Sonntag Septuagesima: Die Güte Gottes provoziert das menschliche Rechtsgefühl

Quelle: Distrikt Österreich

Zum ersten Mal im Kirchenjahr hören wir ein Gleichnis des Herrn. Christus hat gern in Gleichnissen geredet. Sie entsprechen seiner schlichten Art. Gleichnisse haben eine doppelte Aufgabe: Sie sollen einerseits den ungebildeten Menschen die tiefen Wahrheiten des Glaubens nahe bringen, andererseits diese den Hochmütigen und Unwürdigen verschließen.

Die meisten Gleichnisse scheinen leicht verständlich. Aber dieser Eindruck währt nur solange, wie man sie nur oberflächlich betrachtet. Wer in sie eindringt, entdeckt ihre wahre Tiefe. Wichtig für das Verständnis eines Gleichnisses ist der Vergleichspunkt, von dem aus es sich erschließt.

Der Text des Gleichnisses

Das heutige Gleichnis beschreibt die Zeit der Weinlese. Der Weinbau ist ein beliebtes Bild in der Bibel. Zur Weinlese stellt der Besitzer des Weinbergs zusätzlich fremde Arbeiter ein, damit die Arbeit schnell vorangeht. Darum begibt sich der Hausvater früh am Morgen auf den Marktplatz, um Arbeiter für den Tag anzustellen. Dort stehen viele und warten auf Anstellung. Der Lohn ist schnell ausgehandelt. Ein Denar für den Tag. Der Herr schickt sie in seinen Weinberg. Die Arbeitszeit war der natürliche Tag, von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, etwa von 6 Uhr morgens bis 18 Uhr abends. Der Hausvater sieht bald, dass er mit der anfänglichen Zahl Arbeiter nicht auskommt. Darum kehrt er zur ersten Pause, gegen 9 Uhr, wieder auf den Marktplatz zurück, findet andere Arbeiter und schickt auch sie in den Weinberg mit dem Versprechen, sie würden schon den gerechten Lohn erhalten. Dasselbe tut er zur Mittagspause und zur Kaffeezeit, ja sogar noch einmal um 17 Uhr, eine Stunde vor Arbeitsschluss. Und auch dann findet er noch Arbeiter am Markt. Nach der Arbeit kommt es zur Auszahlung. Da gibt es eine Überraschung und Auseinandersetzung. Der Herr lässt durch seinen Verwalter den Lohn auszahlen. Zuerst bekommen die, die nur eine Stunde gearbeitet haben einen Denar. Aber auch die anderen, die den ganzen Tag gearbeitet haben, bekommen einen Denar. Die ersten Arbeiter machen geltend, dass sie die Last und die Hitze des Tages getragen haben. In aller Ruhe antwortet der Hausvater den Murrenden. „Freund, ich tue dir kein Unrecht; bist du nicht für einen Denar mit mir übereingekommen? Nimm was dein ist und geh!“ Dann macht er sein Recht geltend, zu tun, was er will: „Ich will auch diesem Letzten geben wie dir! Ist es mir nicht erlaubt, mit dem Meinen zu tun, was ich will? Oder blickt dein Auge böse, weil ich gütig bin?“ Der Grund, den der Hausvater vorbringt, ist seine freie Güte, die ihm niemand verwehren kann.

Das Einmaleins Gottes

Dieses Gleichnis verkündigt uns etwas Unerwartetes, etwas, was für den menschlichen Verstand unerhört klingt. Ein Arbeitgeber heute wird nicht so handeln wie der Hausvater im Gleichnis und den Arbeitern, die nur eine Stunde Arbeit geleistet haben, den gleichen Lohn geben wie denen, die einen vollen Tag gearbeitet haben. Aber gerade hier liegt der Vergleichspunkt des Gleichnisses. Die Menschen denken und handeln anders als Gott. Die Menschen rechnen mit Uhr, Maß und Gewicht. Gott hat ein anderes Einmaleins. Gott rechnet überhaupt nicht. Gott schaut nur in den Menschen hinein, und wenn er im Innern schlichte Hingabe findet, dann gibt Er seinen Lohn.

Unterschied Gesetz und Gnade

Was uns das Gleichnis lehrt, ist der Unterschied zwischen Gesetz und Gnade. Das Gesetz und das menschliche Recht sehen auf die äußere Leistung, zählen die Werke, die Dauer des Dienstes, suchen Gerechtigkeit. Gott hingegen ist uneingeschränkt Liebe und Güte. Er kann nicht anders, als mit vollen Händen geben. Diese gebende Güte kann nur da eingeschränkt werden, wo der Mensch sich verschließt. Die Gnade ist ein freies Geschenk Gottes, das nicht gewogen und verdient werden kann.

Im Himmel wird es geschehen, dass Menschen, die zuletzt berufen und für Gott nur kurz gearbeitet haben, eine ebenso hohe Stellung einnehmen werden wie die, die ihm von der Taufe an gedient haben. Es mag sein, dass die Arbeiter der letzten Stunde sogar vorgezogen werden. Gewiss wird Gott niemals ungerecht sein und darum jedem seinen Lohn geben.

Der Vergleichspunkt des Gleichnisses ist nicht der gleiche Lohn, der allen gegeben wird, sondern vielmehr die, dem natürlichen Menschen unverständliche Güte des Hausvaters. Das ist eine Gnadenlehre, die der einfachste Mensch verstehen kann.

Trost und Warnung

Das Gleichnis tröstet uns: Die Gnade ist immer Ausfluss der unerschöpflichen Liebe und Güte Gottes, die jedem offensteht. Darum spielt es keine Rolle, zu welcher Stunde der Hausvater den Menschen ruft und es ist für niemanden zu spät. Gott macht es nicht wie ein Mensch, der sich im Unwillen abwendet und nicht wieder gut sein will. Auch wer sein ganzes Leben vergeudet und Sünden aufgehäuft hat, braucht nicht zu verzweifeln. Auch der, der erst in der Todesstunde in den Weinberg eintritt, wird von Gottes Güte umfangen. Müssten wir auf unsere Werke vertrauen, könnten wir nie Frieden finden.

Darum dürfen wir uns über keinen Menschen erheben. Unser Rechtsgefühl ist gemeinhin stärker als unsere Güte. Sogar gegenüber denjenigen, die uns am nächsten stehen, sind wir mehr auf das Recht als auf die Liebe bedacht. Wir beurteilen sie nach der Leistung, die sie zu unseren Gunsten und in unseren Diensten verrichten. Nur wenige Menschen gibt es, die sich in ihrer Liebe unabhängig machen und geben können, ohne zu zählen. Wir alle müssen lernen, die Güte Gottes auszustrahlen. Die Anklage des Hausvaters gilt uns: „Blickt dein Auge böse, weil ich gütig bin?“

Zudem müssen wir aufhören, unsere Verdienste zu zählen und uns wegen unserer Leistungen über andere zu überheben. Lassen wir das Rechnen und vertrauen wir auf die Liebe Gottes.