Ich habe die religiöse Umgebung, die mir hilft als Altbischof den Glauben zu leben
Anlässlich des 50-jährigen Priesterjubiläums von Bischof Vitus Huonder führte P. Lukas Weber ein ausführliches Interview mit dem Prälaten. Bischof Huonder, der glücklich ist seinen Lebensabend in einem der Häuser der Priesterbruderschaft St. Pius X. zu verbringen, beantwortet freimütig alle Fragen, die uns interessieren. Wir publizieren hier das vollständige Interview in mehreren Teilen.
(Interview, Teil 2)
Als Bischof haben Sie einen Wahlspruch festgelegt, wie das üblich ist. Er lautet: Instaurare omnia in Christo: Alles in Christus erneuern – oder befestigen. Es ist übrigens derselbe Wahlspruch, den auch der heilige Papst Pius X. hatte. Warum diese Wahl?
Es hat wirklich mit Papst Pius X. zu tun. Ich war 12-jährig, also 1954, als Papst Pius X. heiliggesprochen wurde. Ich erinnere mich noch daran, wie uns im Religionsunterricht das Bild des Papstes verteilt wurde, und unter diesem Bild stand eben dieser Wahlspruch. Er hat mich sehr geprägt, mich immer wieder begleitet. Ich erinnere mich, wie 1960, 1961 – da war ja die Frage des Konzils in der Luft, es war schon angekündigt – am Gymnasium verschiedene Diskussionen über das Konzil und die Erwartungen an das Konzil geführt wurden. Es war die Rede von «der Kirche, die sich erneuern muss» usw. Darauf habe ich mit diesem Spruch geantwortet und gesagt: Ja, die Kirche muss sich erneuern, aber eben nach dem Wahlspruch von Papst Pius X.: «Alles in Christus erneuern.»
Danach haben Sie gelebt, gehandelt, 12 Jahre an der Spitze des Bistums Chur. Als der Moment gekommen war, dieses Amt nach der Entscheidung des Papstes niederzulegen – das war vor etwas mehr als zwei Jahren – haben Sie einen mutigen Schritt getan und sich entschieden, sich für Ihren Ruhestand hier in einem Haus der Priesterbruderschaft St. Pius X. zurückzuziehen. Sind Sie heute glücklich darüber, oder bereuen Sie Ihre Entscheidung?
Ich bin über diese Wahl sehr glücklich. Es ist vielleicht wichtig, dass man weiß, wie sich das Ganze entwickelt hat, es steht eine ganze Entwicklung dahinter. Zunächst einmal hatte ich schon sehr früh als Priester lose Kontakte mit Gläubigen, die mit der Bruderschaft verbunden waren. Aber das waren nicht sehr feste, starke Kontakte. Sie erlaubten mir aber, die Bruderschaft kennenzulernen. Dann entwickelte sich das Ganze mit der Una-Voce Bewegung für die Tradition. Schließlich kam ich als Bischof vermehrt in Kontakt mit den Gläubigen der Tradition, mit verschiedenen Gläubigen und auch mit Priestern. Dazu kam, dass ich als Bischof von einigen Gliedern der Piusbruderschaft aufgesucht wurde. So habe ich sie kennengelernt, und dann auch die Schule hier in Wangs. Auf ihre Einladung durfte ich hier die Statue der Gottesmutter krönen. Schon recht früh war das: um 2012, 2013.
Und dann kam die Anfrage aus Rom, ob ich bereit wäre, mich einzulassen auf einen Dialog mit der Bruderschaft. Das war etwa 2014. Und ich habe angenommen. Es war mir ein sehr großes Anliegen. Ich habe also diesen Kontakt aufgenommen, diesen Dialog, und daraus hat sich eine tiefere Kenntnis der ganzen Problematik entwickelt. Ich habe mich eingelassen auf die ganze Problemstellung, die die Bruderschaft, die ganze Tradition betrifft. Ich bin zur Erkenntnis gelangt, dass es sehr wichtig sei, dass ich das weiterverfolge. Und schließlich war ich überzeugt, dass es richtig ist, wenn ich den Kontakt mit der Bruderschaft vertiefe, dadurch, dass ich den Alterssitz hier in Wangs wähle. Das wurde sogar vom Heiligen Vater begrüßt. Einem Priester gegenüber sagte er: «Das hat er gut gemacht.»
