Die Vollkommenheit besteht darin, unseren Willen mit dem Willen Gottes zu vereinigen

Quelle: Distrikt Österreich

Detail aus dem Fastentuch in der Kirche St. Peter im Holz, Kärnten

Die frühen Kirchenväter unterscheiden drei Formen des Gebetes, nämlich das Gebet des Lebens, das Geistesgebet und das mündliche Gebet. Wir werden jetzt nicht vom Geistesgebet sprechen, sondern nur vom mündlichen Gebet. Alle Handlungen derjenigen, die gottesfürchtig leben, sind fortgesetzte Gebete; das nennt man das Gebet des Lebens.. Wer Almosen gibt, die Kranken besucht und sich in allen guten Werken dieser Art übt, der betet und seine guten Handlungen selbst verlangen von Gott Vergeltung..

Kommen wir nun zum mündlichen Gebet. Man kann es nicht Beten nennen, etwas mit den Lippen zu murmeln, wenn damit nicht die Aufmerksamkeit des Herzens verbunden ist. Um zu sprechen, muß man zuerst im Inneren geformt haben, was man sagen will. Es gibt das innerliche Wort und das äußere, das vernehmbar macht, was das innere zuvor ausgesprochen hat. Beten heißt nichts anderes als mit Gott sprechen; nun ist aber sicher, dass es Gott sehr missfällt, wenn man zu Ihm spricht, ohne auf das zu achten, was man Ihm sagt.

Wir müssen wissen, daß es drei Arten von mündlichen Gebeten gibt: die einen sind geboten, die anderen empfohlen, die übrigen freiwillig.

Geboten sind das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis, die wir jeden Tag sprechen müssen. Das gibt Unser Herr uns deutlich zu verstehen, wenn er sagt: Unser tägliches Brot gib uns heute. Das zeigt uns, daß wir jeden Tag darum bitten müssen. Wenn ihr mir sagt, dass ihr heute nicht gebetet habt, werde ich antworten, dass ihr den Tieren gleicht. Die anderen gebotenen Gebete sind das Offizium für uns im kirchlichen Stand; wenn wir davon einen beträchtlichen Teil auslassen, sündigen wir.

Nur empfohlen sind die Vaterunser oder Rosenkränze, die verlangt werden, um die Ablässe zu gewinnen. Wenn wir sie unterlassen, sündigen wir nicht; um aber zu zeigen, dass sie wünscht, wir sollten sie verrichten, verleiht die Kirche denen Ablässe, die sie verrichten.

Freiwillige Gebete sind alle übrigen außer denen, von denen wir eben gesprochen haben. Wenn auch die Gebete sehr gut sind, die man freiwillig verrichtet, so sind doch die empfohlenen viel besser, weil hier die heilige Tugend der Fügsamkeit dazukommt. Es ist, als sagten wir: Gute Mutter Kirche, du wünschst, daß ich es mache; auch wenn du es nicht befiehlst, bin ich sehr gern bereit, dich zufriedenzustellen. Das ist schon ein wenig Gehorsam. Die gebotenen Gebete aber haben einen ganz anderen Wert wegen des Gehorsams, der mit ihnen verbunden ist; und ohne Zweifel ist auch mehr Liebe dabei.

Von diesen Gebeten nun sind die einen öffentliche, die anderen private. Öffentliche sind die Messe, das Stundengebet und solche, die wir in Notzeiten verrichten. O Gott, mit welcher Ehrfurcht müssen wir zu diesen öffentlichen Gebeten kommen, ganz anders vorbereitet als für private Gebete, weil wir bei diesen mit Gott nur von unseren Anliegen sprechen, oder wenn wir für die Kirche beten, das aus Liebe tun; bei den öffentlichen Gebeten aber beten wir für alle gemeinsam.

.. Die Vollkommenheit besteht nicht darin, zärtliche Gefühle zu haben, sondern darin, unseren Willen mit dem Willen Gottes vereinigt zu haben. Das ist es, was wir von der göttlichen Majestät bedingungslos erbitten können und müssen.

Auszug aus einer Predigt des hl. Franz von Sales zum Passionssonntag, Annecy, Frankreich, am 5. April 1615

 

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