Die Jugendlichkeit des Herzens kommt aus dem Glauben
Anlässlich des 50-jährigen Priesterjubiläums von Bischof Vitus Huonder führte P. Lukas Weber ein ausführliches Interview mit dem Prälaten. Bischof Huonder, der glücklich ist seinen Lebensabend in einem der Häuser der Priesterbruderschaft St. Pius X. zu verbringen, beantwortet freimütig alle Fragen, die uns interessieren. Wir publizieren hier das vollständige Interview in mehreren Teilen.
(Interview, Teil 3)
Ich denke, es ist wertvoll, dass die jungen Burschen, die hier ihre Schulbildung erhalten, diese Vorbilder haben in den Priestern, in einem Bischof; denn diese Vorbilder werden sie prägen, ihnen viel mitgeben für die Zukunft, und wohl auch mithelfen, neue Priesterberufungen zu wecken. Hier an dieser Schule sehen Sie die Arbeit, die von der Priesterbruderschaft im Bereich der Erziehung geleistet wird; Sie haben auch die Seminare angesprochen: So entnehme ich Ihren Worten, dass Sie mit uns darin einig sind, wie richtig und wichtig es ist, dass die Bruderschaft in ihrem Apostolat einen Schwerpunkt auf die Schulen legt.
Das ist ganz wichtig! Es ist nicht nur ein Nebengeleise, sondern ich möchte sagen, es ist wirklich ein Hauptgeleise, das uns ans Ziel führt; denn wenn wir die Jugend nicht mehr im Glauben bilden, wie sie hier gebildet wird, also nicht nur in den Wissenschaften, was ebenfalls wichtig ist, sondern dass sie auch eine religiöse Erziehung erhalten, ein religiöses Wissen und vor allem eine religiöse Praxis… Das ist äußerst wichtig. Es ist das, was in unseren Kreisen hier in Europa leider weitgehend fehlt. Daraus gehen die Priesterberufungen hervor.
Wenn man sich heute beklagt, es gäbe zu wenige Priester, so liegt bestimmt ein Grund, dass es so weit gekommen ist, darin, dass man die religiöse Erziehung vernachlässigt hat, oder doch die Religiosität in einer Art vermittelt hat, die nicht tief geht, die vor allem nicht den Kern unseres Glaubens trifft. Deshalb sage ich noch einmal: Ich möchte der Priesterbruderschaft wirklich ein Kompliment aussprechen und die Patres bitten, diese nicht leichte Aufgabe immer wieder mit Freude anzugehen. Es ist wahrlich nicht einfach, Kinder und Jugendliche zu erziehen. Das fällt mir jetzt umso mehr auf, als ich ganz nahe dran bin.
Können Sie bezeugen, dass die Jugendlichen hier einen gesunden kirchlichen Geist vermittelt bekommen? Es ist bekanntlich so, dass unsere Bruderschaft oft angeklagt wird, wir hätten eine schismatische Haltung oder Absicht. Mit anderen Worten: Können Sie bestätigen, dass dieses Werk dem entspricht, was die Kirche – auch über die Jahrhunderte hinweg gesehen – will?
Dass dem so ist, kann ich auch insofern bezeugen, als ich selbst eine solche Erziehung genossen habe. Ich würde mich gegen die Behauptung wehren, ich wäre damals in einer schismatischen Gemeinschaft gewesen und hätte dort solche Theorien aufgenommen. Es war das ganz Normale dieser Zeit, dass man so erzogen wurde. Wir wurden sogar in gewisser Hinsicht strenger erzogen: Zum einen die tägliche hl. Messe. Sie war für alle verbindlich. Weiter hatten wir nicht die Möglichkeit, unsere Eltern so oft zu besuchen, wie sie die Kinder hier haben. Das Regime zu meiner Zeit war also merklich strenger. Deshalb kann ich ohne Zögern sagen: Was hier getan und geleistet wird, ist normal katholisch, bzw. müsste auch für andere das normal Katholische sein.
