Ist das Schisma das größte Übel?
Der Synodale Weg offenbart ein Schisma. Das ist die Meinung eines seiner mächtigsten Schrittmacher. Der Freiburger Theologe Magnus Striet, einer der wichtigsten Stichwortgeber der deutschen Bischöfe, konstatierte im April in einem vielbeachteten Text: „Die innere Distanz zu dem, was angeblich als verbindlich zu glauben vom Lehramt der römisch-katholischen Kirche vorgegeben wird, ist in vielen katholischen Milieus so ausgeprägt, dass hier auch nichts mehr zu kitten ist.“
Übersetzt bedeutet der aus dem Griechischen stammende Begriff Schisma „Spaltung“. Eine schwere Sünde gegen die Einheit des mystischen Leibes.
Nicht wenige Bischöfe haben in den letzten Jahrzehnten signalisiert: „Wir bleiben zusammen, egal, was wir glauben.“ Eine Fehlform der Ekklesiologie, die die Kirche nur noch als „Communio“ definieren wollte, ist angesichts des „Synodalen Weges“ gescheitert. Gemeinschaft ohne Wahrheit ist eine Schein-Communio.
Viele Schrecken bei dem Wort „Schisma“ zusammen und beschwichtigen sofort. Wenn die Einheit einmal verloren sei, sei sie – so lehre die Kirchengeschichte – nicht wieder herzustellen. Religionsfunktionäre dieser Denkungsart mahnen immer zu einem die dogmatischen Abgründe überspielenden Irenismus. Die Forderung nach Orthodoxie wird in einer solchen Perspektive im besten Fall geistlichen Ruhestörung und angesichts des hohen Gutes der Kirchensteuer wohl eher als unverantwortliche Hassrede betrachtet. Bloß kein Schisma!
Vor 40 Jahren hat der Philosoph Dietrich von Hildebrand (1899–1977) in seinem aufrüttelnden Buch „Der verwüstete Weinberg“ gegen diese Verharmlosung des Problems der Einheit im Glauben Protest eingelegt. Er stellt in dem Buch – einem der großen Weckrufe der Nachkonzilszeit – die Frage „Ist das Schisma das größte Übel?“
Seine Antwort war 1972 die folgende:
Der falsche Irenismus, die Scheu vor der Autorität vollen Gebrauch zu machen, Menschenfurcht, das Stellen der Einheit über die Wahrheit.
Aber ein Faktor, der dabei eine große Rolle spiel, ist auch die Angst vor dem Schisma. Die Verurteilung eines prominenten Häretikers kann natürlich zu einem Schisma führen. Sowohl seine Anhänger als auch viele, die im Anathema einen mittelalterlichen Fanatismus erblicken, könnten eine solche Verurteilung zum Anlas nehmen, um als eine geschlossene Sekte von der Kirche abzufallen.
Aber ist ein Schisma wirklich das größte Übel? Der Abfall eines jeden einzelnen Menschen, der die Kirche verlässt, ist ein großes Übel in sich und vor allem für seine Seele, eine Gefährdung seines ewigen Heiles.
Aber viel schlimmer ist es, wenn er, obgleich er den wahren Glauben verloren hat, in der Kirche verbleibt und die Gläubigen durch seinen Einfluss vergiftet. Auch für ihn selbst ist dies noch schlimmer, weil er zu der furchtbaren Sünde der Häresie noch die der Lüge, der Täuschung anderer, des Missbrauchs seiner Würde als Katholik und – im Fall eines Priesters – des Vertrauens, das er als Sprachrohr der Kirche besitzt, hinzufügt.
Das Schisma ist aber mehr als der Abfall eines einzelnen Katholiken. Es ist die Loslösung eines Teiles der Kirche von Rom, die Weigerung, den Papst als Oberhaupt anzuerkennen, sich als eigene, unabhängige Kirche zu erklären.
Das Schisma kann zugleich mit einem Abfall von der Lehre der Kirche – also mit Häresien – verbunden sein, aber es braucht es nicht.
Es kann auch eine Trennung vorliegen, die nicht durch dogmatische Differenzen bewirkt ist. Dies ist z.B. der Fall bei der orthodoxen Kirche. Erst im 11. Jahrhundert kam es zu der definitiven Trennung, d.i. der Loslösung der Ostkirche. Gewiss gab es schon vorher theologische Differenzen. Aber der dogmatische Unterschied von „filioque“ war doch mehr eine Ausrede für das im wesentlichen aus politischen Gründen erfolgende Schisma.
Dieses Schisma war ein großes Übel, die Zerstörung der Einheit eine große Katstrophe, die vom dogmatischen Standpunkt aus unnötig war. Sie war ein reines Übel.
