Kleine Schule des Gebetes 6. Das Bittgebet
Von Pater Matthias Gaudron
Da wir ganz von Gott abhängig sind und aus uns allein nichts vermögen, spielt das Bittgebet eine wichtige Rolle in unserem religiösen Leben. Schon im Ps 126,1 heißt es: „Baut der Herr nicht das Haus, mühen sich die Bauleute vergeblich. Hütet der Herr nicht die Stadt, wacht vergebens der Wächter.“ Diese Worte zeigen, dass wir zwar das tun müssen, was an uns liegt, aber den Erfolg von Gott erwarten sollen. Wir müssen also beständig um alles bitten, was wir nötig haben.
Im Evangelium sind uns nun große Verheißungen in Bezug auf das Bittgebet gegeben worden. Nicht nur einmal, sondern an vielen Stellen betont der Herr, dass wir alles, was wir brauchen, von ihm erlangen können.
„Wenn zwei von euch auf Erden um irgendetwas einmütig bitten, wird es ihnen von meinem himmlischen Vater zuteilwerden“ (Mt 18,19).
„Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch aufgetan. Denn jeder, der bittet, empfängt; wer sucht, der findet; wer anklopft, dem wird aufgetan. Wenn ein Sohn einen von euch, der sein Vater ist, um Brot bittet, wird der ihm etwa einen Stein geben? Und wenn er um einen Fisch bittet, gibt er ihm etwa statt des Fisches eine Schlange? Oder wenn er um ein Ei bittet, gibt er ihm etwa einen Skorpion? Wenn nun ihr, obwohl ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel Heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten!“ (Lk 11,9–13)
„Alles, um was ihr in meinem Namen bittet, werde ich tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht wird. Wenn ihr mich in meinem Namen um etwas bittet, so werde ich es tun“ (Joh 14,13 f.).
„Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so bittet, um was ihr wollt: es wird euch zuteilwerden … Der Vater wird euch alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet“ (Joh 15,7. 16).
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bittet, so wird er es euch in meinem Namen geben. Bisher habt ihr um nichts in meinem Namen gebeten. Bittet, so werdet ihr empfangen, damit eure Freude vollkommen sei“ (Joh 16,23).
Wie kommt es nun aber, dass wir bisweilen den Eindruck haben, unsere Gebete würden nicht erhört? Wir beten vielleicht schon lange in einem Anliegen, aber nichts bessert sich. Täuschen uns also die Verheißungen des Evangeliums? – Das ist unmöglich.
Machen wir uns zunächst bewusst, dass unsere Gebete nicht die Aufgabe haben können, den Willen Gottes zu ändern, sollen wir doch täglich im Vaterunser beten: Dein Wille geschehe. Unser Gebet muss also vielmehr dahingehen, dass der Wille Gottes erfüllt werde, denn Gott will uns viele Gnaden nur schenken, wenn er darum gebeten wird. So wollte Gott die Bekehrung des hl. Augustinus, aber er wollte, dass diese aufgrund der Gebete und Opfer der hl. Monika eintrete. Darum lehrt der hl. Thomas v. Aquin: „Wir beten nicht, um die göttlichen Anordnungen zu ändern, sondern um das zu erlangen, was Gott durch die Gebete in Erfüllung gehen lassen will.“[1]
Im Namen Jesu
Christus sagt mehrmals, dass wir alles, was wir in seinem Namen erbitten, erhalten werden. Im Namen Jesu zu bitten, bedeutet: in Vereinigung mit ihm; um das bitten, was Christus aufgrund seines Erlöseramts will. Um etwas Schlechtes können wir nicht im Namen Jesu bitten. Christus wird auch nicht alle kurzsichtigen und egoistischen Wünsche erfüllen, die ihm vorgetragen werden, jedoch alles wahrhaft Gute, das wir im tiefsten Herzen ersehnen. Wenn unsere Bitten nicht erhört werden, liegt es also vielleicht daran, dass dies für uns nicht gut wäre. Gott weiß besser als wir, was gut für uns ist, und wenn wir alles immer mit den Augen Gottes sehen könnten, würden wir viele unserer Bitten nicht vortragen. Wir bitten z. B. oft um die Genesung in Krankheit oder um das Ende unserer Prüfungen, aber Gott will uns vielleicht gerade dadurch heiligen und auf dem geistlichen Weg weiterführen. So können wir vor allem nicht erbitten, immer ohne Kreuz zu sein. Das ist keine Bitte, die man im Namen Christi vortragen kann, denn das Kreuz gehört zum christlichen Leben. Es ist hier wie bei guten Eltern, die ihre Kinder wahrhaft lieben: Gerade, weil sie sie lieben, erfüllen sie ihnen nicht alle ihre egoistischen Wünsche. Eltern mit weniger Liebe sind ihren Kindern gegenüber dagegen oft zu nachgiebig, damit sie ihre Ruhe haben. Im Himmel werden wir einmal sehen, dass Gott alle unsere guten Wünsche erfüllt hat, und bei den anderen werden wir selber froh sein, dass er sie nicht erfüllt hat.