Was den Vorwurf des Schismas betrifft – gut, es ist vielleicht nur eine Anekdote: Sie wissen ja, ich hatte einige Kontakte mit dem Hl. Vater, auch bezüglich der Bruderschaft. Da kam auch die Frage wegen des Schismas auf, und der Hl. Vater selbst hat mehrere Male gesagt: «das ist keine schismatische Gemeinschaft». Papst Franziskus selbst hat mir das in einer Privataudienz gesagt. Ich erwähne das nur nebenbei, um die Leute zu beruhigen, die diese Sache immer wieder hervorholen, oder auch unter diesem falschen Argument leiden.
Danke für diese Bestätigung. – Nun leben Sie hier in Wangs im Ruhestand; aber Sie sind doch nicht untätig, Sie sind noch ziemlich aktiv. Worin bestehen Ihre Beschäftigungen?
Es sind eher diskrete Beschäftigungen, aber an erster Stelle stehen das Gebet und die tägliche hl. Messe. Das ist sehr wichtig für jeden Priester und für einen Bischof umso mehr. Sodann habe ich die Kontakte mit den Schülern. Lose Kontakte kann man sagen, dadurch dass ich auch Beichtvater bin, dass ich manchmal eine Religionsstunde besuchen oder eine Religionsstunde halten kann. Das ist eher selten, aber es kommt vor. Und dadurch, dass ich mit den Patres eine Lebensgemeinschaft bilde und täglich mit ihnen im Gespräch bin. Weiter dadurch, dass ich auch mal einen Vortrag halten kann, mich dadurch erneut in die Hl. Schrift vertiefen kann, was mir besonders nahe liegt. Ich habe sie immer hochgeschätzt, und über sie habe ich auch meine Doktorarbeit geschrieben. Es handelt sich um solche kleinen Aufgaben, die ich gerne übernehme. Es kann auch einmal eine Aushilfe in einem Priorat sein, wo ich die heilige Messe feiere und die Predigt halte, wie ich das auch hier an der Schule öfters tue. Diese Tätigkeiten füllen mich wirklich aus.
Seit Sie hier in Wangs sind, zelebrieren Sie täglich die heilige Messe, auch in Anwesenheit der Schüler, und Sie tun es ausschließlich im überlieferten Ritus. Was gibt Ihnen die Zelebration dieses überlieferten Ritus?
Ich habe mich sehr, sehr stark auseinandergesetzt mit dem erneuerten und mit dem überlieferten Ritus. Dabei habe ich bedeutende Unterschiede festgestellt; etwa, dass gewisse Texte verkürzt wurden, weggenommen wurden: Gebete, die ganz wichtig sind für den Priester. Das alles darf ich nun täglich im überlieferten Ritus erleben. Das stärkt den Priester, das stärkt vor allem den Glauben, das stärkt die Hingabe bei der heiligen Messe. Der Priester steht wirklich vor Gott, vor Jesus und nicht einfach vor einer Gemeinschaft. Das alles darf ich neu erleben im überlieferten Ritus, und es ist so wertvoll und so überzeitlich, dass ich es nicht mehr anders haben möchte.
Darf ich aus Ihren Worten schließen, dass Sie den Novus Ordo gar nicht mehr zelebrieren möchten?
Ich möchte es nicht mehr. Ich spüre es einfach: Ich könnte es nicht mehr, denn wenn man sich in die überlieferte heilige Messe vertieft, dann kommt man einfach zu diesem Punkt, wo man spürt, es geht nicht mehr anders.
Nicht nur wegen eines Gefühls oder der Ästhetik, sondern wegen des Glaubens.
Ja, wegen seiner Tiefe. Ich sage immer: Der Ritus, so wie wir ihn haben, ist auch ein Glaubensbekenntnis; und ein Glaubensbekenntnis kann man nicht einfach so weglegen. Was würde jemand sagen, wenn ich als Bischof verbieten würde, das apostolische Glaubensbekenntnis zu beten? Was würden mir diese Personen sagen? Sie würden mir sagen: Was fällt ihnen ein, das geht doch nicht! Wir dürfen nicht vergessen, dass der überlieferte Ritus auch ein Glaubensbekenntnis ist, vor allem, weil er dieses Alter und diese Reife hat. Man kann von den Menschen nicht verlangen, dass sie dieses Glaubensbekenntnis weglegen!
