Quadragesima: Die Intention der Kirche für die Fastenzeit

Quelle: Distrikt Deutschland

Fastenhirtenbrief von Erzbischof Marcel Lefebvre im Jahr 1982

Liebe Gläubige!

Ich möchte nach einer alten und heilsamen Tradition der Kirche zu dieser Fastenzeit einige Worte an Sie richten, um Sie zu ermutigen, diese Bußzeit mit ganzer Seele und in der Verfassung, wie sie die Kirche will, zu begehen, mit der Intention, die die Kirche für diese Fastenzeit vorgeschrieben hat.

Wenn ich in den Büchern vom Anfang dieses Jahrhunderts nach den Intentionen suche, die die Kirche für diese Zeit der Buße vorgeschrieben hat, finde ich darin drei angegeben:

zunächst das Im-Zaum-Halten der fleischlichen Begierde,

sodann das leichtere Erheben unserer Seele zu den göttlichen Wirklichkeiten

und schließlich das Sühnen für unsere Sünden.

Eben dieses Beispiel hat uns ja Unser Herr in seinem Leben hier auf Erden gegeben: beten und Buße tun. Aber da Er weder der Begierlichkeit noch der Sünde unterworfen war, hat Er für unsere Sünden Buße getan und Sühne geleistet und uns dadurch gezeigt, dass unsere Buße nicht nur uns, sondern auch unseren Nächsten zugutekommen kann.

Beten und Buße tun. Buße tun, um besser beten zu können, um Gott noch näher zu kommen, das haben auch alle Heiligen getan, und dazu ermahnt die allerseligste Jungfrau Maria in allen ihren Botschaften.

Werden wir es wagen zu sagen, dass das in unserer Zeit weniger notwendig ist als in früheren Zeiten? Wir können und müssen im Gegenteil sagen, dass das Gebet und die Buße noch nie notwendiger waren als heute, weil man alles getan hat, um diese beiden fundamentalen Elemente des christlichen Lebens zu mindern und herabzusetzen.

Wann hätte man jemals so wie heute alle ungeordneten Triebe des Fleisches völlig schrankenlos zu befriedigen gesucht, bis hin zum Mord an Millionen unschuldiger Kinder? Man möchte glauben, dass die Gesellschaft nur eine einzige Existenzberechtigung habe, nämlich allen Menschen ein Maximum an Lebensgenuss zu bereiten und ihnen jeglichen Mangel an materiellen Gütern zu ersparen.

So ist heute das Ziel der Gesellschaft genau dem entgegengesetzt, was die Kirche vorschreibt. Kein Wunder also, dass wir in dieser Zeit, wo die Männer der Kirche sich nach dem Geist der Welt ausrichten, Gebet und Buße schwinden sehen, besonders was die Sühne für die Sünden und die Erlangung der Sündenvergebung betrifft. Wer will heute noch den ergreifenden Psalm 50 „Miserere“ beten und mit dem Psalmisten sprechen: „Peccatum meum contra me est semper — meine Sünde steht mir allezeit vor Augen“? (Ps 50,5) Wie aber könnte eine christliche Seele den Gedanken an ihre Sünden fernhalten, wenn sie immer das Bild des Kreuzes vor Augen hat?

Die Bischöfe haben auf dem Konzil eine derartige Reduzierung des Fastens und der Abstinenz gefordert, dass diese Vorschriften praktisch aufgehoben sind. Wir müssen zugeben, dass diese Reduzierung eine Folge des ökumenischen und protestantischen Geistes ist, der leugnet, dass es notwendig ist, selbst dabei mitzuwirken, dass die Verdienste Unseres Herrn jedem von uns zur Vergebung unserer Sünden und zur Wiederherstellung unserer Gotteskindschaft zugewendet werden.

Bisher aber haben die Gebote der Kirche Folgendes vorgeschrieben:       

- obligatorisches Fasten an allen Tagen der Fastenzeit außer an den Sonntagen, an den jeweiligen drei Quatembertagen und an mehreren Vigiltagen;

- Abstinenz an allen Freitagen des Jahres, an den Sonntagen [Korrektur der Redaktion: an den Samstagen] der Fastenzeit und in zahlreichen Diözesen an allen Samstagen des Jahres.

Was ist heute von diesen Vorschriften übriggeblieben?

- das Fasten am Aschermittwoch und am Karfreitag,         

- die Abstinenz am Aschermittwoch und an den Freitagen der Fastenzeit.

Man fragt sich: Warum eine derartige Verringerung?

Wer ist zum Fasten verpflichtet?

Zum Fasten sind die Erwachsenen vom 21. bis zum 60. Lebensjahr verpflichtet.

Wer ist zur Abstinenz verpflichtet?

