Die kleinen Bittage - Ein Mittel gegen fatale Entwicklungen

Die Bittprozession
Am Montag nach dem fünften Sonntag nach Ostern beginnt eine dreitägige Zeit, die dem Erflehen gewidmet ist. Früher waren dies Tage der Buße, an denen gefastet und enthaltsam gelebt wurde.
Der wichtigste Ritus der französischen Kirchen während dieser drei Tage bestand von Anfang an in feierlichen Prozessionen, begleitet von Bittgesängen, die man Prozessionen nannte, weil man sich von einem Ort zum anderen begab. Der heilige Cäsarius von Arles berichtet uns, dass die Prozessionen während der Rogationstage in der Regel sechs Stunden dauerten.
Dem Beginn der Rogationsprozession ging das Ascheauflegen auf den Köpfen der Teilnehmer voraus. Anschließend erfolgte das Besprengen mit Weihwasser, woraufhin sich der fromme Zug in Bewegung setzte. Die Prozession bestand aus dem Klerus und dem Volk, die unter dem Kreuz der Hauptkirche marschierten, deren Klerus den Gottesdienst leitete.
Alle – Kleriker und Laien – marschierten barfuß. Man sang die Litanei, Psalmen und Antiphonen und begab sich zu einer bestimmten Basilika, wo das heilige Opfer gefeiert wurde. Unterwegs besuchte man die Kirchen, die auf dem Weg lagen, und sang dort eine Antiphon zum Lob des Geheimnisses oder des Heiligen, unter dessen Namen sie geweiht worden waren.
Die Rogationstage (Bittage) verbreiteten sich schnell von Frankreich aus in der gesamten westlichen Kirche. Im 7. Jahrhundert waren sie bereits in Spanien etabliert und fanden bald auch in England und später in den neuen Kirchen des späteren Deutschland Einzug, sobald diese gegründet wurden. Selbst Rom übernahm sie Ende des 8. Jahrhunderts unter dem Pontifikat des heiligen Leo III.
Die Rogationstage sind daher als eine heilige Institution zu betrachten, die unsere österliche Freude mildert, aber nicht zerstört. Die violette Farbe, die bei der Prozession und der Stationmesse verwendet wird, soll uns nicht mehr auf die Flucht des Bräutigams hinweisen, sondern uns warnen, dass sein Weggang nahe ist.
Dom Guérander, dessen Gedanken oben zusammengefasst wurden, erklärte in seinem Werk „Année liturgique“, wie sehr er „die Verrohung der christlichen Sitten“ bedauerte, die „die Aufhebung der Abstinenz an diesen drei Tagen“ forderten. Er fährt fort: „Es ist also eine Buße weniger (...) in einem Jahrhundert, das bereits so sehr verarmt ist an Mitteln, durch die das christliche Leben erhalten bleibt.“
Nach der gegenwärtigen Disziplin der Kirche werden die Bitt-Prozessionen, deren Absicht es ist, die Barmherzigkeit Gottes, der durch die Sünden der Menschen beleidigt ist, zu erflehen und den himmlischen Schutz über die Güter der Erde zu erlangen, vom Gesang der Allerheiligenlitanei begleitet und durch eine besondere Votiv-Messe ergänzt.
Die Litanei von allen Heiligen kann wegen ihrer Kraft und Wirksamkeit nicht hoch genug geschätzt werden. Die Kirche bedient sich ihrer bei allen großen Anlässen als Mittel, um Gott gnädig zu stimmen, indem sie den gesamten himmlischen Hofstaat anruft. Wenn man nicht an den Bittprozessionen teilnehmen kann, soll man zumindest diese Litanei in Vereinigung mit der heiligen Kirche beten.
Mögen die Gläubigen „daraus schließen, dass die Teilnahme an den Prozessionen dieser drei Tage notwendiger denn je geworden ist“, insbesondere da z.B. in Frankreich Gesetze wie die zur Beihilfe zum Suizid und zur Euthanasie diskutiert werden – die Bittage dienen auch dazu, diese abzuwehren.
(Quelle: Dom Guéranger – FSSPX.Actualités)
Illustration: Procession des rogations au séminaire d'Ecône