Treffend sagt hierzu der hl. Augustinus:
„Was immer wir gegen den Nutzen des Heils bitten, bitten wir nicht im Namen des Heilands. Und doch ist er der Heiland, nicht bloß, wenn er tut, um was wir bitten, sondern auch, wenn er es nicht tut; denn wenn er sieht, dass man um etwas bittet gegen das Heil, dann erweist er sich durch Nichterfüllung als Heiland. Der Arzt weiß ja, was der Kranke für sein Wohl und was er gegen sein Wohl verlangt, und darum tut er den Willen desjenigen, der Gesundheitswidriges verlangt, nicht, um die Gesundheit herzustellen.“[2]
Bedingungen für die sichere Erhörung unseres Gebets
Thomas v. Aquin lehrt: „Es gibt vier Bedingungen, die zusammentreffen müssen, damit jemand immer erlangt, um was er bittet: dass er nämlich für sich bete, um etwas zum Heil Notwendiges, fromm und beharrlich.“[3]
Da Gott unser Heil will, will er uns sicher erhören, wenn wir ihn um etwas bitten, was für unser Heil notwendig ist. Wenn wir dagegen für die Bekehrung anderer beten, werden wir manchmal nicht erhört werden, weil der andere so im Bösen verstockt ist, dass er alle ihm angebotenen Gnaden zurückweist. Die Theologen sagen, dass wir das Heil eines anderen Menschen nicht im eigentlichen Sinn verdienen können. Es gibt hier aber ein Angemessenheitsverdienst, das nicht auf der Gerechtigkeit, sondern auf der Freundschaft gründet. Es ist also angemessen, wenn Gott das Flehen seiner Freunde um die Bekehrung anderer Menschen erhört. Da Gott auch die verstockten Herzen umwandeln kann, dürfen wir hoffen, dass das treue Gebet für unsere Verwandten und Freunde selten ohne Erhörung bleiben wird.
Wenn wir um geistliche Güter bitten, die auf dem normalen Weg der christlichen Vollkommenheit liegen, können wir sicher sein, dass diese Bitte dem Willen Gottes entspricht, denn Christus hat gesagt: „Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48), und der hl. Paulus lehrt: „Das ist der Wille Gottes: eure Heiligung“ (1 Thess 4,3). Wir dürfen natürlich auch um zeitliche Dinge beten, wie Gesundheit, eine gute Arbeitsstelle, den Frieden, den Erfolg unserer Unternehmungen usw. Die Kirche selbst bittet in zahlreichen ihrer offiziellen Gebete um zeitliche Güter. Jedoch sollen wir uns hier stets bewusst bleiben, dass Gott zu unserem Besten etwas anderes angeordnet haben kann. Unser Vorbild muss hier das Gebet Jesu im Ölgarten sein, wo der Heiland zwar um die Bewahrung vor dem furchtbaren Leiden bat – „Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen“ –, aber gleich hinzufügte: „doch nicht wie ich will, sondern wie Du“ (Mt 26,39).
Das Gebet muss in der rechten Gesinnung verrichtet werden, d. h. mit Vertrauen, Demut und Ehrfurcht, nicht fordernd und eigenwillig. Gegen diese Bedingung würde auch verstoßen, wer zwar beharrlich um die Befreiung von seinen Fehlern bittet, aber nicht bereit ist, dafür selber irgendwelche Anstrengungen auf sich zu nehmen. Es hätte z. B. nicht viel Sinn, Gott um Keuschheit zu bitten, aber den nächsten Gelegenheiten zur Sünde nicht aus dem Weg gehen zu wollen. Überhaupt kann es nützlich sein, in wichtigen Anliegen nicht nur zu beten, sondern das Gebet noch mit einigen Opfern zu unterstützen, um Gott seinen guten Willen zu zeigen. Ebenso fehlt die rechte Gesinnung, wenn wir vor allem oder fast ausschließlich um zeitliche Güter bitten, denn dann ginge es uns nicht um Gott, sondern nur um unseren irdischen Vorteil, so wie die Heiden für alle ihre irdischen Angelegenheiten einen Gott verehrten, damit er ihnen helfe.
Schließlich muss das Gebet beharrlich sein, denn Gott hat zwar versprochen, uns zu erhören, aber er hat nirgendwo gesagt, dass er das immer schnell tun werde. In der Tat muss man um manche Gnade lange beten. Die ersten Christen wandelten durch ihre Gebete und Opfer das römische Weltreich in ein christliches Reich um – aber das dauerte über 300 Jahre. Auch die hl. Monika musste fast 20 Jahre für die Bekehrung ihres Sohnes Augustinus beten. Wir müssen also Ausdauer haben. Der Herr gibt uns hier selbst das Beispiel einer Witwe, die von einem ungerechten Richter ihr Recht fordert. Weil sie jeden Tag kommt und ständig bittet, klagt und jammert, gibt selbst der ungerechte Richter schließlich nach und verschafft ihr Recht. Er sagt: „Zwar fürchte ich nicht Gott und achte auf keinen Menschen. Doch weil diese Witwe mir lästigfällt, will ich ihr Recht verschaffen. Sonst kommt sie noch am Ende und schlägt mich ins Gesicht.“ Und der Herr macht die Anwendung: „Hört, was der ungerechte Richter sagt! Und Gott sollte seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm rufen, kein Recht verschaffen?“ (Lk 18,4 ff.)
Beten wir also mit Vertrauen, denn „viel vermag das kraftvolle Gebet des Gerechten“ (Jak 5,16). In ihrem vielleicht bekanntesten Gedicht schreibt die hl. Theresa von Avila: Es kann Geduld alles erlangen! Sie sagt alles, aber es braucht Geduld.
Versäumen wir schließlich nicht, uns in unseren Anliegen an Maria zu wenden, die als unsere himmlische Mutter immer bereit ist, uns zu helfen, und die als Mittlerin aller Gnaden, der die Erlösungsschätze anvertraut sind, die Macht dazu hat.
Anmerkungen
[1] S Th II-II, a. 83, a.2.
[2] In Joan. LXXIII, 3; BKV [Aug. VI], S. 876.
[3] S Th II-II q.83, a.15, ad 2.