Nichts verlangen und nichts verweigern. Zum 400. Todestag des hl. Franz von Sales

Quelle: Distrikt Deutschland

Nichts verlangen und nichts verweigern.

Zum 400. Todestag des hl. Franz von Sales (Teil 1)

Herbst 1622. Franz von Sales, Fürstbischof von Genf, begleitet seinen Landesherrn, den Herzog von Savoyen, auf einer Reise nach Avignon. Auf dem Rückweg trifft er am 29. November in Lyon ein und nimmt Quartier im Kloster der Heimsuchung. Einen Monat später wird er nicht mehr unter den Lebenden sein. Der Bischof ahnt es, seine Gesundheit ist schwer angeschlagen. Neben verschiedenen Beschwerden und Krankheiten plagen ihn vor allen Dingen Zustände der Erschöpfung. Trotzdem bleibt er bis zum letzten Atemzug für alle verfügbar – denn er ist Bischof!

„Gott aber schenkte mich dem Volk“

Am Gedenktag der Unbefleckten Empfängnis Mariens kann er das 20-jährige Jubiläum seiner Bischofsweihe begehen. Am 8. Dezember 1602 war er nach zwanzigtägigen Exerzitien zum Bischof geweiht worden. Und so versteht er seither dieses Amt: „Als ich zum Bischof geweiht wurde, nahm mich Gott mir selbst, um mich ganz für sich in Beschlag zu nehmen; dann aber schenkte er mich dem Volk, das heißt, er hat mich so umgewandelt, dass ich von nun an nicht mehr für mich lebe, sondern für sie.“ Seine Biografen schildern detailliert, wie konsequent, wie vollkommen Franz von Sales dieses Programm ausführt: ganz Gott gehören und darum ganz den Menschen. An dieser Stelle sei bloß angedeutet, wie er diesem Programm auch in den letzten Wochen seines Lebens treu bleibt:

Dass er inzwischen im Ruf der Heiligkeit steht, erhöht den Andrang zu ihm. Obwohl er am Ende seiner Kräfte ist, empfängt er tagtäglich Prälaten und Mönche, Priester und Laien, nicht zuletzt die Schwestern und Oberinnen des Ordens, den er zusammen mit der hl. Franziska von Chantal gegründet hat. Man belagert seinen Beichtstuhl und sein Sprechzimmer, sucht Licht und Rat. „Man“, das sind auch zahlreiche Adlige, von denen es in Lyon gerade wimmelt. Denn König Ludwig XIII. und der Herzog von Savoyen treffen sich in der Rhonestadt, jeder mit seinem Gefolge.

Weihnachten naht. Beim Gloria der Mitternachtsmesse leuchtet sein Antlitz. Die Oberin des Klosters kann die neugierige Frage nicht unterdrücken: Ob er eine besondere Gnade erhalten habe? Der Bischof weicht aus. „Aber Sie haben recht: Ich habe noch nie einen größeren Trost am Altar empfangen.“ Am Weihnachtstag hört er die Beichte des Fürsten und der Fürstin von Piemont, feiert für sie auswärts die zweite Messe, kehrt ins Kloster zurück und zelebriert gegen Mittag die dritte Weihnachtsmesse, isst nur wenig, klärt dann mit der Oberin strittige Punkte der Ordensleitung, kleidet zwei Postulantinnen ein, begibt sich schließlich zu einem Abschiedsbesuch zu Maria de’  Medici, der Königinmutter und bleibt trotz höchster Unpässlichkeit bis spät in die Nacht. So verläuft das Weihnachtsfest nicht anders als die übrigen Tage. Wenn er nicht dem Gebet und dem Gottesdienst obliegt, steht er den Menschen zur Verfügung. Er gehört ganz Gott und deshalb ganz den Menschen.

