Die Parabel vom Eishockey

Quelle: Distrikt Deutschland

Eishockey ohne Eis

Von Pater Stefan Pfluger

Es war einmal ein schönes Land in den Bergen. Schon seit Jahrzehnten wurde in diesem Land Eishockey gespielt. Im Lauf der Jahrzehnte war das Eishockeyspiel schneller und athletischer geworden. Die Trainingsmethoden waren laufend verbessert worden. Die Infrastruktur war angepasst worden. Die ganzen Eishockeyvereine waren in einem Verband zusammengeschlossen, der Einheit und Ordnung garantierte. Mit anderen Worten: In diesem Land herrschte eine blühende Eishockey-Kultur.

Da begann plötzlich – man wusste gar nicht recht, wie das kam – eine gewisse Unzufriedenheit um sich zu greifen. Zuerst in einigen Vereinen, dann flächendeckend über das ganze Land verteilt, kam es zu großen Diskussionen zwischen den Mitgliedern des Eishockeyverbands.

Einige von ihnen forderten, man solle auf das Eis verzichten. Es sei schließlich viel einfacher, auf weniger rutschigem Boden zu spielen. Natürlich fordere das andere Schuhe, aber Turnschuhe seien ja auch bequemer als Schlittschuhe.

Ein großer Teil der Mitglieder fand, man solle unbedingt die Regeln ändern. Das Eishockeyspiel sei viel zu hart. Ein Spiel ganz ohne Körperkontakt wäre besser, ein Spiel, bei dem man einfach darauf schaut, dass die Gegenspieler einem nicht zu nahe kommen, sie aber sonst machen lässt, was sie wollen. So sei allen gedient, es gäbe weniger Streit und das Eishockey werde viel menschlicher.

Eine dritte Fraktion wollte nicht so viel ändern. Aber sie waren dagegen, mit einem harten Puck zu spielen, und schlugen vor, ihn durch eine Schaumstoffkugel zu ersetzen.

Die verschiedensten Bestrebungen ergänzten und verstärkten sich gegenseitig. Immer mehr Mitglieder des Eishockeyverbands waren den neuen Ideen gegenüber ganz aufgeschlossen. Man sagt, dass nicht wenige alle drei Vorstöße zur Änderung unterstützten. In einer großen und denkwürdigen Sitzung des Eishockeyverbands wurde beschlossen, den Änderungen Tür und Tor zu öffnen. Über 95 % der Mitglieder stimmten dafür. Von dieser riesigen Mehrheit waren sie selber so beeindruckt, dass sie von da an behaupteten, sie hätten die Wahrheit erkannt: Das Spiel nach ihren neuen Regeln sei das eigentliche Eishockey. Das „Eishockey“ von früher verdiene diesen Namen nicht, weil es unmenschlich, eng und bedrohlich gewesen sei.

Allerdings gab es Widerstand. Ein kleiner Verein protestierte heftig. Seine Mitglieder waren sich einig: Nie würden sie das mitmachen. Sie seien nicht dem Eishockey-Verein beigetreten, um irgendeine „Weichspül-Sportart“, wie sie es nannten, auszuüben. Eishockey sei Eishockey, und dabei bleibe es. Die Neuerungs-Süchtigen seien am besten beraten, wenn sie einen neuen Verband gründen würden. Sie selber seien nicht bereit, das Wesentliche am Eishockey aufzugeben.

Da der Präsident des Verbands die Mehrheit gewähren ließ, sich nicht festlegen und vor allem die Menschen nicht einengen wollte, wurde schließlich alles erlaubt. Einzige Vorgabe war, dass man sich vor jedem „Eishockey“-Spiel darauf einigen musste, welche Version der Regeln in diesem konkreten Fall anzuwenden sei. Aber auch da konnte man noch während des Spiels umschwenken – wenn alle damit einverstanden waren. So konnte man schließlich auch viele Menschen, die eigentlich ganz andere Sportarten ausübten, in den Eishockey-Verband einbinden.

Das Widerstands-Grüppchen, das heißt der kleine Verein, veranstaltete weiterhin Spiele, ja sogar Turniere. Es wurde dabei Eishockey auf hohem Niveau gespielt. Die Zuschauer kamen nicht in Scharen, aber dafür sehr regelmäßig und treu. Viele Kinder konnten für das Eishockey begeistert werden, so dass eigens Eishockey-Akademien errichtet wurden.

Allerdings erklärte der offizielle Eishockey-Verband immer wieder, diese „Fanatiker“ würden gar nicht zum Eishockey-Verband gehören. Es sei hochgradig arrogant von ihnen, zu behaupten, sie hätten als Einzige die wahren Eishockeyregeln. Es sei unbarmherzig von ihnen, alle anderen Mitglieder und Vereine des großen Verbands auf ihre Linie bringen zu wollen. Wo bleibe denn da, so fragte man, die Freiheit der Mitglieder und die jedem überlassene verantwortliche Entscheidung des Gewissens?

Im Lauf der Jahre blühte der kleine Verein auf und immer mehr neugegründete Vereine schlossen sich ihm an. Ihre Eishockey-Akademien bildeten immer mehr gute Spieler aus. Gleichzeitig nahm beim offiziellen Verband die Zahl der Zuschauer und der Spieler laufend ab. Immer mehr einzelne Vereine mussten den Betrieb einstellen oder sich mit anderen Vereinen zusammenschließen.

Und wie sieht es jetzt aus?

Eine Änderung dieser Tendenz ist nicht in Sicht. So fällt eine Prognose nicht schwer: Das Wischi-Waschi-Spiel des offiziellen Verbandes wird mangels aktiver Sportler aussterben. Und in einigen Jahren wird in diesem schönen, ehemals so blühenden Eishockey-Land wieder ausschließlich richtiges Eishockey gespielt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.