Die zwölf Artikel des Glaubens: 7. Von dannen er kommen wird, zu richten die ...
Die zwölf Artikel des Glaubens
7. Von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten
Von Pater Matthias Gaudron
Bei seiner ersten Ankunft an Weihnachten kam Christus, um die Welt zu retten. Aber nicht alle Menschen nehmen ihn als ihren Erlöser an und folgen ihm nach. Darum beginnt in diesem Leben bereits das Gericht der Scheidung der Menschen. Die einen nehmen ihn gläubig an und entgehen damit dem ewigen Verderben; die anderen weisen ihn zurück und verdammen damit sich selbst, weil sie das Heilsangebot Gottes ablehnen. „Soweit es auf den Arzt ankommt, kam er, den Kranken zu heilen“, sagt der hl. Augustinus. „Der tötet sich selbst, der die Vorschriften des Arztes nicht beobachten will. Es kam der Heiland in die Welt. … Du willst dich von ihm nicht heilen lassen? Du wirst von dir aus gerichtet werden“ (In Joan. XII, 12).
Am Ende der Welt wird Christus ein zweites Mal sichtbar kommen, um ein feierliches Endgericht über alle Menschen zu halten und damit die Geschichte dieser Welt zu beenden:
„Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Die Schafe wird er zu seiner Rechten stellen, die Böcke zu seiner Linken“ (Mt 25,31–33).
Warum ein Endgericht?
Das Endgericht wird nichts mehr am persönlichen Schicksal der bereits Verstorbenen ändern. Jeder Mensch wird sogleich nach seinem Tod den Lohn oder die Strafe erhalten, die er verdient hat. Stirbt er im Zustand der schweren Sünde, kommt er in die Hölle; stirbt er im Stand der Gnade, ist er gerettet. Wenn er die Sakramente fruchtbar empfangen sowie die Leiden und Prüfungen des Lebens großherzig angenommen hat, ist er vielleicht schon bereit, sofort in den Himmel einzugehen. Ansonsten muss er noch eine Weile im Fegfeuer zeitliche Strafen für seine Verfehlungen erdulden, denn nichts Unreines kann vor das Angesicht Gottes treten. Das ist das persönliche Gericht.
Die zusätzliche Abhaltung eines Endgerichts ist angemessen, weil die Taten eines Menschen über sein irdisches Leben hinaus Folgen haben – sowohl im Guten wie im Schlechten. So hat das Wirken der Apostel und Missionare ganze Länder auf Jahrhunderte verändert. Ohne einen hl. Bonifatius hätte die Geschichte Deutschlands z. B. anders ausgesehen, ohne einen hl. Petrus Canisius wäre Deutschland vielleicht ein ganz protestantisches Land geworden. Aber auch die Religionsgründung Mohammeds und die Kirchenspaltung Luthers haben ihre verderblichen Folgen bis heute.
Die Bücher und Schriften der Heiligen erleuchten und helfen uns bis heute, aber umgekehrt gibt es auch schlechte Bücher, die eine jahrhundertelange Wirkung entfaltet haben. Die Erziehung und das Beispiel der Eltern haben Folgen für das Leben ihrer Kinder. Letztlich gilt für jeden Menschen, dass er durch seine Worte und Taten auf andere einen Einfluss ausübt. Wir sind keine isoliert lebenden Individuen, sondern beeinflussen uns gegenseitig.
Das alles wird beim Endgericht offenbar werden, und damit wird das oft falsche oder wenigstens einseitige Urteil der Menschen übereinander richtiggestellt werden. Vor allem aber wird dadurch die Weisheit und Gerechtigkeit der Vorsehung Gottes enthüllt werden. In diesem Leben verstehen wir die Ratschlüsse der Vorsehung oft nicht, dann aber werden wir erkennen, warum Gott so viele Übel zugelassen hat und was Gutes daraus entstanden ist. Wir werden sehen, wie Gott versucht hat, jeden Menschen mit Güte und Langmut zum Heil zu führen, und dass es darum wirklich nur die persönliche Schuld und Bosheit war, die das Unheil der Verdammten bewirkte.
