Die Tugend der Hoffnung: 2. Die Gegensätze zur Hoffnung
Die Gegensätze zur Tugend der Hoffnung sind auf der einen Seite die Vermessenheit und auf der anderen Seite die Verzweiflung.
Die Vermessenheit
Wir können zwar nicht zu viel auf Gott hoffen, aber in falscher Weise. So ist es vermessen, das ewige Heil zu erhoffen, ohne etwas dafür tun zu wollen, also zu meinen, man könne ohne Gebet, ohne Kampf gegen die Sünde, ohne Buße und ohne den Empfang der Sakramente selig werden.[1] Diese Art der Vermessenheit ist heute selbst in der Kirche weit verbreitet, da viele Bischöfe, Priester und Theologen behaupten, wir dürften hoffen, dass die Hölle leer sei. Dafür gibt es jedoch weder in der Hl. Schrift noch in der Tradition der Kirche den geringsten Hinweis. Im Gegenteil sagt Christus in der Bergpredigt: „Weit ist das Tor und breit der Weg, der ins Verderben führt, und viele sind es, die auf ihm hineingehen“ (Mt 7,13). Das war vielleicht auch der größte Schwachpunkt in der Enzyklika Benedikts XVI. über die Hoffnung Spe salvi. Er schrieb hier zwar nicht, dass die Hölle leer sei, aber doch, dass wir hoffen dürften, es bleibe bei den allermeisten Menschen „ein letztes und innerstes Offenstehen für die Wahrheit, für die Liebe, für Gott im Tiefsten ihres Wesen gegenwärtig“ (Nr. 46). Aber in die Hölle kommen nicht nur diejenigen, die „dem Hass gelebt und die Liebe in sich zertreten haben“ (Nr. 45), sondern alle, die Gott nicht gehorsam sein wollen, in der schweren Sünde leben und der Gnade, die sie zur Umkehr ruft, widerstehen.
Der hl. Thomas von Aquin rechnet die Vermessenheit, die die Verzeihung der Sünden ohne Buße und das ewige Leben ohne Verdienste erhofft, sogar zu den Sünden gegen den Heiligen Geist, denn wenn jemand voll überlegt annimmt, er brauche für seine Sünden keine Buße zu tun, dann verachtet er gerade das, wodurch der Heilige Geist ihn von der Sünde zurückführen möchte.[2]
Keine Vermessenheit, aber doch eine ungeordnete Hoffnung liegt vor, wenn jemand in zeitlichen Dingen etwas fest erhofft, was Gott gar nicht versprochen hat. Natürlich dürfen wir hoffen, dass Gott uns Gesundheit schenkt, uns ein Kreuz wieder wegnimmt, uns bei unseren Unternehmungen Erfolg schenkt usw., aber wir müssen hier doch immer den Zusatz machen: „wenn Gott es will“. So betete Christus im Ölgarten: „Vater, wenn du willst, so nimm diesen Kelch von mir. Jedoch geschehe nicht mein Wille, sondern der deine“ (Lk 22,42). Wenn manche Christen z. B. fast verzweifeln, weil ihre Gebete um Gesundheit, sei es für sie selbst, sei es für einen anderen, nicht erhört werden, kann darin etwas Ungeordnetes liegen. Wir dürfen und sollen aber fest erhoffen, was für die Erlangung des Heils notwendig ist, also z. B. dass Gott uns die Geduld oder sogar die Liebe zum Kreuz schenkt, wenn wir nur beharrlich darum beten.
Alles, was eine Beziehung zum Heil hat, ist auch Gegenstand der christlichen Hoffnung. Das Wachstum in der Liebe und den christlichen Tugenden sollen wir also erhoffen. Wir dürfen sogar hoffen, eine gewisse Heiligkeit erreichen zu können, denn Christus ruft uns zu: „Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48).