Im Falle des Schismas in der Reformation hingegen, waren die dogmatischen Differenzen das Entscheidende. Hier ist der Abfall von dem „depositum catholicae fidei“, die Häresie, das größte Übel und dieses Schisma, bzw. diese Zerstörung der Einheit, war eine unvermeidliche, ja notwendige Konsequenz der Häresie. Hier war es besser, dass ein Schisma stattfand, als wenn die Häretiker in der Kirche verblieben wären und die Rechtgläubigkeit aller gefährdet hätten.
Es war das große Verdienst des Konzils von Trient, die Häresie der Protestanten klar herauszustellen und die hl. Kirche von einer inneren Zersetzung zu retten. Die große Tragik liegt hier in der Häresie und nicht in dem damit verbundenen Schisma. Hier wäre es ungleich schlimmer gewesen, wenn man das Schisma vermieden hätte, um die Einheit zu wahren, wenn man Kompromisse mit den Protestanten gemacht hätte, die dogmatische Trennung verwischt hätte und so einen zersetzenden Giftstoff im Organismus der Kirche belassen hätte.
Einheit ist ein großer Wert – aber nur die Einheit in der Wahrheit – und diese ist auch die einzige Einheit. Die Treue gegenüber der göttlichen Offenbarung – das ist die Treu gegen Gott – ist unendlich wichtiger als alle Einheit.
Bei der Frage des Schismas schiebt sich aber oft auch eine Betrachtung ein, die in Bezug auf eine natürliche Gemeinschaft einen Sinn hat, bei der übernatürlichen Gemeinschaft der Kirche aber völlig unangebracht ist.
Bei vielen natürlichen Gemeinschaften spielt ihr Umfang eine entscheidende Rolle. Für eine politische Partei ist ihr Einfluss auf die Erreichung ihres Zieles von dem Umfang der Partei abhängig. Die Zahl der Mitglieder hat darum für die Partei (nicht für den einzelnen) eine entscheidende Bedeutung. Sie ist entscheidend für ihre Macht und die Machtfrage ist hier ein hochbedeutsamer Faktor.
Im Falle der Kirche hingegen fällt die Machtfrage in diesem Sinne weg. Ihr Ziel ist, dass alle den Weg zur Wahrheit und ewigen Seligkeit finden. Die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche ist für jede einzelne Seele ein absoluter Wert, ja das höchste Gut auf Erden.
Wenn ich sage Zugehörigkeit, so meine ich damit den integren Glauben an die Offenbarung Christi, wie sie in dem depositum catholicae fidei niedergelegt ist, die Liebe zu Christus, den Gehorsam gegen die Kirchengebote – mit einem Wort nicht nur den Taufschein. Dazu kommt noch ein zweiter hoher Wert – die Ausbreitung des Reiches Gottes. Die Bekehrung jedes einzelnen ist nicht nur erstens eine Verherrlichung Gottes und zweitens das höchste Gut für seine Seele, sondern si eist auch eine Verherrlichung Gottes durch das Wachstum des mystischen Leibes Christi.
Das Verbleiben eines Häretikers in der Kirche ist aber ein größeres Übel, als dass die Kirche um ein Mitglied ärmer wird. Es ist besser, dass er die Kirche verlässt oder von ihr ausgeschlossen wird durch ein Anathema bzw. eine Exkommunikation. Es ist besser vom Standpunkt der Kirche und aller Gläubigen; aber auch für die Seele des Häretikers, weil er sich seiner Apostasie vom wahren Glauben bewusster wird und dadurch aufgeweckt werden kann.
Der Gesichtspunkt, in der Abnahme der Mitglieder einer natürlichen Gemeinschaft eine Schwächung, ein Symptom des Niederganges, ja einer Desintegration zu erblicken, schleicht sich leider auch unbewusst in die Beurteilung des Übels des Schismas mit ein und veranlasst, viele Kompromisse auf Kosten der Rechtgläubigkeit zu machen, nur um eine Verringerung an Umfang zu vermeiden.
Gilt das Wort Christi nicht auch in analoger Weise für die Exkommunikation eines Häretikers? „Wenn aber deine Hand oder dein Fuß ein Ärgernis gibt, so hau sie ab und wirf sie weg! Es ist besser für dich, verkrüppelt oder lahm in das Leben einzugehen, als mit zwei Händen oder zwei Füssen in das ewige Feuer geworden zu werden. Und wenn dein Auge dir Ärgernis gibt, so reiß es aus und wirf es weg. Es ist besser für dich, mit einem Auge in das Leben einzugehen, als mit zwei Augen in das höllische Feuer geworfen zu werden.“ (Mt 18, 8-10)
Das Buch zum Thema:
Dietrich von Hildebrand
„Der verwüstete Weinberg“
kart., 247 Seiten
Lins-Verlag
€ 10,90