Jetzt bin ich hier und darf sagen: Ich bin sehr glücklich. Ich habe die ganze religiöse Umgebung, die mich wirklich stützt, die mir hilft, auch als Altbischof den Glauben intensiv zu leben.
So wie Sie es schildern, hat auch Ihrerseits eine Entwicklung stattgefunden: Im intensiveren Kontakt mit der Bruderschaft haben Sie mehr und mehr erkannt, dass eine Geistesverwandtschaft besteht, ein und derselbe Glaube, den man teilt, und nach dem Sie leben möchten. Verstehe ich das richtig?
Das ist richtig, ja. Wobei man nicht vergessen darf, dass ich die ganze Jugend in diesem Glauben gelebt habe. Die großen Veränderungen kamen etwa um das Jahr 1968; da war ich schon 26, 27 Jahre alt…
…so dass Sie Ihren Glauben aus der Jugendzeit bis ins Alter hinüberretten bzw. weiterführen konnten trotz der Wirren, die auch innerhalb der Kirche entstanden sind, und die Sie erlebt haben.
Ja! Sie sollten nicht vergessen: Wir waren damals jung, als die ganzen Umstellungen kamen. Wir waren jung. Wir waren sehr gläubig, auch dem Heiligen Vater gegenüber, auch der Hierarchie gegenüber. Wir waren der Meinung, dass, was hier geschieht, gut ist. Man hatte noch nicht das Kriterium. Dass ich die Dinge selbst durchschaute, studierte … die Liturgie, die Theologie..., das kam erst später. Damals war es noch nicht so, eben weil man sehr gläubig war. Aber jetzt, im Älterwerden, muss ich sagen: Man hat uns damals vieles genommen. Ich stelle das immer mehr fest, eben gerade im Kontakt mit der Tradition, mit der Bruderschaft, mit den Anliegen der Bruderschaft.
Sie haben also diesen Schritt getan, sind hierhergekommen ins Institut Sancta Maria in Wangs, ohne großes Aufheben, wie es Ihrem Charakter entspricht: diskret. Sie haben es nicht als notwendig erachtet, in der Öffentlichkeit eine feierliche Erklärung abzugeben, sondern Sie haben einfach diesen Schritt gemacht aus Ihrer Überzeugung heraus, und Sie sagen sich, meine Anwesenheit hier, das, was ich tue, legt Zeugnis ab von meiner inneren Überzeugung und Glaubenskraft.
Ja, das ist sicher so: Ich lege Wert darauf, meine Überzeugung selbst zu leben und vorzuleben, und es ist mir wichtig, dass man in der Bruderschaft spürt, dass dieses Leben eine Unterstützung für sie sein soll, für die Bruderschaft selbst, und auch für die Priester, die die Tradition suchen, dass sie spüren: Dieses Leben ist für uns bestärkend. Natürlich kommen auch andere Dinge hinzu, etwa Gespräche, in denen ich das bezeuge, aber in erster Linie lege ich Wert darauf, dass mein Leben selbst ein Zeugnis ist.
Man hätte leicht erwarten können, dass Sie sich einen anderen Ort aussuchten, in einer anderen Kongregation. Sie haben aber bewusst diesen Ort hier bei der Priesterbruderschaft St. Pius X. gewählt.
Ja, ich habe ihn bewusst gewählt. Das geht aus der Vorgeschichte hervor. Ich habe mir gesagt, diese Bruderschaft – es soll nicht überheblich tönen – aber diese Bruderschaft könnte auch mich brauchen. Ich möchte Ihnen, dieser Bruderschaft, Unterstützung geben. Das war sicher ein Gedanke, der mich geleitet hat, als ich diese Wahl traf. Andererseits gab es noch weitere Gründe: So fand ich, es ist gut, wenn ich in einer Umgebung bin, in der junge Menschen leben, damit sie mich etwas auf Trab halten – was nicht immer leicht ist, denn nur schon beim Gehen habe ich Mühe. Es war mir wichtig, in eine Umgebung zu kommen, in der ich spüre: Da ist der Glaube noch jung.