Die Umstände des Weltgerichts
Wenn Christus wiederkommt, wird es nicht so heimlich und verborgen geschehen wie seine Geburt an Weihnachten, sondern „wie der Blitz im Osten aufzuckt und bis zum Westen hin leuchtet, so wird es auch mit der Ankunft des Menschensohnes sein“ (Mt 24,27). Keinem Menschen wird das Kommen also verborgen bleiben und alle werden an den Ort des Gerichtes gebracht werden. Wegen Joel 4,2 nehmen manche Theologen an, dieser Ort sei das Tal Josaphat. Jedoch bedeutet Josaphat einfach „der Herr richtet“ und es ist nicht klar, welcher Ort damit gemeint ist. Manche identifizieren es mit dem Kidrontal zwischen dem Jerusalemer Tempelberg und dem Ölberg, aber Sicheres wissen wir nicht.
Der Richter ist Gott, aber er wird das Gericht durch Jesus Christus, den Gottmenschen, vollziehen, denn „der Vater hat das ganze Gericht dem Sohn übergeben, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren“ (Joh 5,22 f.). Das Endgericht wird also eine Verherrlichung der Menschheit Christi sein. Als Mensch hat er die Welt erlöst, als Mensch wird er sie auch richten. Außerdem werden dadurch alle Menschen ihren Richter sehen, auch die Verdammten, die die Gottheit nicht schauen werden.
Die Apostel und andere große Heilige werden an der richterlichen Tätigkeit Christi teilnehmen, wie er selbst verkündet hat: „Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet bei der Erneuerung der Welt, wenn der Menschensohn auf dem Thron seiner Herrlichkeit sitzt, ebenfalls auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten“ (Mt 19,28). Auch der hl. Paulus schreibt: „Wisst ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden?“ (1 Kor 6,2) Nach dem hl. Thomas von Aquin wird dies dadurch geschehen, dass die Heiligen den übrigen Menschen die Gerechtigkeit Gottes enthüllen und ihnen zeigen, welcher Lohn den Einzelnen für ihre Werke gebührt (Suppl. q.89, a.1).
Der Gegenstand des Gerichts ist alles Gute und Böse, das der Mensch getan hat: „Wir alle nämlich müssen vor dem Richterstuhl Christi erscheinen, damit jeder den Lohn für das Gute oder Böse empfange, das er in seinem irdischen Leben getan hat“ (2 Kor 5,10). Der Herr „wird auch, was in der Finsternis verborgen ist, ans Licht bringen und die Gedanken der Herzen offenbar machen“ (1 Kor 4,5). Die Sünden der Verdammten werden zu deren Beschämung allen bekanntgemacht werden, und die guten Werke der Heiligen werden ebenso allen verkündet werden. Allerdings werden auch die Sünden der Geretteten nicht verborgen bleiben, aber dies wird nicht zu ihrer Beschämung dienen, sondern zur Verherrlichung Gottes, der sie durch alle Verfehlungen hindurch doch zum guten Ziel geleitet hat. Zudem wird auch die Buße bekannt werden, die die Heiligen für ihre Sünden verrichtet haben. Das Wort Christi wird also in Erfüllung gehen: „Nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt, nichts geheim, was nicht bekannt würde“ (Mt 10,26).
Wahrscheinlich werden die Sünden und Verdienste der einzelnen Menschen aber nicht in einem endlosen Nacheinander bekannt gemacht werden, sondern alle werden durch innere Erleuchtung die Verdienste und Verfehlungen ihrer Mitmenschen erkennen. So sagt schon der hl. Basilius: „Es ist wahrscheinlich, dass durch eine unaussprechliche Kraft jede Tat unseres Lebens in einem bloßen Zeitaugenblick wie auf einer Tafel eingegraben steht“ (In Joan. 1,18), und dies ist auch die Meinung des hl. Thomas. Die Bücher, die nach Apk 20,12 beim Endgericht aufgeschlagen werden und in denen die Werke aller Menschen aufgezeichnet sind, sind natürlich nur ein Symbol der Allwissenheit Gottes.
