Die Krippe in Bethlehem spiegelt die Zimmer eines Waisenhauses wider

Ein Brief aus einem indischen Waisenhaus
Palayamkottai, am 17. Dezember 2024
Liebe Freunde und Wohltäter,
In den stillen Momenten des Lebens, wenn der Lärm verhallt und die Aufregung der Welt verstummt, begegnet uns oft eine erstaunliche Wahrheit: Uns wurde so viel geschenkt, und doch erkennen wir es nicht. Unser Leben, besonders in der modernen Zeit, ist voller Annehmlichkeiten, die für frühere Generationen unvorstellbar waren. Dennoch lassen wir uns so leicht von kleinen Unannehmlichkeiten – einem schlecht gebrauten Kaffee, einem angebrannten Spiegelei, einem verspäteten Paket – aus der Ruhe bringen.
Ein typisch menschlicher Widerspruch: Je mehr wir haben, desto weniger scheinen wir es zu schätzen.
Diese Art von Blindheit nimmt in Zeiten des Wohlstands zu, während uns erst in Not oder Verlust klar wird, was für Schätze wir immer schon besaßen. Diese Wahrheit ist zeitlos. Vielleicht gibt es keine Geschichte, die das besser veranschaulicht als die Erzählung von Ijob.
Ijob war ein wohlhabender Mann, gesegnet in all seinem Besitztum. Als dieser ihm genommen wird – sein Reichtum, seine Familie, sogar seine Gesundheit – stürzt er in ein Leid, an dem die meisten Menschen zerbrechen würden. Doch inmitten seines Elends und Kummers spricht Ijob einen ganz außergewöhnlichen Satz: „Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen; gepriesen sei sein Name.“ Seine Worte erinnern uns daran, dass Gnade nicht von Besitz abhängt, sondern dann im Übermaß fließt, wenn wir losgelöst sind und uns nichts bleibt außer Gott selbst.

Die Weisheit Ijobs beschränkt sich nicht auf längst vergangene Zeiten. Auch heute stehen viele von uns vor ihrer persönlichen Katastrophe: die Sklaverei einer Sucht, die Last einer zerrütteten Ehe, der Verlust der Arbeitsstelle, der Schmerz über die Rebellion eines Kindes. All das sind nicht nur Lasten, es sind auch Einladungen, auf die Knie zu fallen. Wie bei Ijob ist es ein Aufruf zu erkennen, dass gerade in Zeiten des Verlierens Gottes Kraft am stärksten wirkt, indem sie unseren Schmerz in Verdienste für den Himmel verwandelt.
Diese göttliche Umwandlung ist nirgendwo offensichtlicher als in der Erzählung von Bethlehem.
Stellen Sie sich den Stall vor: ein Ort der Armut, voller Kargheit. Ein harter Boden, der Geruch von Mist, die Kälte der Zugluft. Und doch fließt in dieser unscheinbaren Szene die Gnade im Übermaß. Der König der Könige entschied, nicht in einem Palast geboren zu werden, sondern in einem Unterschlupf für Obdachlose, um uns zu belehren: Gott wohnt nicht in der Pracht der Welt, sondern in der Einfachheit eines gutwilligen Herzens.
Die Krippe von Bethlehem ist ein Bild für die Zimmer unseres Waisenhauses.
Unsere Waisenkinder haben nichts von all dem, was die Welt anpreist – keine fürsorglichen Eltern, keine prunkvollen Häuser. Doch was ihnen an materiellem Komfort fehlt, ersetzen sie durch ihren Glauben und ihre Dankbarkeit. Wenn man sie während der Mitternachtsmesse beobachtet, ihre Gesichter im Kerzenschein leuchtend, wird klar, dass sie das Geheimnis von Weihnachten weit besser verstehen als die meisten von uns. Ihre Freude über die kleinsten Geschenke – eine Schultasche, ein neues Kleidungsstück, eine Haarspange oder eine warme Mahlzeit – spiegelt ihre Einfachheit und Demut wider. Das ist das eigentliche Geheimnis der ersten Weihnachtsnacht.
So wie der Stall voller Gnade war, sind es auch diese Zimmer im Waisenhaus. Die Welt mag nur die Kargheit sehen, doch Gott sieht den Überfluss. Die Welt listet auf, was fehlt, doch Gott vermehrt, was vorhanden ist. Diese Kinder erinnern uns – wie das Christkind selbst –, dass wahrer Reichtum nicht im Besitz zu finden ist. Wahrer Reichtum findet sich in einem Herzen, das für Seine Liebe offen ist.
Liebe Freunde, nehmen wir uns diese Gedanken zu Herzen. Nehmen wir uns Zeit, all die Geschenke um uns herum wieder zu erkennen – die Liebe der Familie, das Geschenk des Glaubens, die gemeinsamen Stunden mit Freunden. Wenn wir selbst Zeiten der Trostlosigkeit durchleben, erinnern wir uns daran, dass die Gnade dann ihren Höhepunkt erreicht, wenn man selbst am Tiefpunkt steht. So wie Ijob Gott fand, als er in Sack und Asche saß, wie die Hirten Gott fanden, als er in einer armseligen Krippe lag, so können auch wir ihn finden inmitten unserer schwersten Prüfung.
Knien wir wie einst die Hirten von Bethlehem nieder in Ehrfurcht vor diesem Magnum Mysterium – diesem großen Geheimnis – und bringen wir wie die Weisen aus dem Morgenland uns selbst als Geschenk dem Kindlein dar. Dem Kind, das alles neu macht.
Mit meinem priesterlichen Segen, verbunden mit den Gebeten unserer Waisenkinder, wünsche ich Ihnen allen eine gesegnete Weihnachtszeit.
Ein ewiges Vergelt’s Gott für Ihre großzügige Unterstützung!
Frohe Weihnachten,
Ihr Pater Therasian Xavier,
FSSPX Indien