Marguerite Bays wird heiliggesprochen
Im Jahre 2002 durfte ich als junger Kaplan ein Kirchenfenster für die Kapelle in Granges-Paccot mit dem Abbild von Marguerite Bays in Auftrag geben. Ich träumte damals davon, dass es das erste Kirchenfenster mit der am 29. Oktober 1995 seliggesprochenen Schweizerin sei.
Erst ab dem Zeitpunkt der Seligsprechung dürfen nämlich Diener Gottes in Kirchenfenstern dargestellt werden (vgl. Kirchenrecht: CIC (1917) can. 1277 oder CIC (1983) can. 1187). Am 13. Oktober dieses Jahres wird das Bild überholt sein; an diesem Tag wird die selige Dienerin nämlich zur Ehre der Altäre erhoben, d. h. heiliggesprochen. Nun müsste sie mit einem Heiligenschein dargestellt werden, was in der Kapelle in Granges-Paccot nicht der Fall ist.
Beispiel und Ermutigung
Das Beispiel der seligen Marguerite Bays zeigt, dass man sich in jedem Stand heiligen kann. Jeder, in seiner Stellung und in seinem Beruf, ist dazu berufen, ein Heiliger zu werden; ob Mönch, König, Mutter oder als ledige Person in der Welt, wie es bei der Seligen der Fall war.
Marguerite Bays ist zudem der sichtbare Beweis, dass Gnadengaben nicht an die Klosterzelle gebunden sind, sondern auch schlichte Menschen auszeichnen können, die mitten in der Welt den Weg des gewöhnlichen christlichen Lebens gehen. Darauf werden wir im Verlaufe des Textes noch zu sprechen kommen.
Heiligsprechung ohne Zweifel?
Gewisse könnten einwenden, dass die heutigen Heiligsprechungen mit Misstrauen zu betrachten seien und dass man die Messlatte für die Selig- und Heiligsprechungen heruntergesetzt habe. In der Tat müssen die Heiligsprechungen der letzten Jahrzehnte einem kritischen Blick unterworfen werden. Wie steht es um Marguerite Bays, diese grosse Schweizer Persönlichkeit? Lesen Sie doch die Lebensbeschreibung, die ich hier in groben Zügen darstelle, und urteilen Sie selbst!
Ein vorbildliches Leben
Marguerite wurde am 8. September 1815 geboren. Als zweites von sieben Kindern wuchs sie im kleinen Weiler La Pierraz, das politisch zur Gemeinde Chavannes-les-Forts und kirchlich zur Pfarrei Siviriez FR gehörte, auf. Mütterlicherseits war sie mit dem seligen Kapuzinerpater und Märtyrer Apollinaris von Posat (1732 - 1792) verwandt. Während der Französischen Revolution wurde der aus Prez-vers-Noréaz (in der Nähe von Freiburg) gebürtige Ordensmann mit anderen Priestern zusammen wegen seiner Treue zum katholischen Glauben mit dem Fallbeil hingerichtet.
Nachdem Marguerite zwei oder drei Winter lang die Dorfschule besucht hatte, übte sie den Beruf als Dorfschneiderin aus. Täglich besuchte sie die hl. Messe und begab sich dann in die verschiedenen Familien. Bevor sie mit dem Schneiderhandwerk begann, betete sie mit allen Hausbewohnern den Rosenkranz. Nach der 10 Uhr-Pause sammelte sie alle sich in der Familie befindenden Kinder um sich und erzählte ihnen etwas aus der Hl. Schrift oder aus dem Leben der Heiligen. Wo immer sie ein Haus betrat, zog der Friede mit ein. Sie zeichnete sich durch ihre ungezwungene Fröhlichkeit und ihre nie versiegende Dienstbarkeit aus. Am Dorfklatsch nahm sie keinen Anteil und verlor auch nie ein böses Wort über ihre Mitmenschen. Ihrer Frömmigkeit, durch welche sie die anderen erbaute, war nichts Auffälliges anzumerken. Jean-Baptiste Jaccoud, der spätere Rektor des Collège St-Michel in Freiburg und als Pfarrer von Siviriez ihr jahrelanger Seelenführer, stellt Marguerite Bays folgendes Zeugnis aus: „Margrit Bays war eine fromme Person, aber äusserst zurückhaltend und bescheiden, gesund, von ruhigem, beinahe kaltblütigem Temperament, in keiner Weise sentimental, auch nicht zu Übertreibungen oder Gefühlsüberschwang geneigt. Sie besass keine jener Eigenheiten, die man gewöhnlich den ‘frommen Seelen’ vorwirft, vermied es, den Priester ohne Notwendigkeit zu beanspruchen, kam zur Beichte und Kommunion, wo niemand belästigt wurde und zur gelegensten Zeit, sie mischte sich niemals in Dinge, die sie nichts angingen. In ihren Gewissensangelegenheiten kannte sie keinerlei Besonderheiten, sondern hatte nur gelehrige Unterwerfung unter die Weisungen des Beichtvaters. Ihr höchstes Streben ging dahin, vor der ganzen Welt unbekannt zu sein.“
Mit Christus ans Kreuz geheftet
Das Lieblingsgebet von Marguerite Bays, das sie selbst verfasste und das eine kerngesunde Frömmigkeit atmet, ist die schönste Offenbarung der Gesinnung ihres Herzens: „O heiliges Opferlamm, ziehe mich näher zu dir, wir werden dann gemeinsam gehen. Es ist nur recht, dass ich mit dir leide. Sieh nicht auf mein Sträuben, wenn ich nur an meinem Fleische ergänze, was an deinem Leiden noch mangelt. Ich umklammere das Kreuz, mit dir will ich auch sterben. In der Wunde deines heiligsten Herzens möchte ich meinen letzten Seufzer aushauchen.“
Der liebe Gott erhörte die Bitte der eifrigen Näherin und führte sie den Weg des Kreuzes. 1853 wurde sie von einem Unterleibskrebs befallen. Aus ihrem tiefen Schamgefühl heraus getraute sie sich lange nicht, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die notwendige, aber offenbar aussichtslose Operation wurde schliesslich Ende November oder Anfang Dezember 1854 ausgeführt. Am 8. Dezember wurde sie auf einen Schlag von ihrer Krankheit geheilt; es war der denkwürdige Tag, an dem Papst Pius IX. das Dogma der Unbefleckten Empfängnis der allerseligsten Jungfrau Maria verkündete. Aus diesem Anlass bat Marguerite die Unbefleckte inständig, ihr anstelle des so beschämenden Leidens, ein anderes zu schicken. Der liebe Gott nahm sie beim Wort.
