Die Krippe von Wangs

Warum sind die Hohenpriester und Schriftgelehrten nicht nach Bethlehem gegangen? (P. Marc-Antoine Moulin)
Die Oration der Epiphanie stellt vor unseren Augen ein merkwürdiges Problem: «führe uns, die wir dich bereits durch den Glauben kennen, huldvoll bis zur Anschauung des vollen Glanzes deiner Herrlichkeit.» Indirekt lernen wir aus diesem Gebet, dass der Glaube allein nicht ausreicht, um zur Anschauung Gottes in der ewigen Seligkeit zu gelangen. Dieses Gebet scheint eine direkte Reaktion auf das Evangelium der Epiphanie zu sein. Da treffen wir die Hohenpriester und Schriftgelehrten, die zwar alles wussten, und doch nicht zur Krippe gegangen sind.
Alles zu wissen, den Glauben zu haben, oder für uns Mitglieder oder Gläubige der Priesterbruderschaft St. Pius X., die traditionelle Glaubenslehre und -praxis zu haben: das ist noch kein automatisches Billett für die Heiligkeit und die Rettung.
Die Hohenpriester und Schriftgelehrten von damals (ähnlich wie wir heute) hatten alles, was man sich in religiöser Hinsicht wünschen konnte... und doch reichte es nicht aus, um den Erlöser in der Krippe zu besuchen.
Was war das Problem? Welches war ihr Problem, das uns 2000 Jahre später ähnlich bedroht?
Sie gingen mit dem Gesetz und der Religion, wie mit einem persönlichen Eigentum, um. Mehrere Stellen im Evangelium geben uns ein Zeichen davon: sie waren nicht bereit, bezüglich des Glaubens und des Gesetzes, in Frage gestellt zu werden. Lasst uns zwei dieser Passagen in Erinnerung rufen:
Da fragten ihn die Pharisäer und die Schriftgelehrten: «Warum richten sich deine Jünger nicht nach der Überlieferung der Alten, sondern halten die Mahlzeit mir unreinen Händen?» Er antwortete ihnen: «Treffend hat Jesaja von euch Heuchlern geweissagt, wie geschrieben steht (Jes 29,13): ‘Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz jedoch ist fern von mir’. Umsonst verehrt es mich, denn Menschensatzungen stellt es als Lehren auf. Das Gebot Gottes gebt ihr preis, an der Überlieferung von Menschen haltet ihr fest. (Mk 7, 5-8)
(Die Pharisäer) fragten (den eben von Jesus am Sabbat geheilten Blindgeborenen) wiederum: «Was hat er mit dir gemacht? Wie hat er dir die Augen geöffnet?» Er antwortete ihnen: «Ich habe es euch schon gesagt. Aber ihr habt nicht darauf gehört. Warum wollt ihr es nochmals hören? Wollt etwa auch ihr seine Jünger werden?» Da schmähten sie ihn und sagten: «Magst du sein Jünger sein, wir sind des Moses Jünger. Dass Gott mit Moses geredet hat, wissen wir; von dem da aber wissen wir nicht, woher er kommt.» Der Mann entgegnete ihnen: «Das ist doch sonderbar, dass ihr nicht wisst, woher er kommt; er hat mir doch die Augen geöffnet. Wir wissen, dass Gott Sünder nicht erhört. Wenn aber einer Gott fürchtet und seinen Willen tut, den erhört er. Man hat doch nie gehört, dass jemand einem Blindgeborenen die Augen geöffnet hat. Wäre dieser nicht von Gott, so hätte er nichts ausrichten können.» Da entgegneten sie ihm: «Du bist ganz in Sünden geboren und du willst uns belehren?» Und sie stiessen ihn aus. (Joh 9, 26-34)

Die Krippe von Wangs wurde vom ehemaligen Sakristan Paul Müller (RIP) gestiftet und stammt vom Krippenbauverein Koblach-Altach.
Ähnlich ist die Stelle aus dem heutigen Evangelium: sie wussten genau, wo und wann der Heiland geboren werden sollte... aber sie bewegten sich nicht, d.h. sie liessen nichts in sich ändern, sie stellten sich nicht in Frage.