Die Verzweiflung
Der andere Gegensatz zur Hoffnung ist die Verzweiflung. Die Verzweiflung ist eine Sünde, weil sie Gott gewissermaßen zum Lügner macht. Der Verzweifelte unterstellt Gott, dass seine Verheißungen nicht wahr seien, dass er ihn nicht liebe, ihm nicht mehr vergeben wolle und es darum für ihn keine Hoffnung mehr auf ein gutes Ende gebe.
Die Ursache dieser Hoffnungslosigkeit kann allerdings auch eine geistliche Trägheit sein, die sich nicht von der Sünde trennen und keine Anstrengungen für das Heil auf sich nehmen will. Die Gebote Gottes erscheinen einem solchen Menschen als zu schwer.
Eine Sünde ist freilich nur die echte, überlegte Verzweiflung, und nicht das Gefühl der Verzweiflung, das eine Versuchung ist. Wir lesen von mehreren Heiligen, dass sie durch die Versuchung zur Verzweiflung geprüft wurden. Manche fürchteten, Gott habe sie verworfen und nicht in die Zahl der Prädestinierten aufgenommen, wie z. B. der hl. Franz von Sales, der dadurch zeitweise sogar todkrank wurde. Auch der Pfarrer von Ars sagte, seine Versuchung sei die Verzweiflung gewesen.
Der hl. Thomas lehrt, dass die Verzweiflung zwar eine weniger schwere Sünde sei als der Unglaube und der Gotteshass, aber in gewisser Hinsicht eine gefährlichere, da der Verzweifelte in Gefahr ist, sich hemmungslos der Sünde zu ergeben, um so wenigstens noch etwas Trost und Vergnügen zu finden.[3]
In der Versuchung zur Verzweiflung gilt es, fest auf Gott zu hoffen, selbst gegen alle menschliche Hoffnung (vgl. Röm 4,18). Das Heilsame dieser Versuchung kann darin bestehen, uns das falsche Selbstvertrauen zu nehmen. Wir erkennen dann klar, dass wir verloren wären, wenn es nur auf uns ankäme. Wir sollen den Himmel aber eben nicht aufgrund unserer eigenen Tüchtigkeit erhoffen, sondern gestützt auf die Hilfe Gottes.
Das macht auch die Sicherheit der Hoffnung aus. Die Hoffnung, sagt Thomas, ist sicher von Seiten Gottes, d. h. wir dürfen sicher sein, dass wir das Heil aufgrund der Hilfe und Barmherzigkeit erlangen können. Wir haben aber keine absolute Sicherheit, das Heil tatsächlich zu erreichen, weil es von unserer Seite aus Hindernisse geben kann.[4] Wir haben eben Hoffnung auf das Heil, aber keine absolute Sicherheit. Darum heißt es, dass wir „mit Furcht und Zittern“ (Phil 2,12) unser Heil wirken sollen, und: „Wer steht, sehe zu, dass er nicht falle“ (1 Kor 10,12).
Die Hoffnung wächst, wenn wir uns in den Prüfungen bewähren, denn Paulus schreibt in Röm 5,3 ff.:
„Wir rühmen uns auch der Trübsale. Wissen wir doch, dass die Trübsal zur Standhaftigkeit führt, die Standhaftigkeit zur Bewährung, die Bewährung zur Hoffnung. Die Hoffnung aber kann nicht trügen; denn die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns verliehen wurde.“
Weitere Fragen
Betrachten wir noch zwei Fragen, die der hl. Thomas behandelt:
Dürfen wir auf einen Menschen hoffen?[5] Thomas antwortet: Wir dürfen nicht so auf ihn hoffen, als wäre er die Erstursache unseres Heils, wohl aber dürfen wir auf ihn wie auf eine Zweitursache hoffen. So hoffen wir auf die Hilfe der Heiligen, besonders der Muttergottes, die wir sogar als Spes nostra – unsere Hoffnung anrufen. In dieser Weise dürfen wir auch hoffen, dass unser Beichtvater oder ein Freund uns bei der Erlangung des ewigen Heils hilft.
