Martin Luther – ein Reformator? Luther und die Eucharistie
Von Pater Mathias Gaudron
Die hl. Eucharistie ist sowohl Opfer als auch Sakrament. Die sog. Reformatoren des 16. Jh. waren sich einig in der Verwerfung der Lehre vom Messopfer und der Transsubstantiation, ansonsten gingen ihre Meinungen weit auseinander.
Luther sprach in seiner Schrift De captivitate babylonica (1520) von drei Gefangenschaften, in die die Römische Kurie das Sakrament der Eucharistie geführt habe:
- die Verweigerung des Laienkelchs;
- die Lehre von der Transsubstantiation, wodurch man den Glauben der Philosophie des Heiden Aristoteles ausgeliefert habe;
- die Lehre von der Messe als einem guten Werk und einem Opfer, wodurch man aus der Gabe Gottes an die Menschen eine Gabe der Menschen an Gott gemacht habe.
Wir betrachten diese drei Vorwürfe in umgekehrter Reihenfolge:
Das hl. Messopfer
Nach katholischer Lehre, die sich auf die Hl. Schrift und die gesamte Tradition der Kirche stützen kann, wird bei der Feier der Eucharistie Gott ein wahres Opfer dargebracht. Durch die Doppelkonsekration, bei der Leib und Blut Jesu sakramental getrennt gegenwärtig gesetzt werden, wird Christus nämlich in einem äußeren Zustand des Todes und der Hinopferung gegenwärtig, der auf das blutige Sterben am Kreuz hinweist. Gleichzeitig ist Christus mit derselben Opfergesinnung zugegen, die ihn am Kreuz beseelte. Man spricht darum von der „Vergegenwärtigung“ oder auch von der „unblutigen Erneuerung“ des Kreuzesopfers.
Luther dagegen verwarf das Messopfer als Teufelskrämerei und wünschte, Gott gäbe allen frommen Christen ein solches Herz, dass, wenn sie das Wort „Messe“ hörten, sie erschreckten und sich segneten als vor einem Teufelsgräuel. Er wäre lieber ein Hurenwirt gewesen, als dass er Christus 15 Jahre lang mit Messen gelästert hätte. Die Messe lesenden Priester seien Götzendiener usw.
Luther störte sich vor allem an der Lehre, dass der Mensch Gott etwas für seine Sünden darbringen und damit etwas für sein Heil tun könne, denn nach seiner Überzeugung empfängt der Mensch die Rechtfertigung ganz passiv und kann nichts für sein Heil tun. Außerdem wurde von protestantischer Seite der katholischen Lehre immer wieder der Vorwurf gemacht, sie tue dem Kreuzesopfer Christi Abbruch, indem sie behaupte, das Opfer Christi habe nicht genügt und es bedürfe darum weiterer Opfer. Die katholische Lehre schreibt dem Messopfer aber keinen vom Kreuzesopfer unabhängigen Wert zu. Durch das Messopfer soll vielmehr, wie das Konzil von Trient lehrt, „jenes blutige Opfer, das einmal am Kreuze dargebracht werden sollte, vergegenwärtigt werden, sein Gedächtnis bis zum Ende der Zeit fortdauern und dessen heilbringende Kraft für die Vergebung der Sünden, die von uns täglich begangen werden, zugewandt werden“.[1]
Der lutherische Gottesdienst ist dagegen vor allem ein Gebets- und Lesegottesdienst. Wenn das Abendmahl gefeiert wird, was nicht notwendig der Fall ist, so wird dieses nur als Gedächtnis an das Letzte Abendmahl Jesu verstanden.
Nach dem II. Vatikanischen Konzil ist man auch im offiziellen Raum der Kirche weitgehend von der katholischen Messopferlehre abgerückt. Die Änderungen im neuen Messritus Pauls VI. zielen darauf hin, den Opfergedanken zu unterdrücken und die Messe einer protestantischen Abendmahlsfeier anzunähern. Das, was Luther am meisten stören musste, das Offertorium und der römische Kanon, wurden ersetzt bzw. zur Auswahl gestellt. Das alte Offertoriumsgebet brachte klar zum Ausdruck, dass die Messe ein Sühnopfer für die Sünden ist. Dieses wurde in der Neuen Messe gestrichen und durch ein Gabenbereitungsgebet ersetzt, das einem jüdischen Tischgebet aus dem Mittelalter entlehnt ist. Der Römische Kanon blieb zwar auf Weisung Pauls VI. zwar erhalten, kann aber durch einen anderen ersetzt werden, wobei vor allem im kürzesten und meistverwendeten zweiten Kanon vom Opfer keine Rede mehr ist.
