Die Tugend des Glaubens: Der Glaube ist verdienstlich
Von Pater Matthias Gaudron
Der Glaube stützt sich, wie wir in der 1. Folge gesehen haben, auf die Offenbarung Gottes. Wir glauben z. B. an die wirkliche Gegenwart Christi in der Eucharistie, weil der Gottmensch dies so gelehrt hat (vgl. Joh 6,51 ff.; Mt 26,26 ff. par.) und die Kirche es uns zu glauben vorlegt.
Wir haben für diese Wahrheit aber keine Evidenz, denn unsere Sinne stützen diesen Glauben nicht. Auch nach der Wandlung scheint in der Eucharistie nichts als Brot und Wein vorzuliegen. Es braucht daher für den Glauben eine Bereitschaft des Willens. „Niemand kann glauben, außer er will es“, sagt darum der hl. Augustinus.[1] Der Wahrheit, dass 2 x 2 = 4 ist, oder einer klar erkannten Tatsache kann man sich nicht gut verschließen, wohl aber dem Glauben. Darum bleibt der Glaubensakt frei, wie das I. Vatikanum es sogar definiert hat:
Wer sagt, die Zustimmung zum christlichen Glauben sei nicht frei, sondern werde durch Beweise der menschlichen Vernunft notwendig hervorgebracht … der sei mit dem Anathema belegt“ (DH 3035).
Da es für den Glauben etwas guten Willen braucht, kann der Glaubensakt verdienstlich sein. Damit er es wirklich ist, muss der Glaube allerdings mit der Gnade und der Liebe verbunden sein, denn da das ewige Leben, das wir uns auf Erden verdienen sollen, etwas Übernatürliches ist und in der Schau und Liebe Gottes besteht, kann es ohne Gnade und Liebe kein Verdienst geben.
Der tote Glaube
Allerdings bleibt der Glaube auch im Todsünder erhalten, solange dieser nicht vom Glauben selbst abfällt. Ein Katholik, der eine schwere Sünde begeht, hat also noch den göttlichen Glauben, und auch dieser tote Glaube ist noch etwas Übernatürliches, wie wiederum das I. Vatikanum ausdrücklich lehrt:
„Der Glaube ist selbst in sich, auch wenn er nicht durch die Liebe wirkt, ein Geschenk Gottes (donum Dei est), und sein Akt ist ein das Heil betreffendes Werk, durch das der Mensch Gott selbst freien Gehorsam leistet, indem er seiner Gnade, der er widerstehen könnte, zustimmt und mit ihr wirkt“ (DH 3010).
Der katholische Todsünder hat also noch Wahrheitsliebe, denn er hält an der Wahrheit des Glaubens fest, obwohl dieser Glaube ihm sagt, dass er Schuld auf sich geladen hat. Darum kann ein solcher Mensch den Gnadenstand leicht wiedererlangen, da er den Weg dazu – Reue und Beichte – kennt. Wer sich dagegen ganz vom Glauben abgewendet hat, kommt nicht so leicht wieder zurück, da ihm der Glaube erst wieder neu geschenkt werden muss.
Der von der Liebe geformte Glaube
Wenn also zwar auch der tote Glaube etwas Übernatürliches ist, so ist doch allein „der Glaube, der durch die Liebe wirkt“ (Gal 5,6) verdienstlich. Die Liebe muss – nach der scholastischen Sprache – wie eine äußere und ihn vervollkommnende Form zum Glauben hinzutreten, damit er verdienstlich ist. Der Glaube allein stellt nämlich das höchste Gut und das ewige Ziel dem Menschen zwar vor Augen, aber ohne die Liebe ist er nicht wirksam auf dieses Ziel hingeordnet und strebt es nicht an.
Wenn die Heilige Schrift öfters davon spricht, dass wir durch den Glauben gerechtfertigt sind (z. B. Röm 3,28), so meint sie selbstverständlich den von der Liebe geformten Glauben, denn der hl. Paulus schreibt:
Wisst ihr nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Gebt euch keiner Täuschung hin! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lüstlinge noch Knabenschänder, weder Diebe noch Habsüchtige noch Trunkenbolde noch Gotteslästerer noch Räuber werden Anteil haben am Reich Gottes“ (1 Kor 6,9 f.).
Ein Gläubiger kann ein Ehebrecher, ein Habsüchtiger und ein Trunkenbold sein. Wenn sein Glaube ihn nicht dazu führt, diesen schlechten Weg zu verlassen, nützt er ihm nichts. Ein Glaube, der nicht die Werke der Liebe hervorbringt, ist tot, schreibt zu Recht der hl. Jakobus (2,17), und dies ist nichts anderes, als was der Herr selbst in der Bergpredigt gelehrt hat, als er sagte: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich eingehen, sondern nur wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist, wird in das Himmelreich eingehen“ (Mt 7,21).
Trotzdem hat es seinen tiefen Sinn, wenn die Heilige Schrift von der Rechtfertigung durch den Glauben spricht, denn dieser ist nach den Worten des Konzils von Trient „der Anfang des menschlichen Heils“ und „die Grundlage und Wurzel jeder Rechtfertigung“ (DH 1532). Ohne den Glauben kann es ja die christliche Hoffnung und Liebe gar nicht geben. Wer nicht an Gott und die Erlösung glaubt, kann den Himmel nicht erhoffen und nicht um Christi willen Gutes tun, aber es ist klar, dass zum Glauben eben auch das entsprechende Leben gehört.