Können wir für einen anderen die ewige Seligkeit erhoffen?[6] – Direkt betrachtet, richtet sich die Hoffnung nur auf unser eigenes Heil. Indirekt aber, insofern wir durch die Liebe mit anderen verbunden sind, können wir auch für diese das Heil erhoffen. Es ist aber eigentlich die Liebe, die uns anderen Gutes wünschen lässt. Wenn wir am Heil anderer verzweifeln, wäre es nur dann eine Sünde, wenn wir kein Vertrauen auf die genügende Hilfe Gottes hätten, nicht aber, wenn wir wegen des hartnäckigen Widerstandes eines Sünders gegen die Gnade die Hoffnung für ihn aufgeben würden.
Sicher aber dürfen wir hoffen, durch unser Gebet und Opfer viele Seelen retten zu können, wenn wir auch keine Sicherheit haben, genau diese oder jene Seele zu retten.
Die Bedeutung der Hoffnung
Die Hoffnung ist die Tugend, die uns die Gewissheit gibt, dass in unserem Leben trotz aller Leiden, die wir vielleicht zu tragen haben, letztlich alles gut werden wird, wenn wir Gott nur treu sind.
Diese Gewissheit haben die Ungläubigen nicht. Paulus erinnert die Epheser daran, dass sie vor ihrer Begegnung mit Christus „ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt“ waren (Eph 2,12). Den Thessalonichern schreibt er, sie sollten nicht traurig sein „wie die anderen, die keine Hoffnung haben“ (1 Thess 4,13). Die ersten Christen erlebten also, dass sie eine Hoffnung gefunden hatten, die die Heiden nicht kannten.
Auch bei unseren Neuheiden sehen wir diese Hoffnungslosigkeit. Das bedeutet nicht, dass alle Ungläubigen ständig traurig und verzweifelt sind, sondern dass derjenige, der keine Hoffnung auf ein ewiges, glückseliges Leben hat, seine ganze Hoffnung auf das irdische Leben setzen wird. Es wird für ihn darum kaum möglich sein, um eines höheren Ideals willen auf etwas Irdisches zu verzichten. Darum schwinden in unserer Gesellschaft Treue, Ehrlichkeit, Opferbereitschaft usw. Wenn wir nur vom Zufall zusammengewürfelte Wesen sind, Produkte einer blinden Evolution, dann hat unser Leben in der Tat keinen Sinn und keine Hoffnung. Der Evolutionsbiologe und Nobelpreisträger Jacques Monod schrieb tatsächlich: „Wenn der Mensch diese Botschaft in ihrer vollen Bedeutung aufnimmt, dann muss er endlich aus seinem Traum erwachen und seine totale Verlassenheit, seine radikale Fremdheit erkennen; er weiß nun, dass er seinen Platz wie ein Zigeuner am Rand eines Universums hat, das für seine Musik taub ist und vollkommen gleichgültig gegenüber seinen Hoffnungen, Leiden und Verbrechen.“[7]
Unsere christliche Hoffnung sagt uns dagegen, dass es für jeden Menschen die wahre Möglichkeit gibt, vollkommen glücklich zu werden, dass unsere Welt also trotz der vielen Übel, die es in ihr gibt, letztlich doch gut eingerichtet ist. Das ist ein sicherer Anker in allen Stürmen des Lebens.
Anmerkungen
[1] Eine andere Art der Vermessenheit besteht in der Überschätzung der eigenen Kräfte und Fähigkeiten. So wäre es z. B. vermessen zu meinen, man könne ohne gründliches Studium in den schwierigsten Fragen einer Wissenschaft ein sicheres Urteil fällen. Vermessen wäre es auch, ein Amt anzustreben, zu dem man offensichtlich nicht die Fähigkeiten hat. Diese Art von Vermessenheit ist keine Sünde gegen die Hoffnung, sondern eine Art des Stolzes.
[2] Vgl. S Th II-II, q.21, a.1.
[3] S Th II-II, q.20, a.3.
[4] S Th II-II, q.18, a.4.
[5] S Th II-II, q.17, a.4.
[6] Ebd., a.3.
[7] Jacques Monod: Zufall und Notwendigkeit, München 1971, S. 211.