Bischof Vitus, im Kontakt mit Ihnen fällt auf, dass Sie stets mit einem Lächeln und mit Wohlwollen auf die Menschen zugehen. Wie gelingt es Ihnen, diese Ausgewogenheit der Seele und diese Jugendlichkeit des Herzens zu bewahren?
Das ist etwas Schwerwiegendes, was sie da gesagt haben… Ich meine, die Jugendlichkeit des Herzens kommt wirklich aus dem Glauben und ganz besonders aus einem stetigen Kontakt mit dem Herrn. Deshalb lege ich großen Wert darauf – und ich habe das den Schülern wiederholt gesagt: Es ist wichtig, dass ihr mit Jesus ein gutes, ein freundschaftliches Verhältnis habt. Damit dies gelingen kann, ist es hilfreich, wenn ihr ein Bild des Herrn habt, ein schönes Bild, ein schönes Antlitz des Herrn. Betrachtet dieses Bild oft und schaut auf Ihn, als ob Er da wäre; bleibt immer mit Ihm im Dialog, auch dann, wenn ihr mit anderen Menschen Kontakt pflegt. Das wird euch helfen, ein ganz persönliches Verhältnis zu Jesus aufzubauen. Ein solches Verhältnis ist immer etwas Schönes, etwas Aufrichtendes, etwas, das den Menschen eben auch froh macht.
Jeden Morgen sprechen Sie zum Beginn der heiligen Messe die vom Ritus vorgesehen Worte des Psalms: «Zum Altare Gottes will ich hintreten, zu Gott, der mich erfreut von Jugend an.»
So ist es.
Das ist auch für einen im Alter schon fortgeschrittenen Bischof keine Lüge.
[lacht] Ein Bischof darf nicht lügen. Er muss immer die Wahrheit sagen.
Abgesehen von Ihren bischöflichen Insignien und Gewändern leben Sie hier als ganz einfacher Mensch unter den Mitbrüdern. Wie gelingt es Ihnen als Altbischof einer großen Diözese der Schweiz, so zurückgezogen zu bleiben und in der Öffentlichkeit nicht mehr in Erscheinung zu treten?
Wir haben in den Psalmen verschiedene ganz wichtige Stellen, an denen darauf hingewiesen wird, dass alles vergänglich ist, dass wir immer den Tod vor Augen haben müssen. Das bedeutet für mich, dass auch die Herrlichkeit eines Bischofs – insofern es eine solche gibt – vergeht. Es ist daher gut, solange man im Amt ist, immer daran zu denken: Einst wird das vorbei sein, und dann musst du dich anders einrichten, dann stehst du ganz anders da vor dem Herrn. Dieser Gedanke hat mich mein Leben über begleitet, sodass ich mir immer wieder sagte: Irgendwann ist das, was du jetzt tust, vorbei – und selbst wenn es das Schönste wäre. So kommt auch das bischöfliche Amt zu einem Ende, wenn der Bischof abberufen wird, sei es durch den Heiligen Vater, sei es durch den Herrn selbst. Mit diesem Gedanken muss man sich befassen und sich danach richten. Anderseits ist es auch schön, wenn man eine Bürde abgeben darf, was ermöglicht, sich vermehrt in den Glauben, in die Theologie, in die Heilige Schrift zu vertiefen. Das ist die schöne Seite des Daseins eines Altbischofs; ja, diese schöne Seite gibt es auch. So ist es im Leben: Wir müssen bereit sein, unsere Aufgabe niederzulegen, wenn der Herr uns ruft, wenn Er sagt: Jetzt ist Zeit. Kohelet sagt wunderschön: Es gibt eine Zeit für das, für das, für das; so gibt’s auch eine Zeit für das Bischofsamt und eine Zeit danach als Altbischof.
Sie haben also Ihre Würde und Bürde als Diözesanbischof abgelegt, aber Sie behalten selbstverständlich die theologische Auszeichnung des Episkopats, Sie bleiben Bischof, und als solcher wirken Sie weiterhin in der Kirche. Ich habe mir sagen lassen, dass Sie recht oft von Priestern und von Laien aufgesucht werden, die womöglich mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben und bei Ihnen Rat suchen. Ohne Geheimnisse erfahren zu wollen: Was sagen Sie diesen Personen?