Ein letzter Ratschlag

Am Stephanstag hält er den Schwestern die letzte Unterweisung seines Lebens. „Meine lieben Töchter, ich muss gehen und bin an meinem Ende angelangt.“ Die Schwestern sind betrübt über die Ankündigung seines Todes, aber die Oberin erfasst den historischen Augenblick und bittet ihn um einen letzten Rat. „Hochwürdigster Herr, was möchten Sie unserem Geist am tiefsten eingeprägt wissen?“ Franz von Sales, der Mitbegründer dieses Ordens, antwortet: „Ich habe es euch schon oft gesagt: Ne rien demander ne rien refuser – nichts verlangen und nichts verweigern! Darin besteht die Vollkommenheit.“ Was wie ein fernöstliches Mantra klingt und uns scheinbar empfiehlt, gegen alles und jeden gleichgültig und interesselos zu sein, ist die Devise eines leidenschaftlichen Herzens, das vor Verlangen brennt. Denn Franz von Sales versieht diesen Rat, den er laut Franziska von Chantal „tausendmal eingeschärft hat“, mit einer wichtigen Einschränkung: „Nichts verlangen – die Tugend und die Gottesliebe ausgenommen!“

Am folgenden Tag, am Fest des hl. Apostels Johannes, fühlt er beim Aufstehen seine Sehkraft schwinden. „Es heißt Abschied nehmen und Gott preisen“, sagt er zu seinem Begleiter. Er beichtet und feiert seine Heilige Messe „mit außergewöhnlicher Andacht“ zum letzten Mal. Dann treffen wieder Besucher ein, die ihn erschöpfen. Nach dem Mittagessen schreibt er seine zwei letzten Briefe. Als er vom Stuhl aufsteht, erleidet er einen Schlaganfall, an dessen Folgen er tags darauf verstirbt. Bevor er die Krankensalbung erhält, legt er das Glaubensbekenntnis ab, bietet sich Gott als Ganzopfer dar und weiht sein Gedächtnis Gottvater, seinen Verstand Gott Sohn, seinen Willen dem Heiligen Geist und seinen Leib und seine Leiden der heiligen Menschheit Jesu Christi.

Vor allem „seine Leiden“, an denen es auch anderntags, seinem Sterbetag nicht fehlt. Nicht einmal jetzt gönnen ihm die zudringlichen Besucher Ruhe. Und dann die Ärzte! Am frühen Morgen lassen diese den sterbenden Bischof zur Ader, legen ihm Zugpflaster auf den Kopf und drücken ihm dreimal glühende Metallknöpfe auf den Nacken, so dass starker Rauch aufsteigt. Als sie ihm die Zugpflaster entfernen, reißen sie sie ihm zugleich die Stirnhaut mit. Und der von der medizinischen Kunst derart Gequälte? Man hört ihn nur leise seufzen: „Jesus Maria.“ Nicht taktvoller ist die Frage, die ihm ein Besucher stellt: Ob er sich nicht vor dem Teufel fürchte? Der Sterbende antwortet: „Der es (das gute Werk) begonnen hat, möge es auch vollenden, vollenden, vollenden“ (vgl. Phil 1,6). Und nach einer Atempause nochmals „Jesus“. Der heilige Franz von Sales stirbt am 28. Dezember 1622, am Fest der Unschuldigen Kinder, abends gegen acht Uhr, im Alter von 55 Jahren. Er stirbt in vollkommener Hingabe an seinen Schöpfer und Heiland.

Ewiger Tod oder ewige Liebe

Im Theotimus, seinem Werk über die Gottesliebe, schreibt Franz von Sales ganz am Ende: „Der Kalvarienberg ist der Berg der Liebenden. Unglückselig ist der Tod ohne die Liebe des Erlösers; unglückselig die Liebe ohne den Tod des Erlösers. Im Übrigen ist alles entweder ewiger Tod oder ewige Liebe, und die ganze christliche Weisheit besteht darin, gut zwischen diesen beiden zu wählen. In diesem Leben, o Sterblicher, musst du wählen zwischen der ewigen Liebe und dem ewigen Tod. Gottes ewiger Ratschluss lässt dir keinen Mittelweg.

O ewige Liebe, meine Seele verlangt nach dir und erwählt dich auf ewig.

Komm Heiliger Geist und entzünde unsere Herzen mit Deiner Liebe.

Ich liebe Jesus, der lebt und herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Amen.“