„Sachsler Meditationsbild“: Das „Buch“ des hl. Bruder Klaus
Von Christoph Noser
In der Pfarrkirche von Sachseln befindet ein bemaltes Tuch, das sogenannte „Sachsler Meditationsbild“, das der hl. Bruder Klaus sein „Buch“ nannte und das ihm zur Meditation diente. Hier folgen nun einige Gedanke darüber:
Die Mitte bildet ein Medaillon mit einem gekrönten Haupt. Von diesem Rundbild gehen sechs strahlenähnliche Gebilde aus, so dass je drei davon die Spitze einwärts gerichtet haben und ihre äusseren Enden miteinander verbunden ein nahezu gleichseitiges Dreieck bilden, ebenso sind drei Strahlen mit der Spitze nach aussen vorhanden. Das Medaillon ist in der Grundfarbe rot und von einem Goldkreis umgeben; zu diesem konzentrisch angeordnet umschliesst ein etwas breiterer roter Kreis die aussen breit endenden Strahlen. Dieser äussere Kreis wird tangiert von sechs weiteren, regelmässig verteilten Medaillons, so dass die Strahlen auf je eines hinzeigen. Diese Medaillons sind ebenfalls goldfarben eingefasst. Daran, sowie an den oberen und unteren Bildrand anschliessend sind die vier mit Spruchbändern versehenen Evangelistenembleme angeordnet, diese sind rot und viereckig eingefasst, ebenso auch das Marienbild im Medaillon der Eucharistiedarstellung.
Drei „Speichen“ sind also aussen breit und innen spitz, bei drei weiteren verhält es sich umgekehrt. Die Zahlenstruktur 2 mal 3 scheint in Form zweier Dreiecke in zwei entgegengesetzten Bewegungen - Transzendenz und Immanenz - nach aussen und nach innen zu weisen: Gottes Wirken ist nach aussen dreifach, eine dreifache Zuwendung gegenüber den Menschen und der ganzen Schöpfung. Das dreifaltige Heilswirken Gottes - im Vater – im Sohn - und im Heiligen Geist – ist anschaulich dargestellt in den Medaillons: Schöpfung, Verkündigung, Erlösung. Die Herabkunft Gottes zu den Menschen wird eben deutlich, wenn wir diese drei Medaillons miteinander verbinden. Es ergibt sich das nach unten gerichtete Dreieck, Symbol des Einbruchs Gottes in die Welt. Diese soll antworten mit dem Lobgesang; die ganze Schöpfung, alles, was atmet, soll Gott loben. Die Verbindung der drei Medaillons: Geburt Jesu, Gefangennähme und Eucharistie ergibt ein aufsteigendes Dreieck, das Symbol des Aufstiegs des Menschen zu Gott. Die beiden sich durchdringenden Dreiecke sind Zeichen der Vereinigung von Gott und Mensch, die das Ziel des Menschen auf dem inneren Weg ist.
Vor einem grünen, hügeligen Hintergrund erhebt sich das Kreuz. Jesus hängt daran mit geneigtem Haupt, das einen entstellten Gesichtsausdruck hat. Es ist keine eigentliche Dornenkrone sichtbar, bloss eine weisse Kopfbinde. Die Szene ist unblutig, und keine Seitenwunde ist zu sehen. Der Sohn Gottes ist allein, verlassen. Der feingliedrige Körper scheint zu schweben. Das Kleid, um den nach den Passionserzählungen das Los geworfen wurde, wird hier zum Symbol für das barmherzige Werk „Nackte bekleiden“.
Im Bild der Verkündigung der Geburt Jesu kniet Maria vor einem Lesepult, in blauem Kleid und weissem Mantel. Links beugt ein Engel sein rechtes Knie. Er schaut jedoch nicht zu Maria hin, sondern zur in der Mitte herabschwebenden Taube, dem Heiligen Geist, d.h. er betet den Geist Gottes an, seine Gottheit. Der Engel hält ein Spruchband, das an einem Stab befestigt ist, auf dem zu lesen ist: „Dominus tecum“. Schliesslich liegen unten im Bild zwei gekreuzte Achselkrücken, welche hindeuten auf die Pflicht, gegenüber Kranken barmherzig zu handeln.
Da in je einem Medaillon der Sohn (am Kreuz) und der Heilige Geist (Verkündigung) dargestellt werden, ist es naheliegend, dass im 3. Medaillon Gott-Vater dargestellt ist. Auf der rechten Seite sitzt eine männliche Gestalt mit Bart, mit weisser Albe und rotem Mantel, in der linken einen Reichsapfel. Die Gestalt trägt die Kaiserkrone Karls IV. Es sind drei weitere vernunftbegabte Wesen erkennbar, zwei davon haben Flügel. Oben rechts sind Sonne und Mond abgebildet, unten vier Tiere, ferner noch Brot, Fisch und Weinkanne. Letztere symbolisieren das Werk „Hungrige und Dürstende speisen“. – Gott im Angesicht der Schöpfung, das scheint hier das Thema zu sein. Gott ist der Schöpfer aller Kreaturen, und die ganze Schöpfung schuldet ihm Anbetung, Lob und Dank. Das sind zwei Bewegungen: von Gott her und zu Gott hin. Es könnte sich im Rundbild aber auch um Jesus, den Weltenrichter oder Pantokrator (Allherscher), handeln, „damit im Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen“ (Phil 2,10), Engel, Menschen und Teufel, wie im Tuch abgebildet.
Gefangennahme Jesu: Jesus wird von Judas Ischariot verraten und von drei Häschern gefangen genommen. Petrus schlägt mit dem Schwert dem einen Häscher ein Ohr ab, das Jesus aufnimmt und diesem wieder ansetzt. Die Kette rechts unten symbolisiert das barmherzige Werk „sich um die Gefangenen kümmern“.
Geburt Jesu: Das neugeborene Jesuskind liegt in einem Stall auf dem mit Stroh ausgelegten Boden. Im Hintergrund kniend Ochs und Esel. Maria betet das Kind an, von dem ein helles Licht ausgeht. Diese Anbetung durch Maria soll hier im Bild unterstreichen, dass dieses Kind Gott ist, der Mensch wurde. Auch fehlt ein Symbol für die Werke der Barmherzigkeit nicht, diesmal ist es „Fremde beherbergen“, angedeutet durch Pilgerstab und Tasche.
Auf einem Marienaltar – Maria trägt als neue Eva in der linken Hand einen Apfel – feiert ein Ordenspriester eine Totenmesse. Hinter ihm kniet ein Messdiener oder Mesner mit einer grossen Kerze. Im Hintergrund an der Wand steht ein Sarg. Dieser deutet symbolisch das letzte Werk der Barmherzigkeit an, nämlich „Tote begraben“. Unten wurde ein Wappen aufgemalt, das ziemlich sicher das des Stifters ist.
Das Bild will also dem Menschen gleichsam in einem Spiegel das Wichtigste vor Augen halten: Der Mensch soll in Ehrfurcht die Werke Gottes betrachten (Auge), das Wort Gottes hören (Ohr) und den Glauben bekennen (Mund). In einer zweiten Ebene soll der Mensch auch den Glauben im Tun bekennen, in dem er gegenüber den Geschöpfen Gottes Barmherzigkeit zeigt. Gott selbst ist ja die Barmherzigkeit (caritas, misericordia).