Wer besitzt die göttliche Tugend des Glaubens?
Der Zweifel des Propheten Jonas
Bisher haben wir gesehen, dass der Glaube übernatürlich, verdienstlich und heilsnotwendig ist. Fragen wir uns nun, wer diesen übernatürlichen Glauben besitzt, denn dies trifft nicht auf alle Menschen zu, die sich in irgendeiner Weise als Gläubige bezeichnen.
Den übernatürlichen Glauben besitzen zunächst alle Katholiken, die nicht nur dem Taufschein nach katholisch sind, sondern die Bereitschaft haben, alles zu glauben, was Gott geoffenbart und durch seine Kirche als zu glauben vorgelegt hat. Wie wir in der letzten Folge gesehen haben, genügt diese implizite Bejahung aller Glaubenswahrheiten, auch wenn man nicht alle ausdrücklich kennt. Dieser Glaube geht auch durch die Sünde nicht verloren, außer wenn es sich um eine Sünde gegen den Glauben handelt.
Den übernatürlichen Glauben hatten gewiss auch die Menschen vor Christus, welche die damals noch nicht abgeschlossene Offenbarung Gottes annahmen und bejahten, d. h. die Juden und die übrigen Menschen, die sich ihnen anschlossen, sei es dass sie formell zur jüdischen Religion übertraten (die sog. Proselyten), sei es dass sie am jüdischen Kult nur so weit teilnahmen, wie es ihnen als Heiden gestattet war. Das waren die sog. Gottesfürchtigen, wie z. B. der Hauptmann von Kapharnaum es gewesen sein dürfte.
Die Engel und ersten Menschen
Der hl. Thomas v. Aquin stellt sich die Frage, ob auch die Engel in ihrer Prüfungszeit und die ersten Menschen vor dem Sündenfall den Glauben hatten.[1] Da sowohl die Engel als auch die ersten Menschen in der Gnade erschaffen worden waren und von Gott Offenbarungen erhalten hatten, bejaht er diese Frage. Die Engel konnten sich als reine Geister zwar viel leichter zu Gott erheben und eine höhere Stufe der Kontemplation erreichen als wir, aber da sie erst nach dem Bestehen ihrer Prüfung zur unmittelbaren Anschauung Gottes zugelassen wurden, mussten sie vorher glauben. Selbstverständlich mussten sie nicht an die bloße Existenz Gottes glauben, die ja selbst wir noch aufgrund der Gottesbeweise natürlicherweise erkennen können, aber glauben mussten sie z. B. an das dreifaltige Wesen Gottes, an die Möglichkeit der Menschwerdung usw. Ähnliches galt für Adam und Eva. Ihr Verstand war zwar vor dem Sündenfall noch nicht durch die Sünde geschwächt und verdunkelt und sie hatten einen vertrauten Umgang mit Gott, der zu ihnen sprach und sich im Paradiesgarten erging, wie die Hl. Schrift es ausdrückt (vgl. Gen 3,8), aber die Anschauung Gottes von Angesicht zu Angesicht besaßen sie ebenfalls noch nicht.
Von diesem Glauben der ersten Menschen können noch Reste bei allen Völkern zu finden sein, denn wenn der Glaube auch nur in Israel durch die besondere Leitung Gottes rein erhalten blieb, so muss er doch bei den übrigen Menschen nicht völlig vergessen worden sein. Damit erklären sich vielleicht manche Ähnlichkeiten in den alten Sagen der Völker mit dem Bericht der Genesis, wie z. B. der Glaube an ein ursprünglich goldenes Zeitalter der Menschheit, ein Versagen der Menschen und die Hoffnung auf das Kommen eines Erlösers.
Glauben die Dämonen?
