Im Himmel wünsche ich euch alle zu sehen!
Detail aus dem Fastentuch in der Stiftskirche Millstatt, Kärnten
Es bleibt mir noch eine Einteilung im Gebet zu erklären, sowohl im Geistesgebet wie im mündlichen. Wir wenden uns in zweifacher Weise an Gott, um Ihn zu bitten. Beide hat Unser Herr empfohlen und unsere heilige Mutter Kirche geboten. Wir bitten nämlich Gott das eine Mal unmittelbar, ein andermal mittelbar, so wenn wir die Antiphonen Unserer lieben Frau beten, das Salve Regina und andere.
Wenn wir unmittelbar beten, üben wir das kindliche Vertrauen, das sich auf Glaube, Hoffnung und Liebe stützt. Wenn wir mittelbar und durch die Vermittlung eines anderen bitten, üben wir die heilige Demut, die aus unserer Selbsterkenntnis hervorgeht. Wenn wir uns unmittelbar an Gott wenden, berufen wir uns auf Seine Güte und Seine Barmherzigkeit, auf die wir unser ganzes Vertrauen setzen; wenn wir aber mittelbar beten, Unsere liebe Frau, die Heiligen und die seligen Geister um ihren Beistand bitten, tun wir das, um von der göttlichen Majestät besser aufgenommen zu werden, und dann berufen wir uns auf Seine Erhabenheit und Allmacht und auf die Ehrfurcht, die wir Ihm schulden.
Ich möchte der letzten Predigt noch ein Wort hinzufügen über die äußere Ehrfurcht, die wir beim Gebet haben müssen. Unsere Mutter Kirche bestimmt genau, welche Haltung wir nach ihrem Wunsch beim Rezitieren des Offiziums einnehmen sollen: einmal stehen, einmal sitzen, dann knien; einmal das Haupt bedeckt, einmal unbedeckt. Alle diese Verhaltensweisen sind aber nichts anderes als Gebete. Alle Zeremonien der Kirche sind erfüllt von tiefem Sinn; die frommen, demütigen und einfältigen Seelen empfangen sehr viel Trost bei ihrem Anblick. Sagt mir doch, was nach eurer Meinung die Zweige bedeuten, die wir heute in Händen halten? Doch nichts anderes, als daß wir Gott bitten, Er möge uns siegen lassen durch das Verdienst und den Sieg, den Unser Herr am Baum des Kreuzes errungen hat.
Beim Gottesdienst müssen wir darauf achten, die Haltung einzunehmen, die in unseren Messbüchern angegeben ist. Welche Ehrfurcht aber müssen wir in unseren persönlichen Gebeten wahren? Wir stehen genau so vor Gott wie bei den gemeinsamen Gebeten, wenn wir auch bei den gemeinsamen wegen der Erbauung des Nächsten besonders sorgfältig darauf bedacht sein müssen. Die äußere Ehrfurcht trägt viel zur inneren bei.
Wir haben verschiedene Beispiele dafür, daß wir uns auch beim persönlichen Gebet in großer äußerer Ehrfurcht halten müssen. Hört den hl. Paulus (Eph 3,14): Ich beuge mein Knie vor dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, sagt er für uns alle. Und seht ihr nicht, daß unser Erlöser selbst sich zu Boden warf, als er zu Seinem Vater betete (Mt 26,39; Mk 14,35)?
Sprechen wir nun vom Geistesgebet …. Nun, im Geistesgebet gibt es vier Teile; der erste ist die Betrachtung, der zweite die Beschauung, der dritte sind die Herzenserhebungen, der vierte die einfache Gegenwart Gottes…
Von den Herzenserhebungen kann sich niemand entschuldigen, weil sie im Kommen und Gehen bei den Beschäftigungen geschehen können. Ihr sagt mir, daß ihr nicht die Zeit habt, um zwei oder drei Stunden zu beten. Wer spricht denn davon? Empfehlt euch am Morgen Gott, beteuert, daß ihr Ihn nicht beleidigen wollt, dann geht an euer Tagewerk mit dem Entschluß, gleichwohl häufig euren Geist zu Gott zu erheben, selbst in Gesellschaft. Wer kann euch daran hindern, auf dem Grund eures Herzen mit Ihm zu sprechen? Es ist ja nicht nötig, daß ihr geistigerweise oder mündlich mit Ihm sprecht. Sagt kurze aber feurige Worte!
.. Wie glücklich werden wir sein, wenn wir je in den Himmel kommen! Denn dort werden wir betrachten, indem wir alle Werke Gottes im Einzelnen betrachten und erwägen; und wir werden finden, daß alle gut sind. Wir werden die Beschauung haben und alle zusammen sehr gut finden. Und wir werden ewig unser Herz zu Ihm erheben. Dort wünsche ich euch alle zu sehen. So sei es.
Auszug aus der Predigt des hl. Franz von Sales zum Palmsonntag, Annecy, Frankreich, 12. April 1615
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