Vorzeichen der Wiederkunft Christi
Der Zeitpunkt der Wiederkunft Christi ist uns verborgen, und niemand kann das Ende der Welt vorausberechnen: „Jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel des Himmels, auch nicht der Sohn, sondern nur der Vater allein“ (Mt 24,36). „Euch kommt es nicht zu, Zeit und Stunde zu kennen, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat“ (Apg 1,7). Dennoch haben Christus und die Apostel einige Ereignisse angekündigt, die vor dem Ende der Welt eintreten werden und die man darum als Vorzeichen der Wiederkunft Christi betrachten kann.
Zunächst sagt Christus: „Dieses Evangelium vom Reich wird in der ganzen Welt verkündet werden, zum Zeugnis für alle Völker. – Dann erst kommt das Ende“ (Mt 24,14). Diese Bedingung war viele Jahrhunderte lang nicht erfüllt, weil ganze Erdteile noch nichts von Christus gehört hatten. Heute scheint sie jedoch erfüllt zu sein.
Ein wichtiges Vorzeichen für das Näherrücken des Endes wird die Bekehrung der Juden sein, denn der hl. Paulus schreibt:
„Die Verstocktheit ist über einen Teil von Israel gekommen, bis die Vollzahl der Heiden eingetreten ist. Und so wird ganz Israel gerettet werden. Steht doch geschrieben: ‚Es wird der Retter aus Zion kommen und hinwegschaffen die Gottlosigkeit von Jakob. Das ist mein Bund mit ihnen, wenn ich wegnehme ihre Sünden.‘ … Gottes Gnadengaben und Berufung sind unwiderruflich. Wie ihr einst gegen Gott ungehorsam wart, aber infolge ihres Ungehorsams mit Erbarmen beschenkt worden seid, so sind sie jetzt auch wegen der Barmherzigkeit gegen euch ungehorsam geworden, damit sie jetzt auch mit Erbarmen beschenkt werden“ (Röm 11,25–31).
Die Juden werden sich also in so großer Zahl zu Christus bekehren, dass man mit Recht wird sagen können, das ganze Volk habe nun zu Christus gefunden, mögen auch einzelne in ihrer Ablehnung Jesu Christi verharren. Dieses Ereignis ist offenbar noch nicht eingetreten.
Den Thessalonichern, die die Wiederkunft Christi irrtümlich für unmittelbar bevorstehend hielten, gibt Paulus zwei weitere Vorbedingungen:
„Zuvor muss der Abfall kommen und offenbar werden der Mensch der Gesetzlosigkeit, der Sohn des Verderbens, der Widersacher, der sich über Gott und alles Heilige erhebt, sich in den Tempel Gottes setzt und sich für Gott ausgibt“ (2 Thess 2,3 f.).
Es wird also zu einem großen Glaubensabfall von Christus und seiner Kirche kommen, dem das Auftreten des Antichristen folgt. Schwere Glaubenskrisen hat es in der Geschichte der Kirche schon mehrmals gegeben, und in den großen Christenverfolgern kann man Vorläufer des Antichristen sehen. Vielleicht ist die schwere Glaubens- und Kirchenkrise, in der wir seit etwa 50 Jahren leben, der von Paulus verkündete große Glaubensabfall, aber der eigentliche Antichrist scheint noch nicht aufgetreten zu sein. Zudem muss auf das Auftreten des Antichristen nicht sogleich das Ende der Welt folgen. Auf den Sturz des Antichristen könnte sogar noch einmal eine Epoche folgen, in der der katholische Glaube blüht, wie Apk 20,1–6 anzudeuten scheint.
Die Vorzeichen der Wiederkunft Christi sind also in ein gewisses Dunkel gehüllt, weswegen man nie sicher sagen kann, das Ende der Welt stehe unmittelbar bevor. Die Worte der Heiligen Schrift zeigen aber, dass der Christ mit Drangsalen und Verfolgungen rechnen muss, in denen es auszuharren gilt, denn für jeden einzelnen Menschen kommt Christus in der Todesstunde wieder, die wir auch nicht sicher vorherbestimmen können. „Seid also wachsam; denn ihr kennt weder den Tag noch die Stunde!“ (Mt 25,13)