Das Wort „Messopfer“ ist aus dem nachkonziliaren Sprachgebrauch auch weitgehend verschwunden. An vielen Orten spricht man nicht einmal mehr von der „Messe“, sondern lieber von der „Eucharistiefeier“. Eine Eucharistiefeier ist auch für Protestanten möglich, nicht aber ein Messopfer.
Die Transsubstantiation
Nach der klaren Lehre der Heiligen Schrift ist im Sakrament der Eucharistie der Leib und das Blut Jesu Christi enthalten: „Mein Leib ist wahrhaft eine Speise und mein Blut wahrhaft ein Trank“ (Joh 6,55). Jesus setzte dieses Sakrament beim Letzten Abendmahl mit den Worten „Das ist mein Leib“ und „Das ist mein Blut“ bzw. „Das ist der Kelch meines Blutes“ ein, wie die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas sowie der Apostel Paulus in 1 Kor 11 übereinstimmend berichten.
Luther hielt wegen dieser klaren Worte an der wirklichen Gegenwart Christi in der Eucharistie fest, bekämpfte aber die Lehre von der Transsubstantiation. Diese Lehre besagt, dass durch die Konsekration die Substanz des Brotes und Weines in die Substanz des Leibes und Blutes Christi verwandelt wird, wobei lediglich die Akzidenzien bzw. die äußere Gestalt von Brot und Wein erhalten bleiben. Die Hostie ist also nach der Wandlung kein Brot mehr und im Kelch ist kein Wein mehr, auch wenn die Sinne dies nicht feststellen können. Mit dieser Lehre wurde der Glaube nicht „der Philosophie des Heiden Aristoteles ausgeliefert“, wie Luther behauptete, sondern das der Heiligen Schrift und Tradition entnommene Dogma mithilfe der Philosophie des Aristoteles erklärt.
An die Stelle der Transsubstantiation setzte Luther eine Konsubstantiation, d. h. eine gleichzeitige Existenz der Brotsubstanz und des Leibes Christi. Die Hostie bleibt demnach Brot, aber in diesem Brot soll Christus sein. Dies wurde von späteren lutherischen Theologen in die Formel gebracht: in, cum et sub pane (in, mit und unter dem Brot) sei der Leib Christi gegenwärtig. Der hl. Thomas von Aquin verwarf diesen Irrtum schon im Voraus, indem er erklärte, in diesem Fall hätte Christus im Abendmahlssaal eher sagen müssen „Hier ist mein Leib“ anstatt „Das ist mein Leib“.
Auf Drängen Melanchthons verwarf Luther später auch die Permanenz der wirklichen Gegenwart. In seiner Schrift „Von der Winkelmesse“ (1533) unterscheidet er die Präsenz in usu (im Genuss) von der Nichtpräsenz ante et post usum (vor und nach dem Genuss). Hostien, die nach der Abendmahlsfeier übrig bleiben, wären also wieder bloßes Brot. Darum gibt es in evangelischen Kirchen keinen Tabernakel!
Natürlich gibt es in einem lutherischen Gottesdienst überhaupt keine sakramentale Gegenwart Christi, selbst wenn der lutherische Pastor daran glaubt, denn da Luther das Priestertum verwarf haben die protestantischen Pastoren keinerlei Vollmacht für die Verwandlung von Brot und Wein.
Seit 1525 trat Huldrych Zwingli dem lutherischen Abendmahlsbegriff entgegen. Er sowie Butzer, Karlstadt und Ökolampadius vertraten eine rein symbolische Auffassung der Eucharistie. Nach ihnen ist das Brot ein bloßes Zeichen des Leibes Christi. Luther gab zu, denselben Gedanken gehabt zu haben, aber durch das klare Wort der Heiligen Schrift davon abgehalten worden zu sein. Er hätte die Worte zwar gern in einem bloß symbolischen Sinn gedeutet, „um dem Papsttum den größten Puff geben zu können“, aber er schreibt: „Ich bin gefangen, kann nicht heraus, der Text ist zu gewaltig da und will sich mit Worten nit lassen aus dem Sinn reißen“ (An die Christen zu Straßburg, 1524).