Stigmatisiert
Kurz nach ihrer Heilung erhielt sie die Wundmale des Heilandes. In ihrer ausserordentlichen Demut konnte sie diesen wunderbaren Gnadenerweis lange geheim halten. Sie trug Fingerhandschuhe, welche nur die Fingerspitzen offen liessen und dadurch den Handrücken und die Innenfläche vor den Blicken der Neugierigen verbargen. Nur ganz wenige Zeugen bekamen diese zu Gesicht.
Am Karfreitag 1873 benutzte Pfarrer Villard ihren ekstatischen Zustand, um einen Arzt zur Überprüfung dieses ausserordentlichen Phänomens zu schicken. Dadurch gelangte ihr lang gehütetes Geheimnis an die Öffentlichkeit. Darauf bat die Stigmatisierte den lieben Gott, ihr die sichtbaren Wundmale wegzunehmen. Und auch dieses Mal erhielt ihre Bitte Erhörung. Während ihrer sechs letzten Lebensjahre verschwanden die Wundmale vollends. Da sie daraufhin an grausamen Kopfschmerzen zu leiden begann, ist es wahrscheinlich, dass sie dafür an den Schmerzen der Dornenkrönung Christi teilnehmen durfte, ohne dass sich aber dieses Leiden durch äusserliche Zeichen manifestierte.
Der Weg zur Heiligen
Am 27. Juni 1879, am Freitag in der Oktav des Herz-Jesu-Festes, am Nachmittag um 15.00 Uhr, schied Marguerite Bays aus dieser Welt. Alle, die ihrer Beerdigung beiwohnten, waren davon überzeugt, dass sie eines Tages wieder auf Erden zurückkommen wird – als Heilige zu den Altären erhoben.
Der Seligsprechungsprozess von Marguerite Bays wurde 1927 durch Bischof Marius Besson eröffnet. Am 16. Mai 1929 fand die erste Exhumation ihrer Leiche auf dem Dorffriedhof statt. Sie wurde am Eingang der Pfarrkirche von neuem beigesetzt.
Am 9. Juli 1953 wurden die sterblichen Überreste Marguerite Bays in Gegenwart von Msgr. François Charrière noch einmal ausgegraben. Am 26. Juli des gleichen Jahres wurden die kostbaren Gebeine der Dienerin Gottes in einen doppelten Sarg von Zink und Holz gelegt und im Grab in der neuen Aussenkapelle der Kirche von Siviriez beigesetzt. Mehrere Bischöfe, eine grosse Zahl Priester, Ordensleute, die Behörden und ungefähr 15’000 Gläubige nahmen an dieser grossen Feierlichkeit teil.
Am gleichen Tag hielt das neue Diözesangericht die Eröffnungssitzung in der Kirche von Siviriez. Im Laufe von 108 Sitzungen nahm das Gericht die Aussagen von 142 Zeugen entgegen. Am 7. Juni 1955 wurde der bischöfliche Informationsprozess in der Kathedrale von St. Nikolaus in Freiburg geschlossen. Das umfangreiche Dossier wurde versiegelt und nach Rom gebracht, wo es am 14. Juni 1955 von der Ritenkongregation geöffnet wurde. Am 23. Oktober 1956 fand die erste Sitzung des Seligsprechungsprozesses in der Ritenkongregation statt.
Später setzten sich Bischof Pierre Mamie (1987) und Msgr. Charles Morerod (2014) für die Kanonisierung ein.
Zur Heiligsprechung anerkannte der Vatikan folgende zwei Wunder: 1940 überlebte ein junger Bergsteiger auf wundersame Weise als einziger einen Kletterunfall am Dent de Lys, nachdem er Marguerite Bays um ihre Hilfe angerufen hatte; 1998 überstand ein kleines Mädchen einen Traktorunfall ohne die geringsten Verletzungen davonzutragen.
Bei der Seligsprechung wurde der Gedenktag von Marguerite Bays auf den 27. Juni festgesetzt.
Bereits am 10. Oktober 1929 drückte der Freiburger Bischof Marius Besson in einem Hirtenbrief den brennenden Wunsch aus, dass diese einfache Frau eines Tages zur Ehre der Altäre erhoben werde: „Schliesslich wird jeder verstehen, was für eine Ehre und heilige Freude es unserer ganzen Diözese bereitete, wenn dieses demütige und arme Landmädchen, das uns nicht nur zeitlich und räumlich, sondern auch durch ihr bescheidenes Leben so nahe steht, unter die Zahl der Seligen gerechnet würde.
Unser Herr Jesus Christus, die Quelle aller Heiligkeit, möge uns diesen Trost verleihen. Er möge Sie, liebe Brüder, so reichlich segnen, wie wir es für Sie wünschen.“
Vorwort des Schweizer Distriktoberen im MITTEILUNGSBLATT für den Monat Oktober 2019.