Zur Abstinenz sind alle Gläubigen vom 7. Lebensjahr an verpflichtet.

Was heißt Fasten?

Fasten heißt, nur eine Mahlzeit am Tag einzunehmen, darüber hinaus aber noch zwei Imbisse, einen am Morgen und einen am Abend, die jeweils nicht mehr als zwei Unzen, das sind 60 g, fester Nahrung enthalten.

Was heißt Abstinenz?

Abstinenz heißt Enthaltung von Fleischgenuss.

Gläubige, die wirklich den Glaubensgeist besitzen und ein tiefes Verständnis für die eben angeführten Beweggründe der Kirche haben, werden nicht nur diese leichten Vorschriften von heute erfüllen wollen, sondern, erfasst vom Geist Unseres Herrn und der allerseligsten Jungfrau Maria, die Sünden, die sie selbst begangen haben, sowie die Sünden ihres Nächsten, ihrer Familie, ihrer Freunde und ihrer Mitmenschen auf sich nehmen.

Sie werden deshalb diesen Vorschriften etwas hinzufügen, etwa das Fasten an allen Freitagen der Fastenzeit oder die Enthaltung von Alkohol oder von Wein, oder das Sich-des-Fernsehens-Enthalten. Sie werden sich bemühen, mehr zu beten, öfter der heiligen Messe beizuwohnen, den Rosenkranz zu beten und das Abendgebet in der Familie nicht zu versäumen. Sie werden sich von überflüssigem Besitz trennen, um den Seminaren zu helfen, um Schulen zu gründen, um ihren Priestern bei der Einrichtung von Kapellen zu helfen, um den Ausbau von Häusern für Ordensmänner und Ordensfrauen zu fördern.

Die Vorschriften der Kirche betreffen nicht nur Fasten und Abstinenz, sondern auch die österliche Pflicht.

Folgendes empfahl zum Beispiel der Kapitelvikar von Sitten am 20. Februar 1919 den Diözesanen:

1. Während der Fastenzeit sollen die Herren Pfarrer zweimal in der Woche Kreuzweg halten, einen Tag mit den Schulkindern und einen Tag mit den anderen Pfarrangehörigen. Nach dem Kreuzweg soll die Herz-Jesu-Litanei gebetet werden.

2. In der Passionswoche, das ist in der Woche vor dem Palmsonntag, soll in allen Pfarrkirchen ein Triduum gehalten werden mit Unterweisung, Herz-Jesu-Litanei vor ausgesetztem Allerheiligsten und Segen.

Bei diesen drei Unterweisungen sollen die Herren Pfarrer ihren Pfarrkindern auf einfache und klare Weise die wichtigsten Voraussetzungen für den würdigen Empfang des Bußsakramentes ins Gedächtnis rufen.

3. Als Zeit, während welcher man seine Osterpflicht erfüllen kann, ist für alle Pfarren die Zeit vom Passionssonntag bis zum Weißen Sonntag festgesetzt.

Warum sollen diese Weisungen heute nicht mehr gültig sein?

Nützen wir diese Zeit des Heiles, in der Unser Herr immer überreiche Gnaden spendet! Machen wir es nicht wie die törichten Jungfrauen, die, weil sie kein Öl mehr in ihren Lampen hatten, die Türe zum Haus des Bräutigams verschlossen fanden und jene schreckliche Antwort hören mussten: „Amen dico vobis, nescio vos. — Wahrlich, Ich sage euch, Ich kenne euch nicht!“ (Mt 25,12)

Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Es ist der Geist der Losgelöstheit von den Gütern dieser Welt.

Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Denken wir an Jesus am Ölberg, der über unsere Sünden geweint hat. Jetzt ist es an uns, unsere Sünden und die unserer Brüder zu beweinen.

Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden (Mt 5,3,5,6). Die Gerechtigkeit kommt durch das Kreuz, die Buße und den Abbruch. Wenn wir wahrhaft die Vollkommenheit suchen, müssen wir den Kreuzweg gehen.

Möchten wir doch in dieser Fastenzeit den Ruf Jesu und Mariens hören und in ihrer Nachfolge „das Kreuz nehmen“ zu Gebet und Buße!

Könnte doch unser Beten, unser Flehen, unser Abbruch vom Himmel erlangen, dass diejenigen, die in der Kirche die Verantwortung haben, zu den wahren und heiligen Überlieferungen zurückkehren, wodurch allein es möglich würde, dass die Einrichtungen der Kirche wiederaufleben und zu neuer Blüte kommen!

Beten wir oft und von Herzen den Schluss des Te Deum: „In Te Domine speravi, non confundar in aeternum.“ „Auf Dich hoffe ich, o Herr, und werde in Ewigkeit nicht zuschanden werden.“