In Bezug auf die verschiedenen Auslegungen der Einsetzungsworte schreibt Luther:
Karlstadt in diesem hl. Text: ‚Das ist mein Leib‘ martert das Wörtlein ‚das‘, Zwingli martert das Wörtlein ‚ist‘, Ökolampad martert das Wörtlein ‚Leib‘ … So gröblich narrt uns der Teufel“ (Wider die Schwarmgeister, Nürnberg 1527).
Karlstadt hatte sich nämlich zu der Erklärung verstiegen, Christus habe bei den Worten „Das ist mein Leib“ auf sich selbst gezeigt. Zwingli meinte, „ist“ habe hier den Sinn von „bedeutet“, und Ökolapadius deutete das Wort „Leib“ als „Bild des Leibes“.
Luther sah sich später in der Auseinandersetzung mit den Zwinglianern sogar genötigt, auf die vorher viel geschmähten Väter und die kirchliche Überlieferung zurückzugreifen. 1532 stützte er sich offen auf „der lieben Väter Bücher und Schriften“, auf die Übereinstimmung der hl. christlichen Kirche, bei der Christus alle Tage verbleibe (Mt 28, 20).
Heute glauben die meisten Protestanten nicht mehr an die Realpräsenz. Es gibt allerdings noch strenge Lutheraner, die an eine wirkliche Gegenwart Christi im Sakrament glauben und sogar die Mundkommunion fordern.
Der Genfer Reformator Calvin schließlich vertrat eine gewisse Mittelposition: Er leugnete zwar auch die Realpräsenz, nahm aber doch eine Beziehung zwischen dem Brotsymbol und dem Leib Christi im Himmel an. Der Leib Christi sei „der Kraft nach“ (secundum virtutem) im Symbol zugegen, insofern den Gläubigen im Moment des Genusses die Kraft des Leibes und Blutes vom Himmel her zuströme – allerdings nur den Prädestinierten.
Der Laienkelch
Luther hielt den Empfang des Kelches anfangs für unnötig, verurteilte später aber den Empfang nur einer Gestalt als der Einsetzung Christi zuwider. In seiner Messordnung von 1523 schreibt er allerdings:
Wenn ein Konzil uns die beiden Gestalten erlaubte oder geböte, so würden wir dem Konzil zum Trotz nur eine annehmen oder weder die eine noch die andere, und diejenigen verfluchen, welch kraft dieses Gebotes die beiden nähmen.
Im ersten Jahrtausend wurde die Kommunion meist unter beiden Gestalten gespendet, wobei es die Aufgabe des Diakons war, den Kelch auszuteilen. Aber es gab doch immer auch Fälle, in denen man nur unter einer Gestalt kommunizierte. So wurde Kranken die Kommunion nur unter Brotgestalt gebracht. Eremiten und in Verfolgungszeiten manchmal auch andere Christen hatten die Eucharistie unter der Brotgestalt bei sich, um zu gelegener Zeit kommunizieren zu können. Wo es üblich war, den Kindern nach der Taufe gleich die hl. Kommunion zu reichen, geschah das unter der Gestalt des Weines.
Zur Zeit des hl. Thomas v. Aquin (13. Jh.) waren viele Kirchen schon dazu übergegangen, nur die Brotgestalt auszuteilen. Das setzte sich bald danach in der lateinischen Kirche überall durch. Die Gründe dafür waren jedoch rein praktischer Art, wie z. B. die Gefahr, etwas von der Weingestalt zu verschütten; die Schwierigkeit, in großen Gemeinden genügend Wein zu beschaffen und in der richtigen Menge zu konsekrieren; die Abneigung vieler, aus dem gleichen Kelch mit anderen zu trinken, usw.
Die Kommunion unter einer Gestalt ist möglich, weil unter jeder der beiden Gestalten der ganze Christus enthalten ist. Auch derjenige, der nur unter der Gestalt des Brotes kommuniziert, empfängt also das Blut Christi. Das Konzil von Trient erklärte darum, die Kommunion unter beiden Gestalten sei weder aufgrund eines göttlichen Gebotes noch aufgrund einer inneren Heilsnotwendigkeit nötig.[2]
Pius IV. bewilligte 1564 zwar mehreren deutschen Metropoliten, den Laienkelch in ihren Diözesen zu gestatten, da man hoffte, dadurch manche Protestanten zurückzugewinnen. Diese Hoffnung erwies sich jedoch als vergeblich, so dass die Bewilligung des Kelches bald wieder zurückgenommen wurde.
Anmerkungen
[1] Sessio 22, Kap. 1; DH 1740.
[2] Sessio 21, Kan. 1–3; DH 1731 ff.