Die meisten Personen kommen, weil sie sich schwer tun mit den heutigen Lebensumständen oder mit den Ereignissen in der Kirche. Also geht es darum, sie wieder aufzurichten und ihnen zu sagen: Wir müssen diesen Weg gehen, wir dürfen nicht nachlassen im Glauben, in unserer Überzeugung. Die meisten brauchen ein Wort der Ermutigung, des Beistandes. Andere kommen einfach um zu sehen, was der Bischof jetzt macht, wie es ihm geht. Und natürlich gibt’s auch die leichten Gespräche, in denen man sich über Alltägliches austauscht. Aber meistens ist es so, dass die Leute eine geistliche, seelische Hilfe suchen, und da bin ich als Bischof verpflichtet, diese Aufgabe wahrzunehmen. Auf der anderen Seite verspürt der Bischof den stetigen Drang, als Hirt tätig zu sein. Das liegt in unserem Amt, wir sind Hirten, und deshalb bin ich dankbar, das Hirtenamt auch noch im Alter in dieser Weise wahrnehmen zu dürfen. Das ist auch eine Gnade Gottes.
Ihre Wahl, hier zu leben und unter den vielen Seelen in diesem Haus tätig zu sein, ermöglicht Ihnen, das Hirtenamt weiterzuführen. Pflegen Sie neben den seelsorglichen Beziehungen auch weiterhin Kontakte zu den offiziellen hierarchischen Gremien der Kirche, oder vielleicht zum Vatikan?
Ich bemühe mich, gewisse Kontakte weiter zu halten. Es ist verständlicher Weise für einen emeritierten Bischof schwieriger, solche Kontakte zu pflegen, als für einen Bischof, der im Amt ist und der von Amtes wegen von Zeit zu Zeit eine Reise nach Rom unternehmen muss. Daher sind diese Kontakte spärlicher geworden; aber soweit es möglich ist, versuche ich, sie im Interesse der Sache zu halten. Bischof ist man für immer, und als Bischof trage ich mit an der Verantwortung für das Leben der ganzen Kirche.
Wie sehen sie die nächste Zukunft der Kirche angesichts der Krise, in der sie steckt?
Ich kann die Krise nur hier in unserem Umkreis beurteilen. Wie es in Afrika steht, weiß ich nicht. Wie es in Asien steht, weiß ich nicht. Ich möchte einfach nochmals betonen: Wir kommen nur aus der Krise heraus, wenn wir uns zurückbesinnen auf die alten Werte der Überlieferung. Ansonsten kommen wir nicht weiter. Sonst basteln wir an irgendetwas herum, was doch keine Zukunft hat, und sind dann enttäuscht. Leichthin wird gesagt: Es ist einfach so, wir haben Priestermangel, die Leute müssen sich damit abfinden, usw., statt dass man erkennt, wo die Ursachen der Krise liegen, um an die Wurzeln zu gehen.
Nun deuten die Zeichen selbst auf der Seite der höchsten Autorität der Kirche nicht wirklich hin auf eine Rückbesinnung auf die traditionellen Wurzeln. Es ist noch nicht lange her, dass Papst Franziskus sein Motu-Proprio Traditionis Custodes veröffentlicht hat, mit dem er die Zelebration der Messe nach dem überlieferten Ritus weitgehend zurückschneidet. Man kann sich dem Eindruck nicht erwehren, dass er sie fast ganz zu verhindern sucht. Wie haben sie dieses Dokument aufgenommen?
