„Wenn wir also treu sein wollen, müssen wir auch der Vergangenheit treu sein ...“
Erzbischof Marcel Lefebvre:
Aus der Predigt bei der Weihe von Pater Franz Schmidberger am 8. Dezember 1975 in Ecône
Wenn Gott treu war und noch immer treu ist, so deshalb, weil Er semper idem, immer derselbe ist. Gott ist immer derselbe, und gerade auf dieser Unwandelbarkeit Seiner Vollkommenheit, Seiner Unendlichkeit, Seines ewigen Seins beruht Seine Treue, die uns so heilig ist. Weil wir mit Gott verbunden sind, halten wir an unserem Glauben fest. Unser Glaube ist nichts anderes als Gott selbst, der in unserem Geist, in unserem Herzen, in unserem Willen gegenwärtig ist. Es ist die allerheiligste Dreifaltigkeit, die in uns wohnt, es ist Unser Herr Jesus Christus, der Gott ist, der in uns wohnt. Darin besteht unsere Treue. Bei unserer Taufe haben wir gelobt, am Glauben festzuhalten, in alle Ewigkeit, für immer, nicht nur für einen Tag, sondern in Ewigkeit.
Wenn man in der Geschichte der Menschheit ein Beispiel für diese Treue nennen kann, dann ist es die allerseligste Jungfrau Maria. Auch sie war treu. Sie war treu, noch bevor sie ihr Fiat gesprochen hat. Sie war ganz rein, ganz heilig, ganz dem lieben Gott verbunden. Sie war Gott treu bis in die letzte Faser ihres Herzens, und seit sie ihr Fiat gesprochen hat, war sie auch Unserem Herrn Jesus Christus treu, war sie ihrem Sohn treu, der Gott war. Sie war Ihm ihr ganzes Leben hindurch treu durch alle Prüfungen, durch alle Zweifel, alle Schwierigkeiten, alle Widersprüche, durch alle Ärgernisse hindurch. Die allerseligste Jungfrau Maria war immer Unserem Herrn Jesus Christus, ihrem göttlichen Sohn, treu. Sie hat Ihn nie im Stich gelassen, bis zum Kreuz. Während die Apostel geflohen sind, Ihn verlassen haben, während ihr Sohn blutüberströmt, tot, von allen verlassen, gewissermaßen auch von Gott verlassen war, blieb die allerseligste Jungfrau Maria bei ihm: „Stabat mater juxta crucem“. Auch das Werk ihres göttlichen Sohnes hat sie weitergeführt. Sie hat es nicht im Stich gelassen, sie war ja bei seiner Entstehung, dem Pfingstereignis, anwesend. Die allerseligste Jungfrau Maria war da, weil Unser Herr Jesus Christus wollte, dass die Apostel die Gnade durch ihre Vermittlung empfangen sollten. Sie erfüllte also treu ihre Aufgaben. Sie war Unserem Herrn immer treu; sie ist es noch immer, auch heute noch. Sie hat nur ein Verlangen: zu sehen, dass wir mit Unserem Herrn, mit unserem Glauben fest verbunden bleiben. Es ist ihre Ehre, es ist ihr Herzenswunsch, es ist ihr Leben, dass wir mit allen Fasern unseres Herzens, mit Unserem Herrn Jesus Christus verbunden sind. Auch im Alten Testament hat diese Treue große Bedeutung.
Wir sehen am Vorbild der allerseligsten Jungfrau Maria, die unter den Geschöpfen des lieben Gottes immer das vollkommenste Beispiel der Treue war und ist, wie teuer dem lieben Gott die Treue ist und wie sehr Gott will, dass wir treu seien. Wenn Er sich selbst und allen Seinen Versprechen treu ist, dann will Er auch von uns, dass wir unseren Versprechen treu sind. Die ganze Geschichte des Alten Testamentes ist nichts anderes als die Geschichte der Treue oder der Untreue Israels gegenüber seinem Gott. Gott hat die Söhne Israels wahrhaft hart gestraft, wenn sie untreu waren, wenn sie sich von Gott entfernt haben, wenn sie ihren Bund nicht mehr eingehalten haben. Gott hat sie ihren Feinden überlassen, Gott hat sie fast vernichtet, ja Er hat sogar zugelassen, dass der Tempel Jerusalems zerstört wurde, weil sie ihrem Gott untreu waren.
Das ist ein Beispiel, das wir nie vergessen sollten und das mir für uns heute im Hinblick auf unsere Kirche sehr wertvoll, sehr heilsam scheint. Natürlich hat die Kirche die Verheißung, ewig zu sein, die Verheißung immerwährenden Lebens; die Kirche wird nicht untergehen, aber sie kann furchtbare Prüfungen durchmachen müssen und ihrem Gott untreu sein, zumindest zu ihrem überwiegenden Teil, da ja die Schrift uns sagt, dass es vielleicht eines Tages auf dieser Erde nur mehr einige wenige Gläubige geben wird. Es wird also in der Geschichte der Kirche furchtbare Augenblicke geben, wo uns scheinen mag, dass die Kirche selbst den Glauben verliert. Erleben wir nicht heute diese Zeit, oder zumindest eine dieser Zeiten, die den allgemeinen Abfall vom Glauben vorbereiten? Kann man behaupten, dass die heutige Kirche ein Beispiel bemerkenswerter Glaubenstreue gibt? Im Gegenteil, man ist anscheinend dabei, den Glauben an Gott ganz aufzugeben, Unseren Herrn Jesus Christus ganz aufzugeben – denn die Glaubenstreue beinhaltet, so würde ich sagen, auch das Wort „immer – semper“. Eine Treue, die nicht für immer geschenkt wird, ist keine wahre Treue. „Gott immer treu sein“: dieses „immer“ umfasst die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Wenn wir also treu sein wollen, müssen wir auch der Vergangenheit treu sein, diesem Glauben, der immer der Glaube der Kirche war.