Lernen unter dem Kreuz
Am 10. Mai wurde im Sankt-Theresien-Gymnasium bei strahlendem Wetter das Schulfest zu Christi Himmelfahrt gefeiert. Ew. Schwester Michaela, die Gesamtleiterin, begrüßte nach dem feierlichen Hochamt Gäste aus nah und fern, die nicht nur einen wundervollen musikalisch umrahmten Festakt erlebten, sondern am Nachmittag auch ein großartig gespieltes Theaterstück des spanischen Autors Pedro Calderón de la Barca (1600–1681).
Schulleiter Dr. Johannes Laas ging in seiner Ansprache auf ein Thema mit aktuellem Bezug ein. Er sprach über das „Lernen unter dem Kreuz“.
«Liebe Freunde des St.-Theresien-Gymnasiums! Wie wir alle mitbekommen, ist seit einigen Wochen in Deutschland eine große Diskussion entbrannt über die Frage, welche Bedeutung das christliche Kreuz für unser Land und unsere Gesellschaft habe. Ist es bloß ein kulturelles Symbol? Ein Zeichen der Identität unseres Volkes? Oder gar ein Instrument zur Demonstration der Überlegenheit des christlichen Abendlandes gegenüber den zahlreich zu uns Geflüchteten? Jedenfalls möchte die bayerische Landesregierung neuerdings in allen öffentlichen Gebäuden ein Kreuz hängen sehen. Es ist schon bemerkenswert, dass dies in Zeiten eines zunehmend aggressiv auftretenden, fundamentalistischen Atheismus plötzlich auf der politischen Agenda einer Regierungspartei steht. Und es ist noch bemerkenswerter, dass dies ausgerechnet bei einigen Bischöfen aus Bayern auf deutlichen Widerstand stößt. Sie wollen das Kreuz nicht als „politisches Symbol“ missverstanden sehen. Die Diskussion um das Kreuz nimmt inzwischen viele Spalten der Tageszeitungen und sozialen Netzwerke ein.
Auch wir als St.-Theresien-Gymnasium müssen uns die Frage stellen: Was bedeutet das Kreuz eigentlich für uns? Was bedeutet es, in jedem Raum, in jedem Klassenzimmer ein Kreuz hängen zu haben? Was bedeutet es für uns, unter dem Kreuz zu leben und zu lernen? – Für uns gilt: Der Blick auf das Kreuz ist untrennbar vom Blick auf das Opfer Christi. Für das Verständnis des Kreuzes ist das Opfer zentral. In seinem Geistlichen Wegweiser beschreibt daher Erzbischof Marcel Lefebvre, der Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X., die Hintergründe für den zeitgenössischen Kampf gegen das Kreuz. Er sagt: „Man muss leider zugeben, dass man dem Kreuzesopfer, das sich auf unseren Altären fortsetzt, nicht immer seinen gebührenden Platz einräumt, sogar in der Unterweisung der Kirche, in den Katechismen [...]. Das stellt eine große Gefahr für den Glauben der Gläubigen dar [...]. Der Teufel täuscht sich nicht, wenn er darauf versessen ist, das Opfer zum Verschwinden zu bringen. Er weiß, dass er damit das Werk Unseres Herrn in seinem Lebenszentrum angreift und dass jede Missachtung dieses Opfers den Ruin des gesamten Katholizismus auf allen Gebieten nach sich zieht“ (S. 65f.).
Starke Worte! Doch sehen wir nicht, dass genau das nach und nach eintrifft, was der Erzbischof hier in der 1970er Jahren in prophetischer Weise gesprochen hat? Genau aus diesem Grunde brauchte es seinerzeit wie auch heute eine Gegenbewegung, nicht als „Rebellion“ gegen die bestehenden Autoritäten, sondern in Treue zur Überlieferung der Kirche. Es geht darum, dazu beizutragen, dass das Kreuz in Kirche und Gesellschaft wieder aufgepflanzt werde. Das soziale Königtum Christi muss wieder und überall verkündet werden. „Die Christenheit“, so sagt der Erzbischof, „das ist das Dorf, das sind die Dörfer, die Städte, das Land, die in der Nachfolge Christi des Gekreuzigten, durch die Wirkung des christlichen Gnadenlebens das Gesetz der Liebe erfüllen“ (ebd., S. 67).
Die Schulen, insbesondere unsere Schule hat die Aufgabe, die Kinder und Jugendlichen auf diese große Aufgabe vorzubereiten. Wenn „alle Wohltaten der Christenheit vom Kreuz Jesu und von Jesus dem Gekreuzigten kommen“, wie Erzbischof Lefebvre sagt, dann müssen wir lernen, unter dem Kreuz zu lernen. Dann müssen wir uns täglich bewusst sein, dass das Kreuz nicht allein ein Symbol, sondern Realität ist, eine Realität, die uns täglich im hl. Messopfer begegnet.
Daher beginnt bei uns jeder Tag mit der hl. Messe, die ja die unblutige Erneuerung des Kreuzesopfers ist; es beginnt jede erste Stunde an jedem Unterrichtstag mit dem Kreuz-Zeichen und der Anrufung des Hl. Geistes; in jedem Raum, in jedem Klassenzimmer, selbst in der Pausenhalle hängt ein Kreuz, und viele tragen es sogar jederzeit gebunden um ihren Hals. Und vielleicht vermag der eine oder andere Blick auf das Kreuz bei Klassenarbeiten und Klausuren, bei den täglichen Mühen des Lernens und Arbeitens und Pflichterfüllens, die Lasten, die uns auferlegt sind, besser zu tragen. Wenn wir gemeinsam auf das Kreuzesopfer ausgerichtet sind und einander das Kreuz tragen helfen, dann wird sich das „Gesetz der Liebe“ erfüllen. „Die Christenheit ist die Gesellschaft, die im Schatten des Kreuzes lebt“, sagt der Erzbischof. Im Zeichen von Leiden, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Unseres Herrn Jesus Christus gibt uns das Kreuz aber auch Kraft, Freude und Hoffnung und zugleich Mut zur Gestaltung, ist es doch Zeichen unserer Erlösung.
Heute dürfen Sie, liebe Freunde, wieder einmal spüren, wie wir, die wir im Schatten dieses Kreuzes leben und lernen, nicht in Traurigkeit gefangen sind, sondern dass seine erlösende Kraft in besonderem Maße Feierlichkeit, Festlichkeit und Frohsinn auszulösen vermag. Dies haben wir bereits im feierlichen Hochamt erlebt. Und dies mag sich Ihnen im Laufe des ganzen heutigen Festtags mitteilen. So blicken wir frohgemut und voller Vertrauen auf die Kraft des Kreuzes in die Zukunft, trotz aller alltäglichen Sorgen und Nöte auch in die Zukunft unserer Schule. Sind wir auch nur ein kleines Rinnsal, das eine vernünftige Bildung auf Grundlage der katholischen Tradition bewahren und der nächsten Generation vermitteln will, so wissen wir: Jeder Fluss nährt sich aus vielen kleinen Bächen. Möge er eines Tages wieder zu einem großen Strom herangewachsen sein!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen im Kreise unserer Schulfamilie am St.-Theresien-Gymnasium einen schönen, erhebenden und ermutigenden Festtag Christi Himmelfahrt.»