Weihnachtspredigt von Bischof Fellay in Zaitzkofen
Liebe Seminaristen, liebe Gläubige,
wenn wir heute hier sind, wenn wir heute dieses so schöne Amt feiern dürfen, dann ist es wegen des Ereignisses, das wir heute feiern. Es gehört zur Geschichte der Menschen. Damals, vor 2000 Jahren, ist ein Kind geboren worden. Dieses Kind, wahrer Mensch, ist zugleich wahrer Gott!
Das ist also nicht bloß irgendein Ereignis – wenn es Gott ist, so müssen wir ihm alles zuschreiben, was wir von Gott sagen und glauben. Tatsächlich liegt er in der Krippe, Gott, der große Gott, der Schöpfer des Weltalls liegt in einer Krippe! Wahrer Mensch, aber dieses Menschwerden hat nichts weggenommen von seiner Gottheit. Er ist tatsächlich der Allmächtige, der Ewige, oh, noch mehr, die Offenbarung sagt uns: Durch ihn ist alles erschaffen worden, alles Sichtbare und alles Unsichtbare, die Welt der Engel, das Weltall, alle die Sterne, die kleinsten Schneeflöckchen, ein jeder Mensch, alle und alles ist durch ihn erschaffen. Nicht nur durch ihn, sondern auch für ihn.
Wir Menschen, alle Menschen haben einen Lebenssinn: Der Sinn unseres Lebens besteht in diesem Kindlein in der Krippe. Wir können es nicht fassen – Gott tritt in die Schöpfung ein, Gott ist mitten unter uns! Ist es so – und es ist so! – dann gebührt ihm alle, schlicht und einfach alle Herrschaft. Deshalb grüßt ihn die Kirche mit dem Wort König. Das erste Wort von diesem Fest bei der ersten Vesper ist zweimal nacheinander bei den ersten [beiden] Antiphonen: Rex magnificatus est – der König wurde verherrlicht. Und wenn wir König sagen, dann sagen wir König, dann anerkennen wir wirklich die Herrschaft, die Gewalt, nicht wie die eines Geschöpfes, sondern die aller Herrschaft Gottes über uns. Gehen wir noch weiter: Es gibt Herrschaften in dieser Welt, es gibt gewisse, die einfach befehlen dürfen und sollen, regieren, sei es die menschliche Gesellschaft, sei es die Kirche oder die Familie, eine jede Herrschaft kommt von ihm. Er, dieses Kindlein in der Krippe, ist es, der einem jedem dieses Stücklein Gewalt der Herrschaft erteilt. Er regiert die Welt, alles, Er ist Gott.
Aber nicht nur das. Die Heilige Schrift sagt uns: In ihm wurden wir vor der Gründung der Welt, also vor der Schöpfung, schon auserwählt, dass wir heilig werden: ut essemus sancti, dass wir heilig werden. Er kommt zu uns, nimmt unsere Menschheit in einem undenkbaren, unfassbaren Tausch an. Er will, dass wir Teilhaber werden an seiner Gottheit. Der Plan Gottes geht noch weiter, es genügt ihm noch nicht. Die Menschen haben vor diesem so wunderbaren [Geheimnis], das unseren Verstand übersteigt, die Menschen haben versagt! Sie haben ihrem Schöpfer „nein“ gesagt. Das hätte wohl das Ende sein können, ein schreckliches Ende: Die ewige Verdammnis. Eigentlich ist es das Einzige, das wir verdient haben, verdienen könnten. Aber Gott ist größer, die Liebe Gottes ist größer als das größte Übel der Menschen.
Den wir heute begrüßen bei der Krippe trägt einen Namen: Jesus. Er kommt, um uns zu erlösen! Sein Plan war wunderbar, er will es noch wunderbarer machen. Er wird unsere Strafe auf sich nehmen, das, was wir verdient haben, das nimmt er auf sich, indem er Mensch wird. Noch unbegreiflicher aber ist, dass die Menschen trotzdem gleichgültig bleiben; ist das nicht unfassbar? Schauen wir umher, wie viele feiern das Weihnachtsfest richtig? Wie viele empfangen denjenigen, von dem wir gerade im Evangelium gehört haben: „...und die Seinen nahmen ihn nicht auf“ – schrecklich! Oh, erflehen wir, dass wir unser Herz öffnen für solch eine Güte, solch eine Barmherzigkeit! Erflehen wir, dass wir ihn empfangen, dass er ein Zuhause in unserem Herzen finde. Wie gesagt, in ihm haben wir unseren Sinn, den Sinn unseres Lebens! Er ist wirklich Ursprung und Ziel, Alpha und Omega. Er kommt, weil er uns liebt. Der hl. Augustinus sagte schon: „Weil er mich liebt, hat er mich erschaffen“; ja, weit mehr noch: weil er mich liebt, ist er Mensch geworden. Wegen uns Menschen und unseres Heiles wegen ist er vom Himmel herabgestiegen. Bringen wir ihm die Anbetung entgegen, die ihm gebührt! Bringen wir ihm diese Zusage, dieses Ja, dieses Fiat der Gottesmutter, das, was wir bei jeder Messe sagen, für die Seminaristen bei jeder Prim. Dort beten wir: Dies actus nostros in tua pace disponas – verfüge über unsere Tage, über all unser Handeln, über all unsere Tätigkeit, mache wie du willst in deinem Frieden. Schenken wir ihm dieses Vertrauen! Er kommt, um uns zu erlösen. Gott, sichtbar, aber Gott ist doch ein reiner Geist, wir können ihn nicht sehen. „Wer mich sieht“, sagt der Heiland, „sieht meinen Vater“. In seiner Menschwerdung ist Gott tatsächlich sichtbar geworden, in seiner Person, und diese Person ist Gott. Deshalb sagt er: Wer mich sieht, sieht den Vater. Ich bin im Vater, und der Vater ist in mir. Wir dürfen Gott sehen! Gut, jetzt ist er wieder im Himmel, es bleibt uns die heilige Eucharistie: Selig, die nicht sehen und doch glauben. Aber es ist ein und derselbe Gott, immer noch da, nicht mehr in der Krippe, sondern auf der Patene, im Ziborium, physisch, ein und derselbe Jesus ist da! Ich spreche hier zu Ihnen, und ein Meter fünfzig von mir ist Er, der große Gott, der Heiland gegenwärtig! Er ist hier – für uns, für uns Menschen, um unseres Heiles willen, weil er uns liebt, um uns in den Himmel zu bringen.