Sie können sich denken, dass es mich sehr betroffen und traurig gemacht hat. Ja, ich habe geweint. Das hätte ich nicht erwartet, und ich weiß nicht, wo die Ursachen dafür liegen. Wäre ich noch im Amt als Bischof und hätte somit guten Zutritt zum Heiligen Vater, ich würde ihn bitten, er möge sich informieren bei jenen Menschen, die betroffen sind. Es sind so viele Menschen davon betroffen: nicht nur Priester, sondern auch Gläubige. Es geht um Kinder, es geht um Jugendliche, es geht um Familien. Gerade im Bereich der Tradition haben wir große Familien. Ich weiß nicht, ob die Personen, die das dem Heiligen Vater so angeraten haben, sich bewusst waren, was sie diesen guten Katholiken antun. Was tut man diesen Menschen an?! Nein, das stimmt mich wirklich traurig, und ich bitte auch meine Mitbrüder im Bischofsamt, vor allem die Kardinäle, dass sie sich die ganze Sache nochmals überlegen, was da geschehen ist, und dass sie sich mit entsprechenden Bitten an den Heiligen Vater wenden. Das ist ihre Pflicht, denn es geht hier nicht einfach nur um ein kirchliches Gesetz, um eine Verordnung. Es geht hier um den Kern des Glaubens! – Um den Kern des Glaubens! Diesen Kern des Glaubens bei den Menschen so zu berühren … das ist einfach nicht gut. Das kann nicht gut ausgehen.
Sie sagen, es betrifft den Kern des Glaubens bei den Menschen, den Seelen, den Katholiken. Aber es betrifft auch die Kirche selbst.
Das betrifft die Kirche selbst, ja. Denn die Kirche lebt schließlich aus diesem Glauben!
Der Glaube ist ihr nicht zur Verfügung gestellt, auch dem Papst nicht.
Nein, der Glaube ist gegeben, und der Glaube geht jeder Autorität voraus; beziehungsweise: Jede Autorität steht unter der Autorität des Glaubens, und das heißt schlussendlich unter der Autorität Unseres Herrn, denn der Glaube kommt von Unserem Herrn. Und jede Autorität ist dieser Autorität gegenüber verantwortlich. Auch in diesem Punkt (gemeint ist das Motu-Proprio Traditionis Custodes). Man soll sich überlegen, welche Verantwortung man auf sich genommen hat durch eine solche Verordnung!
Vordergründig wurde die mit diesem Dokument erlassene Anordnung nicht mit dem Glauben gerechtfertigt, obwohl das zwischen den Zeilen anklingt, sondern mit der Einheit in der Kirche. Kann sich der Papst erhoffen, durch das Motu-Proprio Traditionis Custodes die Einheit in der Kirche zu fördern?
Ich finde diese Argumentationsweise eigenartig, und zwar weil man doch genau weiss, dass in der katholischen Kirche schon immer verschiedene Riten vereinigt waren. Die Einheit der Kirche wurde dadurch nicht bedroht. Die Frage der Einheit der Kirche liegt anderswo, nämlich beim Glauben, bei der Treue zum Glauben. Ich meine, die Einheit der Kirche ist heute gefährdet dadurch, dass selbst bei Theologen usw. – ich will nicht deutlicher werden – die Treue, die Treue zum Glauben Unseres Herrn, weitgehend nicht mehr vorhanden ist oder doch nachgelassen hat. Ich wiederhole: Der Glaube ist gegeben, von Unserem Herrn her, von den Aposteln her, die ihn weitergegeben haben, und wir sind auf diesen Glauben verpflichtet. Das ist es, was heute in der Kirche weitgehend fehlt, und das bedroht die Einheit!
Da ist der wesentliche Punkt, das sieht unsere Bruderschaft genauso. – Dem Glauben nachgeordnet sind die moralischen Fragen, die aus ihm fließen. Auf diese wollen viele Zeitgenossen, die unzufrieden auf die Kirche schauen, ihre Sendung reduzieren. Als Bischof haben Sie sich mutig eingesetzt, um die katholische Moral, das Sittenleben aufrecht zu erhalten, und das hat Ihnen viele hasserfüllte Kampagnen in der Presse eingebracht. Wenn Sie heute zurückblicken – bereuen Sie, so gehandelt zu haben, oder denken Sie, es sei weiterhin von Aktualität?