Wir haben das Glück, den Glauben in seiner integralen Form bekommen zu haben und praktizieren zu können, dank der übernatürlichen Klugheit und Scharfsinnigkeit des Erzbischofs Marcel Lefebvre. Er hat durch die Gründung der Priesterbruderschaft St. Pius X. einen Freiraum für diejenigen geschaffen, die sich kompromisslos an die Tradition halten wollen. Das macht uns zwar noch nicht zu perfekten und heiligen Priestern und Gläubigen, aber wir haben tatsächlich alles in unseren Händen.
Welche Haltung sollen wir einnehmen, wenn wir nicht denselben Fehler wie die Hohenpriester und Schriftgelehrten begehen wollen?
Ein Gedanke scheint diesbezüglich sehr wichtig zu sein. Wir besitzen die Tradition nicht als persönliches Eigentum, sondern uns wurde durch die Vorsehung die Tradition anvertraut, welche das Gemeingut der Kirche ist. Die Tradition gehört nicht uns, sondern der Kirche. Don Davide Pagliarani hat es neulich in einem Interview (mit Angelus Press, 1. November 2024) sehr schön erklärt:
Die Tradition kann (..) nicht als das Sondergut dieser oder jener Gemeinschaft verteidigt werden, die nur das Recht fordert, selbst daraus zu leben und sie etwas anderem vorzuziehen. Die Tradition muss als Gemeingut der gesamten Kirche verteidigt werden und als alleingültig für jeden Katholiken eingefordert werden.
Dies ist die Haltung der Priesterbruderschaft St. Pius X., was dazu führt, dass
die Bruderschaft eine kompromisslose Wahrheit den heutigen Katholiken bietet, die ihnen ohne Abstriche angeboten wird (...). (Sie bietet ihnen sogleich auch) Mittel, um ganzheitlich (aus dieser Wahrheit) zu leben – für das Heil der Seelen und den Dienst an der ganzen Kirche.
Diese Haltung, welche die Tradition nicht als Eigentum betrachtet, muss uns dazu führen, die Tradition zu verehren, sie immer mehr zu vertiefen, um sie auch rein und glänzend weiterzugeben, d.h. frei von jeglichen persönlichen Vorstellungen. Das bedeutet, vor allem für die Priester, dass wir uns ständig selbst überprüfen müssen: Bin ich diesem Gemeingut treu? Diene ich diesem Gemeinwohl uneigennützig? Bemühe ich mich nach Kräften, die Tradition, wie sie von der Kirche überliefert wurde, richtig zu verstehen?
Wenn wir diese Haltung einnehmen, werden wir auch für heilsame Impulse von außen offen sein, wie etwa den Besuch fremder Könige auf der Suche nach dem neugeborenen König. Wenn wir die Tradition nicht als Eigentum betrachten, dann werden wir nicht nur, wie die Hohepriester und Schriftgelehrten, die richtigen Antworten haben, sondern uns auch entsprechend in Bewegung setzen... In Bewegung: Das ist es, was dem einfachen Glauben in der erwähnten Oration fehlt! Eine Bewegung, die uns von uns aus in die Richtung des Erlösers treibt. Diese Bewegung hat einen Namen: Sie heisst Liebe!
Es ist die Liebe, welche die Brücke zwischen den Glauben und die Anschauung der Herrlichkeit Gottes setzt. In diesem Sinne ist es nicht verwunderlich, dass der hl. Paulus schreibt (I Kor 13, 5): «Die Liebe sucht nicht das Ihre».
Genau das ist es, was wir bei der heiligen Jungfrau Maria beobachten. Was wäre passiert, wenn sie Jesus als ihr persönliches Eigentum betrachtet hätte? Sie hätte das Heil der Menschheit verhindert. Aber aus Liebe hat sie ihren Sohn als Gemeingut, als Erlöser aller Menschen gesehen und dementsprechend gegeben. Lasst uns also ihr nachahmen für das Wohl der Kirche!
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