Die zwölf Artikel des Glaubens: 10. Gemeinschaft der Heiligen, Nachlass der Sünden

Quelle: Distrikt Deutschland

Von Pater Matthias Gaudron

Die Gemeinschaft der Heiligen wird meist noch zum vorhergehenden Glaubensartikel, dem Glauben an die Kirche, gezählt. Aus Platzgründen behandeln wir diesen Gegenstand erst hier.

Die Gemeinschaft der Heiligen

Zur Gemeinschaft der Heiligen gehören alle, die die heiligmachende Gnade besitzen, also die lebendigen Glieder der streitenden Kirche auf Erden, die Armen Seelen im Fegfeuer (das ist die leidende Kirche) und die Seelen, die bereits in der himmlischen Glorie sind und deshalb zur triumphierenden Kirche gehören. Der hl. Thomas v. Aquin schreibt in seiner Auslegung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses:

Wie in einem natürlichen Körper das Wirken eines Gliedes zum Wohl des ganzen Leibes gereicht, so ist es auch im geistigen Leib, nämlich der Kirche. Und weil alle Gläubigen einen Leib bilden, wird das Gut des einen dem anderen mitgeteilt. Daher muss man glauben …, dass in der Kirche eine Gemeinschaft der Güter besteht, und dies nennt man die Gemeinschaft der Heiligen (In symb. 10).

So strömt die Gnade von Christus als dem Haupt auf seine Glieder über. Aber auch die Güter eines Gliedes kommen allen zugute. So schreibt der Römische Katechismus:

Was nur immer Frommes und Heiliges von einem unternommen wird, das gehört allen zu, und die Liebe, welche nicht das Ihrige sucht, bewirkt, dass es auch ihnen zugutekommt (I, 10,25).

Natürlich folgt daraus auch, dass der ganze Leib leidet, wenn ein Glied seine Aufgaben nicht erfüllt. Wenn ein Christ ein laues oder schlechtes Leben führt, fehlen dem mystischen Leib die Gnaden, die er verdienen sollte. So kann man das Wort des hl. Paulus verstehen: „Leidet ein Glied, so leiden alle anderen Glieder mit; erfährt ein Glied Ehre, so freuen sich alle anderen Glieder mit“ (1 Kor 12,26).

Diese Gemeinschaft besteht über den Tod hinaus. Die Heiligen des Himmels bringen Gott ihre Verdienste auch für die noch auf Erden lebenden Gläubigen dar und treten durch ihre Fürbitte für sie ein. Darum sagte der hl. Dominikus bei seinem Tod: „Weint nicht, denn nach meinem Tod werde ich euch mehr nützen und euch wirksamer unterstützen als während meines Lebens“ (Jordan der Sachse, lib. 93).

Den Armen Seelen im Fegfeuer können wir durch unsere Gebete, Ablässe und guten Werke helfen, und vor allem, indem wir das Messopfer für sie feiern lassen. Die Armen Seelen können ihrerseits durch ihre Fürbitte für uns eintreten, und sie werden uns besonders helfen, wenn sie durch unsere Mithilfe aus dem Fegfeuer befreit wurden und sich der Seligkeit des Himmels erfreuen.

Nachlass der Sünden

Schon im Alten Testament spricht Gott durch seinen Propheten: „So wahr ich lebe, … ich habe kein Wohlgefallen am Tod des Sünders, sondern daran, dass sich der Sünder von seinem Weg bekehre und lebe“ (Ez 33,11). Gott hat seiner Kirche darum die Vollmacht gegeben, alle Sünden nachzulassen. Am Abend des Ostertags erschien Jesus seinen Aposteln, „hauchte sie an und sagte zu ihnen: ‚Empfanget den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten‘“ (Joh 20,22 f.). Diese Vergebung ist eine wahre Reinigung von der Sünde und nicht nur ein Zudecken und Nichtanrechnen der Sünde, wie Martin Luther behauptete: „Wenn eure Sünden auch rot sind wie Scharlach, weiß sollen sie werden wie Schnee. Wenn sie auch rot sind wie Purpur, weiß sollen sie werden wie Wolle“ (Is 1,18).