Fides quaerens intellectum – der Einsicht suchende Glaube
Der hl. Thomas stellt sich die Frage, ob die Vernunftgründe, die man zugunsten des Glaubens anführt, das Verdienst des Glaubens mindern.[2] Er antwortet darauf: Wenn ein Mensch, obwohl er genug Gründe zum Glauben hat und ihm auch die notwendige Gnade nicht fehlt, trotzdem noch zweifelt und er weiter nach Beweisen sucht, dann mindern die Vernunftgründe das Verdienst des Glaubens. So tadelt Christus den Apostel Thomas, weil er dem Zeugnis der anderen Apostel nicht glauben wollte (Joh 20,29), und er nennt die Emmausjünger „schwerfälligen Herzens“, an das zu glauben, was die Propheten verkündet haben (vgl. Lk 24,25).
Etwas anderes ist es dagegen, wenn der schon gläubige Mensch versucht, die Gründe zu finden, die für den Glauben sprechen, um die Zusammenhänge von Natur und Übernatur besser zu verstehen oder auch um den Glauben besser verteidigen zu können. Ein solches Suchen mindert das Verdienst des Glaubens nicht, sondern ist im Gegenteil verdienstlich, und in diesem Sinn schreibt der hl. Petrus: „Seid gegenüber einem jeden, der von euch Rechenschaft über eure Hoffnung fordert, stets bereit zur Antwort“ (1 Petr 3,15). „Fides quaerens intellectum – der Glaube, der Einsicht sucht“, war auch das Motto des hl. Anselm.
Die Kirche hat schon früh die Erfahrung gemacht, dass der sog. „schlichte Glaube“, auch wenn er an sich lobenswert ist, leicht irregeführt werden kann. Diejenigen, die ihren Glauben wenig kannten und sich nicht um seine Vertiefung kümmerten, waren eine leichte Beute für häretische Prediger. Auch heute sehen wir, wie viele Gläubige wegen ihrer Unwissenheit in Glaubensdingen durch die lächerlichsten Argumente verunsichert oder sogar um den Glauben gebracht werden. So wissen sie z. B. nichts zu antworten, wenn ihnen jemand vorhält, die moderne Naturwissenschaft habe den Glauben widerlegt; Christus sei nicht auferstanden, sondern sein Leichnam von den Jüngern gestohlen worden oder die Jungfräulichkeit Mariens meine keine biologische Aussage, sondern solle nur bedeuten, dass Maria sich Gott restlos hingegeben habe.
Die Nacht des Glaubens
Wenn zwar viele Glaubenszweifel ihre Ursache in einer mangelnden religiösen Bildung haben, so gibt es doch auch eine Prüfung des Glaubens, die von Gott kommt und den Glauben von der Beimischung von allzu menschlichen Elementen reinigen soll. In der Tat findet unser Glaube oft sehr menschliche Stützen, wie z. B. die Tatsache, dass unsere Familienmitglieder und Freunde glauben. Es hilft unserem Glauben auch, dass das Allerheiligste im Tabernakel verschlossen ist, den nur der Priester öffnen darf, dass vor ihm ein ewiges Licht brennt, dass wir vor dem Tabernakel eine Kniebeuge machen und die Kommunion kniend auf die Zunge empfangen. Der Wegfall vieler dieser Ehrfurchtsbezeugungen in der Nachkonzilszeit hat leider nicht wenig zum Verlust des Glaubens bei vielen Menschen beigetragen.
Letztlich soll unser Glaube diese menschlichen Stützen aber nicht benötigen, sondern festbleiben, auch wenn wir in einer glaubenslosen Umgebung leben müssen oder uns die Leichtigkeit des Glaubens genommen wird. Ein solcher gereinigter Glaube ist dann natürlich noch verdienstlicher.
Die hl. Therese vom Kinde Jesus berichtet von einer solchen Prüfung des Glaubens:
Gott ließ zu, dass dichteste Finsternisse in meine Seele eindrangen und der mir so süße Gedanke an den Himmel bloß noch ein Anlass zu Kampf und Qual war … Diese Prüfung sollte nicht nur ein paar Tage, ein paar Wochen dauern, sie sollte erst zu der vom lieben Gott bestimmten Stunde erlöschen und … diese Stunde ist noch nicht gekommen … Gerne wollte ich ausdrücken, was ich fühle, aber ach! es erscheint mir unmöglich. Man muss durch diesen dunkeln Tunnel gewandert sein, um zu wissen, wie finster er ist.“[3]
Einer Mitschwester gegenüber sagte sie:
Wenn Sie wüssten, was für grässliche Gedanken mich verfolgen! … Es sind die Überlegungen der schlimmsten Materialisten, sie drängen sich meinem Geiste auf.“[4]
Diese Anfechtungen betrafen vor allem die Existenz des Himmels, und die Heilige war der Meinung, dass sie auf diese Weise Buße für diejenigen tun sollte, die aufgrund ihrer Schuld das kostbare Geschenk des Glaubens verloren hatten.
Setzen wir darum häufig Akte des Glaubens, denn wir können dadurch für uns selbst, aber auch für andere Gnaden verdienen. So hat ja auch der Engel in Fatima die Kinder angeleitet, Akte der drei göttlichen Tugenden zu setzen, indem er sie das folgende Gebet lehrte:
Mein Gott, ich glaube, ich bete an, ich hoffe und ich liebe Dich. Ich bitte Dich um Verzeihung für jene, die nicht glauben, nicht anbeten, nicht hoffen und Dich nicht lieben.“
Anmerkungen
[1] „credere non postest nisi volens“ (In Joan. tr. 26,2).
[2] II-II q.2, a.10.
[3] Therese von Lisieux: Selbstbiographie, 8. Aufl. Einsiedeln: Johannes-Verlag 1978, S. 219.
[4] Ebd., S. 221, Anm. 2.