Wie steht es nun mit den gefallenen Engeln, den Dämonen? Besitzen sie auch jetzt noch den übernatürlichen Glauben? Man könnte es meinen, denn der hl. Jakobus schreibt: „Auch die Dämonen glauben und zittern“ (Jak 2,19). Tatsächlich nahmen einige Scholastiker, wie z. B. Alexander v. Hales, an, die Dämonen besäßen ähnlich wie die Todsünder einen übernatürlichen, wenn auch toten Glauben.
Dennoch antworten der hl. Thomas und mit ihm die meisten Theologen, dass weder die Dämonen noch die Verdammten einen übernatürlichen Glauben besitzen.[2] Dieser setzt nämlich eine gewisse Liebe zur Wahrheit voraus, die es in den Dämonen nicht gibt. Es gibt bei ihnen nur einen natürlichen Glauben, der durch die Evidenz der Zeichen gewissermaßen erzwungen ist. Die Dämonen erfahren beständig die Macht Christi und seiner Mutter, die Wirksamkeit des Messopfers und der Sakramente bei den Menschen, die sie versuchen, etc. Sie wissen ebenfalls, dass Gott nicht lügen und betrügen kann. Die Dämonen glauben also nicht wegen der Autorität Gottes, sondern weil sie zu intelligent sind, um den Glauben für unwahr zu halten. Dabei bleibt ihre Kenntnis der Glaubensgeheimnisse rein äußerlich, ohne jede tiefere Einsicht. Ähnlich wie jemand, der völlig unmusikalisch ist, zwar die Töne einer Symphonie hört, ihre Schönheit aber nicht erfassen kann, ist es auch mit dem Glauben der Dämonen.
Die Irrgläubigen
Auch die Irrgläubigen oder Häretiker besitzen den übernatürlichen Glauben nicht. Jedoch müssen wir hier eine Unterscheidung machen:
Als materiellen Häretiker bezeichnet man einen Menschen, der eine geoffenbarte Wahrheit leugnet, dabei aber irrtümlicherweise und ohne eigene Schuld der Meinung ist, diese Wahrheit sei nicht geoffenbart. Der bloß materielle Häretiker will also an sich alles glauben, was Gott geoffenbart hat, und sein Irrglaube beruht nur auf schuldloser oder, wie man auch sagt, unüberwindlicher Unwissenheit. Man sagt, er sei bona fide, d. h. guten Glaubens in seinem Irrtum. Darum hat er ebenfalls den göttlichen Glauben. Ein bibeltreuer Protestant, der guten Gewissens der Meinung ist, den rechten Glauben zu vertreten, kann also den göttlichen Glauben besitzen. Wenn ihm allerdings Zweifel an der Richtigkeit seines Glaubens kommen und er nicht versucht, diese Zweifel zu klären, um z. B. nicht katholisch werden zu müssen, dann hört sein falscher Glaube auf, schuldlos zu sein.
Der eigentliche Häretiker ist der formelle Häretiker, der sich bewusst ist, von der Lehre der Kirche abzuweichen, aber aus Stolz, Eigensinn, Bequemlichkeit oder sonst einem Grund in seinem Irrtum verharrt. Hierzu lehrt Leo XIII.: „Wer ... die geoffenbarten Wahrheiten auch nur in einem Punkte leugnet, streift in Wirklichkeit den Glauben ganz ab, da er sich weigert, Gott als die höchste Wahrheit und als den eigentlichen Beweggrund des Glaubens zu achten.“[3] Der formelle Häretiker glaubt eine religiöse Lehre also nicht, weil sie von Gott geoffenbart und von seiner Kirche vorgelegt wurde, sondern aufgrund eines anderen Motivs: weil sie ihm einsichtig oder zeitgemäß erscheint, weil er sich daran gewöhnt hat, so zu glauben, etc. Der Glaube des Häretikers ist darum nur noch ein menschlicher, natürlicher Glaube, der sich auf sein eigenes Urteil und den eigenen Willen stützt. So ruft Augustinus den Irrlehrern zu: „Die ihr im Evangelium das glaubt, was ihr wollt, und nicht glaubt, was ihr nicht wollt, glaubt somit eher euch selbst als dem Evangelium.“[4]
Heute gibt es viele Bischöfe, Priester und Theologen, die den überlieferten Glauben modernisieren wollen, indem sie z. B. die Gottheit Christi, die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens oder das Messopfer leugnen und dafür die Möglichkeit der Ehescheidung und Wiederverheiratung oder die Priesterweihe von Frauen fordern. Sie tun dies, obwohl ihnen die unfehlbaren Lehrentscheidungen der Kirche bekannt sind. Man muss daher urteilen, dass sie die göttliche Tugend des Glaubens nicht besitzen.