Ich bereue es nicht, sondern ich denke immer daran, dass ich einst vor den Herrn hintreten muss, und Er wird mich auch fragen, was ich diesbezüglich getan habe. Und dann darf ich dem Herrn sagen, was ich gesagt und getan habe: Ich habe versucht, auf Grund der Hl. Schrift zu argumentieren – das ist die Grundlage unseres Glaubens, sie ist das Wort Gottes, die Offenbarung Gottes. Ich habe versucht, sie treu weiterzugeben, und deshalb bin ich auch zuversichtlich und ruhig. Natürlich, die Entwicklung der Politik, der öffentlichen Moral, geht in eine andere Richtung, aber das dispensiert uns nicht davon, uns darauf zu besinnen, was uns die Hl. Schrift, was uns die Offenbarung über das moralische Leben lehrt. Denn es kommt aus dem Glauben. Das ist ihnen bekannt: Der hl. Paulus führt in seinen Briefen jeweils zunächst einen belehrenden Teil an, in dem es um den Glauben geht, und daraus folgert er die Lebensweise, oder in anderen Worten die Moral. Das heißt: Aus dem Glauben kommt die Lebensweise. Darauf legt er großen Wert; in allen seinen Schriften betont er, dass wir aus dem Glauben leben müssen. Das muss die heutige Welt wieder erfahren, darauf muss sie sich besinnen, und erst dann werden verschiedene Entwicklungen vermieden. Wir müssen mutig bleiben und diesen Weg gehen, auch wenn wir deswegen als veraltet verschrien werden. Das ist Mittelalter, heißt es oft – eine Frau hatte mir einmal vorgeworfen: «Sie stecken ja im Mittelalter». Das ist nicht Mittelalter, sondern das ist einfach Folgerung aus unserem Glauben. Und das soll weiter gehen. Wie gesagt: Ich bereue nicht, so gehandelt zu haben, und ich bitte ganz besonders meine Mitbrüder im Bischofsamt, in diese Richtung zu arbeiten.
Am nächsten 25. September werden sie Ihr Jubiläum feierlich begehen. Tags darauf ist das Schweizer Volk aufgerufen, an der Urne Stellung zu nehmen zum vorgelegten Gesetz, mit dem die sog. «Ehe für alle» eingeführt werden soll. D.h. die widernatürliche Verbindung von gleichgeschlechtlich geprägten Menschen soll auf eine Ebene mit der Ehe gehoben werden, die Gott eingesetzt hat zwischen einem Mann und einer Frau. Wie sehen sie die Entwicklung in unserer Gesellschaft, und wie können wir ihr entgegenwirken?
Zunächst muss ich sagen: Es ist klar, dass wir aus unserem Glauben heraus niemals zu einer solchen Entwicklung ja sagen können. Das bedeutet natürlich, dass wir uns entsprechend einstellen im öffentlichen Leben und das tun, was möglich ist, damit so etwas verhindert wird. Das wird schwer sein, aber jeder Christ ist von seinem Glauben her dazu verpflichtet; wenn er seinen Glauben ernst nimmt, muss er sagen: Das ist gegen das Gesetz Gottes!
Gewiss, heute wird das göttliche Gesetz nicht mehr ernst genommen; auch das natürliche Gesetz nicht – das gibt es gar nicht, das ist ein Hirngespinst einiger veralteter Theologen – dennoch ist es unsere Überzeugung, unser Glaube: Diese Verirrung widerspricht dem göttlichen Gesetz, sie widerspricht dem Naturgesetz! Entsprechend müssen wir uns verhalten, auch im öffentlichen Leben, und uns so weit als möglich einsetzen, damit eine solche Entwicklung die Gesellschaft nicht in den Abgrund führt. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Wenden wir uns etwas Erfreulicherem zu: Haben Sie in ihrer bischöflichen Laufbahn die Erfahrung gemacht, dass sich mehr und mehr junge Menschen – auch geistliche Berufungen – der Tradition, der Messe aller Zeiten, dem unsterblichen Glauben der Kirche zuwenden? Können sie diese Feststellung machen?