Taufe und Beichte

Den ersten Nachlass der Sünden gewährt das Sakrament der Taufe, durch das nicht nur die Erbsünde vergeben wird, sondern auch alle persönlichen Sünden sowie alle Sündenstrafen. Die Taufe ist also wahrhaft „das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist“ (Tit 3,5); durch sie stirbt der alte Mensch und steht zu einem neuen Leben auf (vgl. Röm 6,4).

Durch die Taufe werden wir jedoch nicht von der Schwachheit unserer Natur befreit. Es bleibt eine gewisse geistige Blindheit zurück, deretwegen uns die Sünde oft als etwas Geringes und wenig Schwerwiegendes erscheint, eine Schwäche des Willens, der in seinen Entschlüssen schwankend ist, und die ungeordnete Begierlichkeit, die zur Befriedigung der sinnlichen Triebe auch gegen die rechte Vernunft und das Gebot Gottes drängt. Darum war es notwendig,

dass in der Kirche die Gewalt bestehe, Sünden noch auf eine andere Weise als durch das Sakrament der Taufe nachzulassen. So sind ihr die Schlüssel des Himmelreiches anvertraut, wodurch einem jeden Reuigen, auch wenn er bis zum letzten Lebenstag fortgesündigt hätte, die Sünden vergeben werden können (Röm. Katechismus I, 11,4).

Das Sakrament der Buße ist darum eine zweite Rettungsplanke und wurde von den Vätern bisweilen als eine „mühevolle Taufe“ bezeichnet, denn im Gegensatz zur Taufe ist in der Beichte das Bekenntnis der Sünden und die Erfüllung einer Buße notwendig (vgl. Konzil v. Trient, DH 1672). In der Beichte wird zwar die ganze Sündenschuld nachgelassen, nicht aber die gesamte zeitliche Strafe, die wir für unsere Sünden verdient haben. Für eine gebeichtete Sünde kann man darum zwar nicht mehr in die Hölle, aber doch noch ins Fegfeuer kommen. Trotzdem ist auch die Beichte ein großes Geschenk der Barmherzigkeit Gottes: Mag jemand auch die schwersten Sünden und die abscheulichsten Verbrechen begangen haben, für die er verdienen würde, auf ewig in die Hölle geworfen zu werden, so muss er nur reumütig seine Sünden einem Priester bekennen, und in einem Augenblick wird seine ganze Schuld von ihm genommen. Der Sünder darf mit dem beglückenden Bewusstsein den Beichtstuhl verlassen, dass nun alles wieder gut ist. So einfach hat es Gott uns gemacht.

Auch das Sakrament der Krankenölung kann die Sünden tilgen. An sich zwar muss derjenige, der sich schwerer Sünden bewusst ist, vor ihrem Empfang beichten. Wenn der Kranke dazu aber schon nicht mehr in der Lage ist, kann er durch die Ölung auch die Verzeihung seiner Sünden erlangen.

Die Reue

Voraussetzung für den Nachlass der Sünden ist die Reue. Niemand kann ohne Reue die Verzeihung seiner Sünden erlangen, da er ohne Reue ja an seiner Abwendung von Gott festhält. Man unterscheidet hier die unvollkommene von der vollkommenen Reue.

Die unvollkommene Reue hat als Motiv die Furcht vor der gerechten Strafe, die man für seine Sünden verdient hat. Diese Reue hat, wer anerkennt, dass Gott ihn gerechterweise mit der Hölle oder dem Fegfeuer für seine Sünden bestrafen kann, und sich deshalb von seinen Sünden abwendet. Eine solche Reue hatten die Niniviter, die auf die Drohung des Propheten Jonas hin, Gott werde ihre Stadt in 40 Tagen vernichten, in Sack und Asche Buße taten (Jon 3). Diese unvollkommene Reue ist eine wahrhaft übernatürliche Reue und genügt für die Beichte (sowie für die Krankenölung).