Man kann allerdings auch durch einen scheinbar „frommen“ Übereifer und unerleuchteten Rigorismus zum Häretiker werden. So sind auch Gläubige, die Privatoffenbarungen über das Lehramt der Kirche stellen oder z. B. behaupten, in der nachkonziliaren Kirche gebe es keine gültigen Sakramente, in der Gefahr, gegen den Glauben zu sündigen, denn auch sie machen sich ihren Glauben nach dem eigenen Gutdünken zurecht und folgen nicht der Kirche, die immer gelehrt hat, dass Privatoffenbarungen ihrem Urteil unterliegen, und die verschiedene Häresien, welche vorschnell die Ungültigkeit von Sakramenten behaupteten, zurückgewiesen hat.
So behauptete im sog. Ketzertaufstreit Mitte des 3. Jh. der Bischof Cyprian von Karthago im Gegensatz zur Tradition, die von Häretikern gespendeten Taufen seien ungültig, und ließ darum diejenigen, die aus der Häresie zur Kirche zurückkamen, von Neuem taufen. Der damalige Papst Stephan wies dies zurück, und auf dem Konzil von Trient wurde später sogar ausdrücklich dogmatisiert, dass die von Irrgläubigen gespendeten Taufen gültig sind, wenn sie gewisse Mindestbedingungen erfüllen. Im 4. Jh. behaupteten dann die Donatisten, ein notorischer Todsünder könne keine gültigen Sakramente spenden, wogegen vor allem der hl. Augustinus auftrat. Im Mittelalter waren es die Wikliften und Hussiten, die verkündeten, ein Priester in der Todsünde könne die Sakramente nicht mehr gültig spenden, was das Konzil von Konstanz verurteilte.
Kleiner und großer Glaube
Wie jede Tugend kann auch der Glaube im Menschen größer oder kleiner sein. Dies bezieht sich nicht auf den Umfang des Glaubens, denn, wie wir gesehen haben, glaubt derjenige, der auch nur den geringsten Grad des göttlichen Glaubens hat, wenigstens implizit alles, was Gott geoffenbart hat. Ein kleiner Glaube ist vielmehr ein Glaube, der das tägliche Leben wenig beeinflusst und durch Prüfungen schnell erschüttert wird. So tadelt Christus mehrmals die Apostel wegen ihres Kleinglaubens, z. B. als sie während des Seesturms fürchteten, zugrunde zu gehen (Mt 8,26). Zu der kananäischen Frau, die sich trotz der scheinbaren Zurückweisung ihres Wunsches nach der Heilung ihrer Tochter durch Christus weiter vertrauensvoll an ihn wandte, sagte er dagegen: „Frau, dein Glaube ist groß“ (Mt 15, 28).
Beten wir darum zum Herrn wie der Vater des besessenen Knaben: „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben“ (Mk 9,24). Bitten wir auch oft um die Vermehrung unseres Glaubens, wie wir es z. B. im ersten Ave-Maria des Rosenkranzes tun.
[1] S Th II-II, q.5, a.1.
[2] Ebd., a. 2
[3] Enzyklika Satis cognitum vom 29.6.1896; Heilslehre der Kirche, Nr. 613.
[4] Contra Faustum 32,8.
Von Pater Matthias Gaudron