Ja, es ist eine Tatsache, dass in der Tradition viele Jugendliche sind, viele Familien. Mit anderen Worten – das ist meine Feststellung: Die Tradition ist jung! Das zieht uns umso mehr in die Verantwortung: uns Bischöfe, die Leiter der Kirche. Das zieht sie in die Verantwortung, weil hier etwas entsteht, sich etwas bewegt, und diese Bewegung – ich kann es mir nicht anders vorstellen – ist eine Bewegung des Hl. Geistes. Da steht nicht irgendjemand dahinter, sondern das ist das Wirken des Hl. Geistes! Vor allem wenn man bedenkt, dass junge Priester kommen, die sehr oft sehr wenig Kenntnis der Tradition haben, stellt sich die Frage: Wie kommen sie überhaupt dazu? Das kann ich mir nur so erklären, dass hier der Geist Gottes am Wirken ist! Deshalb ermutige ich solche Menschen – auch wenn sie Priesteramtskandidaten sind, die jetzt natürlich in eine ganz schwierige Situation geraten – diesen Weg weiterzugehen und den Hl. Geist zu bitten, Er möge ihnen das Durchhaltevermögen geben und vor allem eine vertiefte Erkenntnis. Denn je tiefer die Erkenntnis der Glaubenswahrheiten ist, desto stärker wird der Glaube, und desto überzeugter können wir wirken, und mit Kraft wirken.
Der hl. Paulus sagt «der Glaube kommt vom Hören». Wir haben also die Aufgabe, ihn durch unser Wort und unser Zeugnis dem Klerus zu vermitteln.
Ja, das ist das Ziel jeder Verkündigung! Die Priester sind da ganz besonders in die Verantwortung gezogen.
An vielen Seelsorgeorten unserer Bruderschaft konnten wir die Feststellung machen, dass in dieser von den Covid-Maßnahmen geprägten Zeit mehr und mehr Katholiken aus den offiziellen Pfarreien begonnen haben, die Tradition zu entdecken, weil sie enttäuscht waren von der Art und Weise, wie ihre Seelsorger diese Maßnahmen gehandhabt haben: mit einer fast gänzlichen Einschränkung des Sakramenten-Empfangs. Sie haben die Sakramente in unseren Kapellen und Häusern gesucht, und viele von ihnen haben bei dieser Gelegenheit festgestellt, wie wenig Glaubenswissen sie in diesen Pfarreien erhalten haben, wie unwissend sie bezüglich des Glaubens sind. Denken Sie, dass dieser Aspekt in der Krise, in der die Kirche und die Katholiken sich heute befinden, ebenfalls eine Rolle spielt? Handelt es sich um eine Krise des Glaubens?
Ja, es ist eine Krise des Glaubens in dem Sinn, wie Sie es gesagt haben, dass der Glaube nicht in seiner ganzen Tiefe verkündet wurde. In der Katechese, ganz besonders in der Katechese, konnten wir diesen Mangel – leider muss ich es so sagen – in den letzten 50 Jahren feststellen. Die tiefe Verkündigung des Glaubens ist in sehr vielen Pfarreien ausgefallen, in sehr vielen Institutionen, in denen der Glaube verkündet werden sollte. Von daher kommt diese Unwissenheit im Glauben. Deshalb kommt dem Katechismus, der Unterweisung im Sinn des Katechismus, eine große Bedeutung zu. Und da stelle ich in der Bruderschaft fest – aber auch in anderen Bewegungen der Tradition – dass der Katechismus sehr ernst genommen wird und sehr ernst vermittelt wird. Von daher kommt auch das Wachstum im Glauben in diesen Kreisen. Es ist unbedingt notwendig, dass wir den Glauben wieder in seiner Fülle verkünden. Nicht nur in gewissen Themen, die den Leuten bekommen – oder von denen man meint, sie würden den Leuten bekommen –, sondern in der ganzen Tiefe, in der ganzen Breite, die im Glauben enthalten ist.
Bischof Vitus, vielen Dank für das Zeugnis, das Sie uns heute gegeben haben, und die Ermutigung, die es mit sich bringt. Ich wünsche ihnen nicht unbedingt ein sehr langes Leben, sondern ein so langes Leben, wie der Herrgott es will, aber erfüllt vom Glauben und von der Genugtuung, diesen Glauben zu bezeugen und weiterzugeben, und auch bischöflich wirken zu können! Herzliches Vergelt’s Gott.
Danke schön! Damit haben sie einen Wunsch ausgesprochen, von dem ich hoffe, dass er sich wirklich erfüllt!
Deo gratias!