Kleine Schule des Gebetes 4. Die Trockenheit im Gebet
Jeder, der sich um ein regelmäßiges Gebetsleben bemüht, weiß, dass es Zeiten gibt, in denen es sehr schwerfällt, gut zu beten. Das Gebet macht dann keine Freude und schenkt keinen Trost, sondern ist eine mühselige Angelegenheit, die völlig nutz- und fruchtlos zu sein scheint. Wenn dies nicht in äußeren Umständen begründet ist, wie z. B. großer Müdigkeit oder Krankheit, gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Ursachen für diesen Zustand: Es kann an einem Mangel von unserer Seite liegen, oder daran, dass Gott uns die Gnade der Leichtigkeit im Gebet entzogen hat.
Bei Schwierigkeiten im Gebet müssen wir uns also zuerst fragen, ob wir diesen Zustand vielleicht durch Lauheit oder allzu große Liebe zur Welt selbst verschuldet haben. Wer keinen Eifer für Gott hat und stattdessen sein ganzes Streben auf die Vergnügungen der Welt, seine Karriere oder sonst etwas richtet, muss sich nicht wundern, wenn er schlecht beten kann. „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“, sagt der Heiland (Mt 6,21), d. h.: Was uns am meisten bedeutet, daran denken wir auch am häufigsten. Wenn nicht Gott, sondern etwas anderes unser größter Schatz ist, werden wir auch nicht gut beten können.
Beim betrachtenden Gebet liegt die Ursache von Schwierigkeiten häufig auch darin, dass man die Betrachtung nicht gut vorbereitet hat. Man hat also keinen Stoff gesucht, über den man betrachten kann, sondern sich nur vage irgendein Thema vorgenommen.
Die Trockenheit im Gebet muss aber nicht von uns verschuldet sein. Obwohl man Gott von ganzem Herzen lieben möchte und obwohl man sich alle Mühe gibt, gut zu beten, kann es sein, dass es einfach nicht gelingt. Stattdessen fühlt man sich vielleicht sogar von Versuchungen geplagt und wie von Gott verlassen. Der hl. Ignatius von Loyola nennt die folgenden Zeichen: Verfinsterung der Seele, Verwirrung, Hinneigung zu den niedrigen Dingen, die Seele fühlt sich träge, lau und traurig.[1] In diesem Fall hat Gott uns die Leichtigkeit im Gebet genommen, um uns zu prüfen. Der hl. Ignatius sagt hierzu:
Wer in Trostlosigkeit ist, erwäge, wie der Herr ihn zur Probe in seinen natürlichen Fähigkeiten gelassen hat, zu dem Zweck, dass er den verschiedenen Antrieben und Anfechtungen des Feindes widerstehe. Er kann es nämlich mit der göttlichen Hilfe, die ihm stets verbleibt, auch wenn er sie nicht deutlich spürt, da ihm der Herr zwar seine große Glut, die besondere Liebe und die intensive Gnade entzogen, ihm aber die zum ewigen Heil genügende Gnade gelassen hat.[2]
In diesem Fall rät der Heilige, in Geduld auszuharren und daran zu denken, dass auch wieder andere Zeiten kommen werden, in denen es leichter gehen und man getröstet sein wird.
Die zur Prüfung über uns verhängte Trockenheit und Trostlosigkeit ist nicht unnütz, denn sie dient zu unserer Reinigung. Wir alle werden nämlich infolge der Erbsünde mit einem mehr oder weniger tief eingewurzelten Egoismus geboren. Auch im Gebet haben wir darum die Neigung, uns selber zu suchen, nämlich das tröstliche Gefühl der Andacht, der Geborgenheit in Gott usw. Wenn uns dieser Trost nun entzogen wird, können wir zeigen, dass es uns ernstlich um Gott und nicht um uns selbst geht, indem wir weiterbeten und unsere Bemühungen im religiösen Leben nicht aufgeben.
Wenn ein Mensch sich zu einem eifrigen religiösen Leben bekehrt, schenkt Gott ihm fast immer geistliche Tröstungen, nämlich eine Freude über den neugefundenen Glauben, Begeisterung für den Dienst Gottes, neue Einsichten im Gebet usw. Der Mensch meint dann, das müsse immer so weitergehen, aber nach einiger Zeit entzieht Gott der Seele diesen Trost wieder, damit sie zu einer reineren und selbstloseren Liebe gelangen kann. Der Mensch soll erkennen, dass er bis jetzt mehr die Freude im Dienst Gottes als Gott selbst geliebt hat. Die Tiere im Zirkus üben ihre Kunststücke nur so lange, als sie von ihren Wärtern dafür belohnt werden. So ähnlich verhält sich auch der Anfänger im geistlichen Leben: Er betet und tut Gutes, möchte aber auch immer gleich dafür belohnt werden. Man muss das Gute aber um seiner selbst willen tun und nicht nur, weil man dafür belohnt wird. Ebenso will Gott um seiner selbst willen von uns geliebt werden und nicht nur, weil er uns dafür Geschenke macht und den Himmel verspricht. Nach einem Wort des hl. Franz von Sales sollen wir nicht so sehr den „Trost Gottes“ suchen, sondern vielmehr den „Gott des Trostes“. Um dahin zu gelangen, brauchen wir die Prüfung der Trostlosigkeit.
