Zum Pfingstfest
Am 50. Tag nach seiner Auferstehung hat der Heiland sein Versprechen wahr gemacht und seiner Kirche den Heiligen Geist gesandt. Erst mit dieser Ausgießung des Heiligen Geistes über die Apostel ist das Erlösungswerk vollendet und beginnt die Kirche ihre Wirksamkeit.
Der Heilige Geist geht in Gott aus der Liebe von Vater und Sohn aus. Der Sohn geht nur vom Vater aus, und zwar aus dessen Erkenntnis, und ist darum das Wort oder die Weisheit. Der Heilige Geist geht dagegen aus der Liebe von Vater und Sohn hervor. Der hl. Augustinus findet in unserer Seele, die ja nach dem Bild Gottes geschaffen ist, eine Spur der allerheiligsten Dreifaltigkeit, insofern unsere Seele einen Verstand hat, der erkennt, und einen Willen, der liebt. Aus unserem Verstand und Willen geht jedoch keine neue Person hervor, bei Gott hingegen schon. Der Gedanke oder das geistige Wort Gottes ist selbst eine göttliche Person, und auch das Produkt, das aus der Liebe Gottes hervorgeht, ist eine Person.
Um die Innigkeit der Vereinigung zweier Personen auszudrücken, sagen wir, sie seien eines Geistes. Kraft ihrer Liebe leben sie füreinander und ineinander. Der Hauch der Liebe bedeutet das Streben der Liebenden, ihr Leben dem jeweils anderen einzugießen. So versetzt sich der Liebende gewissermaßen in den Geliebten, indem er alles, was dieser leidet und empfindet, aufnimmt, als leide und empfinde er es selber. Dieses Streben, das Leben ineinander überzugießen, findet seinen Ausdruck im Kuss. Darum nennen die Väter den Heiligen Geist osculum Patris et Filii – Kuss von Vater und Sohn. Der hl. Bernhard nennt ihn osculum suavissimum, sed secretissimum – den süßesten, aber geheimnisvollsten Kuss.
Nirgendwo sind zwei Personen so vereint wie Vater und Sohn in Gott. Es sind ja nicht zwei Götter, die einander lieben, sondern sie besitzen nur ein Leben, sind wahrhaft ein Geist durch den gemeinsamen Besitz der einen göttlichen Natur. Daher gießen Vater und Sohn ihren Lebensodem nicht ineinander über, sondern gießen ihn aus ihrem gemeinsamen Herzen in eine dritte Person aus. Wie der Hauch ein Bild für die Mitteilung und Ausgießung des Lebens ist, so ist der Heilige Geist als Hauch der Liebe eine Person, die das ganze göttliche Leben besitzt.
Die Hauchung des Heiligen Geistes ist also ein beständiger Strom der Liebe, in dem Vater und Sohn ihr Wesen in den Heiligen Geist überströmen. Darum wird er durch den Sturmwind (an Pfingsten) dargestellt, oder auch durch die sprudelnde Quelle. „Fons vivus, ignis, caritas – lebendige Quelle, Feuer, Liebe“, nennt ihn der Pfingsthymnus Veni Creator). Oder denken wir an die Worte im Johannesevangelium 7,37–39, wo Jesus sagt: „‚Wen dürstet, der komme zu mir und trinke. Wer an mich glaubt – wie die Schrift sagt –, aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.’ Damit meinte er den Geist, den jene empfangen sollten, die an ihn glauben.“
Weil der Heilige Geist die Liebe ist, ist er auch die Gabe der göttlichen Liebe an uns. „Gabe des höchsten Gottes – donum Dei altissimi“, nennt ihn der Pfingsthymnus. Der hl. Paulus schreibt gerne von diesem Geschenk des Heiligen Geistes: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5). In 2 Kor 5,5 und Eph 1,14 bezeichnet er den Heiligen Geist sogar als das Angeld, das uns also als Pfand dafür gegeben ist, dass wir auch die volle Erlösung und Herrlichkeit noch erlangen werden.