Wenn wir eine Geburt feiern, meine lieben Gläubigen, schauen Sie doch, wie wir es machen: Wir gehen zum Kind, ja, wir bewundern das Kind; aber gibt es unter den Menschen solch ein Ereignis, wo man die Mutter nicht beglückwünscht? Ist es nicht normal, dass wir heute auch zur Gottesmutter gehen und ihr gratulieren? Die Mutter, die wir begrüßen dürfen als Mutter Gottes... Die Theologie sagt uns mit Recht, das ist der Grund und Ursprung von allen Privilegien, mit denen der große Gott die Gottesmutter geschmückt hat. Und eines dieser Privilegien sehen wir schon heute mehr als alles andere: Sie ist Mutter und Jungfrau. Das scheint nicht zusammenzugehen, aber die Gottesmutter vereint beides: Die immerwährende Jungfrau ist Jungfrau vor, in und nach der Geburt. Jungfrau und Mutter.
In der Liturgie ist das der Titel, den wir überall finden: beata Virgo Maria. Die selige Jungfrau Maria. Zwar ist sicher der Titel Mutter noch größer; die moderne Wissenschaft hat entdeckt, dass zwar die Mutter ihrem Kind die Nahrung und alles in ihrem Schoß gibt, aber sie hat jetzt entdeckt, dass das Kind der Mutter auch etwas zurückgibt, das ganz tief im Wesen bleibt. Die Mutter empfängt vom Kind irgendwie ein Merkmal für das ganze Leben. Sie schenkt alles ihrem Kind, und sie bekommt etwas zurück! Schauen wir also die Gottesmutter an: Sie hat auch vom Kindlein Jesu etwas empfangen. Dann verstehen wir auch, dass wir sie als Königin begrüßen, das ist nicht bloß ein Titel, das ist wiederum eine Wirklichkeit. Ihr wurde auch die Herrschaft gegeben, sie ist die Königin des Himmels und der Erde. In Fatima sagt sie uns, der Herrgott habe den Frieden der Nationen in ihre Hände gelegt. Es hängt von der Gottesmutter ab, ob Friede oder Krieg hier auf Erden herrscht. Und sie ist es, die alles vor dem Zweiten Weltkrieg ankündigte. Sie ist es auch, die am Ende dieses Weltkrieges herrscht: Hier in Europa endet er am 8. Mai, Fest des hl. Michael und auch Fest der Gottesmutter [Vermittlerin aller Gnaden]. In Japan, also das ganze Ende des Weltkrieges, ist es der 15. August. Man möge mir nicht sagen, dass die Japaner und die Amerikaner extra diesen Tag gewählt haben! Nicht wahr, weil es das Fest der heiligen Mutter ist, nein, Gott steht dahinter! Gott schreibt die Geschichte, auch ohne die Freiheit der Menschen zu verletzen. Gott steht so darüber, er ist so mächtig, schenken wir doch unser ganzes Vertrauen dem Kindlein in der Krippe und seiner Mutter. Wir erschrecken, wenn wir diese arme Welt sehen, wir erschrecken, wenn wir sehen, wie die Kirchenleute sich benehmen, wir erschrecken, wenn wir sehen, was die deutschen Bischöfe jetzt sagen, ja, wir erschrecken. Mit Recht. Aber vergessen wir nicht: Es gibt jemanden, der herrscht, auch wenn er in der Krippe liegt! Er diktiert, was geschieht. Er ist es, der uns alle Gnaden verdient hat und anbietet, was wir brauchen, um in dieser Welt, unter diesen Umständen unser Heil zu wirken und heilig zu werden. Für ihn ist es nicht schwieriger, heute oder bei den herrlichsten Zeiten des Mittelalters zu heiligen. Er ist tu solus altissimus, tu solus Dominuns, tu solus sanctus. Er ist der Heilige, er ist die Heiligkeit. In ihm wurden wir auserwählt, dass wir heilig werden. Mögen alle Gnaden, die das Kindlein bei dieser Geburt uns verdient hat, mögen alle diese Gnaden so in Überfülle auf uns kommen, mögen wir diese empfangen, damit wir gerettet werden und viele mit uns, zur größten Herrlichkeit Gottes. Amen.
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.