Auch unser Stolz wird in der Trockenheit und Trostlosigkeit vermindert, denn nun sehen wir, was wir aus uns selbst vermögen, und dass vieles, was wir uns vorher selbst zugeschrieben haben, nichts anderes war als ein Geschenk Gottes.
In der geistlichen Trockenheit findet unsere Eigenliebe keine Nahrung und stirbt darum langsam ab. Man muss sich in diesem Zustand viel darum bemühen, Akte des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu setzen, denn auch wenn wir nichts von Gott verspüren, können wir ihm sagen, dass wir fest an ihn glauben, auf ihn hoffen und ihn auch jetzt noch lieben, obwohl er uns keinen Trost und keine fühlbare Hilfe schenkt. Solche Akte sind sogar viel wichtiger als viele theoretische Einsichten und hochfliegende Gedanken.
Gebetsweisen in der Trockenheit
Wenn es in der geistlichen Trockenheit unmöglich ist, eine eigentliche Betrachtung anzustellen, kann man eine der folgenden Methoden anwenden:
1. Man nimmt einen Abschnitt aus der Heiligen Schrift oder einem anderen geistlichen Buch, liest einige Zeilen und hält dann inne, um über das Gelesene nachzudenken und es eventuell in Beziehung zum eigenen Leben zu setzen. Je nach dem Thema setzt man einige Akte des Glaubens, der Liebe oder auch der Reue. Vielleicht kann man auch einen Vorsatz fassen, die entsprechende Tugend bei passender Gelegenheit zu üben. Findet man in dem Abschnitt nichts mehr, womit man sich beschäftigen kann, liest man wieder einige Zeilen. Man achte dabei darauf, dass man nicht nur liest, sondern immer wieder innehält.
2. Man nimmt das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, das Ave-Maria oder sonst ein Gebet oder Kirchenlied und betet es ganz langsam, indem man bei jedem Satzteil anhält, über seinen Sinn nachdenkt und einige Anmutungen macht. Findet man keine Anregung mehr, geht man weiter. Auch die Stationen des Kreuzwegs eignen sich für eine solche Gebetsweise.
3. Wenn man sich ganz leer und unfähig zum Gebet fühlt, kann man sich großherzig diesem Leiden überlassen. Man vereinige sich mit der Verlassenheit Christi am Kreuz und stelle sich vor, man sei mit ihm dort angenagelt und opfere sich mit ihm auf. Am Kreuz geht es nicht um erhabene Gedanken oder schöne Gefühle, sondern nur um das treue Ausharren. So können auch wir in der inneren Leere und Trostlosigkeit mit Christus ausharren.
4. Man kann schließlich versuchen, einfach nur in der Gegenwart Gottes auszuharren und in Liebe auf seine Anwesenheit zu achten. Sagen wir uns, dass wir zu seiner Ehre im Gebet verweilen wollen. Wenn schon die Statuen in der Kirche zur Ehre Gottes da sind, so ehrt es Gott noch viel mehr, wenn ein lebender Mensch vor ihm kniet, der ihn anbeten und ehren will, sei er auch innerlich noch so leer und trocken.
Die Beharrlichkeit bis ans Ende
Das Leben des Gebets gleicht keineswegs einer ununterbrochenen Kette von Erleuchtungen und Tröstungen, denn noch sind wir nicht im Himmel, wo wir Gott unverhüllt schauen und genießen dürfen. Hier auf Erden leben wir im Dunkel des Glaubens, und darum gilt auch in Bezug auf das Gebet: „Wer ausharrt bis ans Ende, wird gerettet werden“ (Mt 24,13). Man muss also auch das Kreuz der geistlichen Trockenheit auf sich nehmen und trotzdem beharrlich im Gebet bleiben. Wer das Gebet und das religiöse Leben in diesen Prüfungen aufgibt, zeigt damit leider, dass es ihm zu viel um sich selbst und zu wenig um Gott geht. Ihn trifft das Wort: „Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und mir nicht nachfolgt, ist meiner nicht wert“ (Mt 10,38).
Zudem muss man lernen, sein geistliches Leben immer mehr auf den Glauben zu gründen und nicht auf das Gefühl, denn „der Gerechte lebt aus dem Glauben“ (Röm 1,17). Der Glaube sagt uns, dass Gott immer da ist, dass er mit Liebe auf uns schaut und alles hört, was wir ihm sagen. Nichts kann bei ihm vergessen werden. Wenn unser Gebet also auch trocken und fruchtlos zu sein scheint, sollen wir doch weiterhin fest glauben und vertrauen, dass Gott uns liebt und alles uns zum Besten gereichen wird, wenn wir ihm nur treu bleiben (vgl. Röm 8,28). In diesem Glauben können wir auch in den Prüfungen und Schwierigkeiten des geistlichen Lebens den Frieden bewahren.
Anmerkungen
[1] Die Exerzitien, 4. Regel zur Unterscheidung der Geister für die erste Woche.
[2] Ebd., 7. Regel.