Die Liebe ist ja das erste und wichtigste Geschenk, das wir uns wünschen. Ein Geschenk, das nicht aus Liebe gemacht wird, freut uns nicht. So ist der Heilige Geist das erste und wichtigste Geschenk Gottes an uns und durch ihn schenkt uns Gott auch alle weiteren Güter. Darum ist er unser Heiligmacher.
Die Apostelgeschichte schildert die erstaunliche Wirkung des Pfingstereignisses in den Aposteln. Das Kommen des Heiligen Geistes wandelte die Apostel wirklich um. In den zwei, drei Jahren mit dem Herrn hatten sie offenbar nur wenige Fortschritte in der Vollkommenheit gemacht, denn sie verstanden den Herrn oft nicht, sie verzweifelten fast angesichts seines Leidens und kamen nur schwer zum Glauben an die Auferstehung. Mit dem Kommen des Heiligen Geistes legten sie aber ihre Furchtsamkeit und Kleingläubigkeit ab und verkündeten nun mit viel Mut und Weisheit den Glauben.
Alle Christen haben den Heiligen Geist empfangen: zunächst in der Taufe und in neuer Weise dann bei der Firmung, die gewissermaßen das persönliche Pfingsten eines jeden Christen ist. Wir müssen den Heiligen Geist darum bitten, in uns ähnliche Wirkungen hervorzubringen wie in den Aposteln. Weil wir uns den Heiligen Geist nicht so gut vorstellen können wie den Vater und den Sohn, sind wir in der Gefahr, ihn zu vergessen. Man hat ihn sogar schon die vergessene Person in der Gottheit genannt, und das Pfingstfest hat im christlichen Bewusstsein und Brauchtum nie die gleiche Stellung wie die anderen beiden Hochfeste Weihnachten und Ostern erlangt. Das ist verständlich, aber auch schade, denn es ist gerade der Heilige Geist, der uns heiligen soll. Wir können darum nie genug um den Heiligen Geist und seine Gaben beten.
Es sind zwei Hauptwirkungen, die der Heilige Geist in uns vollbringen will: Die erste ist die Erleuchtung unseres Verstandes. Wir brauchen den Heiligen Geist, um die Wahrheiten unseres Glaubens tief zu verstehen, in allen Dingen den Plan Gottes zu erkennen und auch im praktischen Handeln das Richtige zu treffen. Darum beten wir vor dem christlichen Unterricht oder vor dem Lesen der Heiligen Schrift zum Heiligen Geist und darum sollen wir ihn auch vor wichtigen Entscheidungen anrufen. Diese mehr verstandesmäßigen Gaben sind die Gaben der Weisheit, des Verstandes, der Wissenschaft und des Rates.
Der Heilige Geist muss aber auch unseren Willen stärken und mit der wahren Liebe erfüllen. Ohne ihn sind wir kalt, lau und egoistisch auf uns selbst bezogen. Mit seiner Hilfe können wir jedoch unsere falsche Eigenliebe überwinden, Gott über alles lieben und die Geschöpfe in der richtigen Weise in Gott und um Gottes willen lieben. Es war der Heilige Geist, der den Heiligen die Kraft gegeben hat, aus Liebe zu Gott große Opfer und selbst das Martyrium auf sich zu nehmen. Gerade wenn wir uns lau und schwerfällig fühlen, müssen wir den Heiligen Geist um die Begeisterung für den Glauben und ein christliches Leben bitten. Diese mehr den Willen betreffenden Gaben sind die Gaben der Stärke, der Frömmigkeit und der Furcht des Herrn, d. h. der Ehrfurcht.
Beten wir also nicht nur an Pfingsten zum Heiligen Geist, sondern jeden Tag, und haben wir eine tiefe Sehnsucht danach, vom Geist Gottes erfüllte und geführte Menschen zu werden.
Von Pater Matthias Gaudron