Maturarede 2017

Von Pater Pirmin Suter
Liebe Maturanden, geschätzte Familien, liebe Lehrer und Schüler
Zurecht freuen wir uns alle, ganz besonders Ihr, liebe Maturanden. Die Freude ist gross, denn Ihr habt etwas Wertvolles in Besitz genommen. Bei diesem wertvollen Gut handelt es sich nicht um etwas Materielles, nicht um Geld oder grosse Reichtümer. Es handelt sich um ein viel höheres Gut, nämlich, die allgemeinbildende Matura. Ihr habt das grossartige Glück, eine Allgemeinbildung erhalten zu haben, wozu nicht jeder befähigt ist.
Gott gibt jedem Jugendlichen Talente, mit denen er arbeiten muss. Die Talente können ganz unterschiedlich sein und entscheidend vor Gott ist nicht, welche Talente jemand empfangen hat, sondern dass er die Talente anerkennt und damit arbeitet. Ihr, Matthias und Robin, habt mit Euren Talenten gearbeitet und die Matura geschafft, auch wenn der Weg dahin mit manchen Opfern verbunden war.
Manche Schüler fragen sich, wozu denn die Matura gut sei. Mit einer Berufslehre hätte man doch während dieser drei Jahren bereits Geld verdienen können, ausserdem würde doch die Berufsmatura besser auf die Bedürfnisse der Wirtschaft eingehen. Solche und andere Überlegungen könnten den Wert einer allgemeinbildenden Matura in Frage stellen.
In der Tat werden viele Menschen heute von einem Nützlichkeitsdenken beherrscht. Wilhelm von Humboldt beklagte bereits vor 200 Jahren ein Grundübel seiner Zeit, nämlich die Einstellung, dass ein Schüler nur das lernen solle, was er später im praktischen Leben brauche. Auch heute wird die Bildung zu oft als Zahnrädchen der Wirtschaft gesehen, als Einrichtung, die gute Fachkräfte für den Arbeitsmarkt hervorbringen muss. Das ist allerdings nicht der Hauptzweck einer guten Bildung.
Bereits in der Antike hat man unterschieden zwischen den artes liberales und den artes serviles, den sogenannten freien Künsten und unfreien Künsten. Im Mittelalter zählte man sieben freie Künste. Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik. Dabei handelte es sich um Wissensgebiete, die zur guten Bildung eines freien Mannes gehörten, die nicht unmittelbar Profit und Nutzen bringen mussten, deswegen artes liberales, freie Künste.
Im Gegensatz dazu stehen die artes serviles, die unfreien Künste, sozusagen die Künste eines Knechtes, die gelernt werden müssen, um einen Nutzen zu erzielen. Ein Handwerker muss lernen, wie man mit Holz und Steinen umgeht, damit er diese auch bearbeiten kann.
Die allgemeinbildende Matura ist im Gegensatz zu einer gewöhnlichen Berufslehre nicht von diesem Nützlichkeitsgedanken beherrscht. Bei der Matura geht es darum, eine breite Bildung zu erlangen, welche sowohl religiöse und geistige, als auch physische, soziale und kulturelle Aspekte berücksichtigt. Es soll eine allgemeine Basis geschaffen werden, ohne sich von der Frage nach dem Nutzen leiten lassen zu müssen. Eine solche Bildung entspricht also den artes liberales, den freien Künsten, wie sie früher für freie Menschen angemessen war.
Einer solchen Allgemeinbildung steht die Berufsmatura entgegen. Bei der Berufsmatura wird der Bildungshorizont stark eingeschränkt, geleitet vom Nützlichkeitsdenken einer Berufssparte. Aus diesem Grund kann man mit den Worten des Philosophen Josef Pieper bei der Berufsmatura auch nicht von der Freiheit der artes liberales sprechen, da die Berufsmatura vom beruflichen, wirtschaftlichen Nutzen her legitimiert wird.
Die allgemeinbildende Matura dagegen erhält ihre Legitimierung nicht vom unmittelbaren Nutzen für die Wirtschaft, sondern die Bildung an sich hat bereits einen grossen Wert. Eine solche Bildung behält einen weiten Horizont, in dem auch philosohische und literarische Themen einen Platz finden. Auf diese Weise wird im Gymnasium ein Kapital angelegt, das den Zugang zur Universität ermöglicht, aber auch den Weg zum Priestertum eröffnet. Dieses Kapital einer guten Allgemeinbildung bildet eine wertvolle Grundlage sowohl für viele Studien als auch für ein Engagement in Gesellschaft und Kirche. Deswegen hat die Kirche auch immer grossen Wert darauf gelegt, begabten Jugendlichen eine solche Bildung zu ermöglichen.
Aus diesem Grund möchte ich Euch, lieber Matthas und Robin, ganz herzlich zu Eurem Erfolg gratulieren. Ihr habt die Chance gehabt und diese genutzt – bravo! Ihr dürft Euch glücklich schätzen, die Hochschulreife in der Tasche zu haben, mit der Ihr für Euer weiteres Leben gut gerüstet seid.