicht in der Lage, vor den Pharao zu treten – bis dann Gott ihn drängt und mit helfenden Gnaden geradezu nötigt, sich dem Auftrag zu beugen. (vgl. Ex 4) Auch Elisäus war recht verzagt, als Elias, seinen geistiger Mentor und Vater, Wagenlenker Israels, ihm durch Entrückung entzogen wurde; doch kam neue Zuversicht, als er erkannte, dass er tatsächlich deine doppelte Portion seines Geistes erhalten hatte zur Bewältigung eben seiner neuen „Standespflichten“ als Prophet. (vgl. 2 Kön 2)
Diese Standesgnaden können natürlich, wenn nicht mehr notwendig, auch wieder zurückgenommen werden. Hatte doch Albert der Große nach eigenem Zeugnis eine besondere Verstandesgabe erhalten, wohl für die Führung seines berühmten Schülers Thomas; nach dessen Verscheiden ward ihm diese Gabe wieder genommen: „Einige Zeit nach 1278 (in diesem Jahr verfasste er sein Testament) erlitt er einen Gedächtnisschwund; sein starker Verstand wurde allmählich getrübt.“ (vgl. Catholic Encyclopedia 1914). Gaben und Talente sind letztlich ein „Getragenwerden“ auf Adlers Fittichen (vgl. Ex 19, 4) eben durch den Herrn, ohne den wir nichts tun können (Joh 15, 5); sie sind sozusagen Leihgaben, mit denen wir wirtschaften sollen, bis der Herr wiederkommt, um zu ernten. Salomon wusste (Ps 127) um die Tatsache, dass alles Schaffen ohne den Herrn vergeblich ist; wird aber göttliche Hilfe geschenkt, dann gelingt das Leben.
Das profunde Bild des geheimnisvollen Leibes der Kirche weist darauf hin, dass diese Standesgnaden weniger für persönlichen Erfolg als vielmehr für das sich gegenseitige Helfen und Ergänzen in der Erbauung der Kirche geschenkt werden, damit „das Auge nicht zur Hand sagen kann: ‘Ich brauche dich nicht’, und der Kopf doch nicht zu den Füßen: ‘Ich verzichte auf euch’.” (1 Kor 12, 21)