Die vollkommene Reue hat ihr Motiv dagegen in der Liebe zu Gott. Hier bereut man seine Sünden nicht nur wegen der Strafe, die man für sie verdient hat, sondern weil man Gott durch sie beleidigt hat. Zu dieser Reue gelangt man durch die Betrachtung der Wohltaten Gottes. Gott erweist sich uns gegenüber immer als gütiger Vater, er hat uns viele natürliche und übernatürliche Güter geschenkt, wir aber tun immer wieder so, als wäre das alles nichts, und weisen seine Liebe zurück. Vor allem die Betrachtung des Leidens Christi ist geeignet, in uns die Liebesreue zu erwecken, denn wir müssten ein Herz von Stein haben, wenn es uns gleichgültig ließe, was der Heiland alles für unsere Sünden leiden musste.

Die vollkommene Reue hat gegenüber der unvollkommenen Reue den Vorzug, dass sie einem Sünder sofort – also noch vor der Beichte – die Gnade wiedererlangt, da der Stand der schweren Sünde und die Liebe zu Gott nicht gleichzeitig in der Seele vorhanden sein können. Trotzdem müssen die Sünden natürlich noch gebeichtet werden. Vor allem für den Empfang der hl. Kommunion genügt es nicht, einen Akt der Liebesreue für seine schweren Sünden zu erwecken, sondern wer sich solcher Sünden bewusst ist, muss erst beichten, bevor er wieder zur Kommunionbank hinzutritt. Die vollkommene Reue schließt auch den Wunsch nach der Beichte ein, denn wer Gott liebt, möchte alles tun, was Gott zur Verzeihung der Sünden angeordnet hat. Man soll sich aber oft um die Erweckung der Liebesreue bemühen, vor allem wenn man in eine schwere Sünde gefallen ist, um möglichst bald wieder den Stand der Gotteskindschaft zu erlangen. Vor allem in der Todesgefahr kann die vollkommene Reue das einzige Rettungsmittel sein, wenn man nämlich keine Möglichkeit mehr hat zu beichten.

Der Nachlass der zeitlichen Strafen

Die sakramentale Buße, die der Priester bei der Beichte aufgibt, tilgt wenigstens einen Teil der zeitlichen Sündenstrafen. Durch weitere Gebete und Opfer kann man diese Strafen noch weiter abtragen. Vor allem ist es wichtig, das tägliche Kreuz, also die Mühen, Krankheiten, Enttäuschungen und sonstigen Schwierigkeiten, die uns allzeit begegnen, als Buße für unsere Sünden anzunehmen. Der Pfarrer von Ars sagte in einer Predigt: „Eines Tages werden wir sehen, dass wir bloß durch das Ertragen der unausbleiblichen kleinen Unannehmlichkeiten des Lebens der Gerechtigkeit Gottes hätten Genüge tun können.“

Ein besonderes Mittel, die zeitlichen Sündenstrafen zu tilgen, schenkt uns die Kirche im Ablass. Dieser ist nicht – wie die Beichte – für die Verzeihung der Sündenschuld eingesetzt, sondern einzig für den Nachlass der zeitlichen Sündenstrafen, die nach der Vergebung der Sündenschuld noch zurückgeblieben sind. Wer einen vollkommenen Ablass gewinnt, erlangt den Nachlass sämtlicher Sündenstrafen. Dazu ist neben der Erfüllung des aufgegebenen Werkes, der Beichte, der hl. Kommunion und einem Gebet in der Meinung des Hl. Vaters aber auch die Freiheit von jeder Anhänglichkeit an die Sünde erforderlich. Wer einen vollkommenen Ablass gewinnen will, muss also fest entschlossen sein, jede Sünde, selbst die lässliche, zu meiden. Wegen dieser Bedingung ist es nicht leicht, einen vollkommenen Ablass zu gewinnen, aber wenigstens wird man einen Teilablass erhalten, wenn man die vorgeschriebenen Werke und Gebete in guter Gesinnung verrichtet.

Trotz unserer moralischen Schwäche und Geneigtheit zur Sünde haben wir also viele Möglichkeiten, nicht nur die Reinheit unserer Seele zurückzuerlangen, sondern auch unser Fegfeuer abzukürzen oder sogar ganz zu vermeiden.