Sehr schön, dass Sie diese Jugend weiterhin suchen, physisch und geistig! Ich möchte es nicht versäumen, Ihnen für diese Entscheidung zu danken, denn tatsächlich, für viele von uns Priestern und Laien ist es eine Ermutigung zu sehen, dass sich ein Bischof bei uns heimisch fühlt, dass er unser Werk unterstützen und uns durch seine Anwesenheit ermutigen möchte, weiterhin im Glauben treu zu bleiben. Vielen Dank!
Unbedingt!
Ohne Zweifel sind nicht alle Leute begeistert darüber, dass Sie die Wahl getroffen haben, hierher zu kommen. Ihre Entscheidung wurde, sagen wir, oft negativ aufgenommen, auch in den Diözesen der Schweiz. Hätten Sie eine ganz andere, exotische Wahl getroffen, wäre diese wahrscheinlich besser angekommen. Wie erklären Sie diese Reaktion?
Es ist die allgemeine Reaktion heutzutage bei Vielen den Werten der Überlieferung gegenüber. Sie bezieht sich nicht nur auf die Bruderschaft. Sicher spielt diese auch eine Rolle, aber es geht eigentlich um die Frage der Überlieferung. Man hat zum Teil eine ablehnende Haltung gegenüber der Überlieferung. Wie muss man das erklären? – Das ist schwer zu erklären. Auf der einen Seite ist es vielleicht das historische Gewissen, das die Menschen in der Kirche plagt; denn man weiß: Das ist die Vergangenheit der Kirche bis in die jüngste Zeit, und diese will man ablegen. Auf der anderen Seite hat sich auch die Gesellschaft derart gewandelt, dass man den Eindruck gewinnt: Das gehört doch nicht mehr in unsere Zeit. Es gibt eben verschiedene Faktoren, die mitspielen. Bei uns in der Schweiz, ich meine die Kirche in der Schweiz, stand ich ja ohnehin immer im Fokus. Man hat mich in vielen Kreisen immer wieder negativ kritisiert, und von daher war eine solche Reaktion zu erwarten. Deshalb lege ich Wert darauf, dass man weiß: Ich bin nicht aus Eigendünkel hier, sondern wirklich, weil ich darin eine ganz wichtige Verantwortung sehe, die mir als katholischem Bischof zukommt, und die von mir verlangt, dass ich vor unserer Mutter, der Kirche, und vor der Bruderschaft Zeugnis ablege von meiner tiefen Verbundenheit mit der Tradition. Das soll man wissen; ich lege Wert darauf. Aber das alles reicht noch nicht, um eine positive Reaktion zu fördern, weil es noch andere Faktoren gibt, die eine ablehnende Haltung hervorrufen.
Ja, diese große Ermutigung, die Sie uns durch Ihre Anwesenheit geben, ist in unseren Kreisen schon sehr wertvoll. Vielleicht haben Sie ein paar Worte der Ermutigung für die Priester der Bruderschaft, wie sie ihr Apostolat besser wahrnehmen könnten, und besonders auch wie es möglich ist, die Diözesanpriester zu unterstützen bzw. mit ihnen in Kontakt zu kommen und ihnen den Wert der Tradition aufzuzeigen?
Ja. Zunächst einmal die Frage der Bruderschaft selbst: Ich muss feststellen, dass die Bruderschaft hier an diesem Ort, aber auch an anderen Orten, eine wunderbare seelsorgliche Arbeit leistet. Eine solche katholische Schule in einem Bistum zu haben, das war damals mein Traum. Das finden sie nicht mehr in unseren Bereichen. Ich rede vor allem von Europa, von Mitteleuropa, denn ich kenne nicht die ganze Welt, aber hier muss ich feststellen, dass wir das nicht mehr haben. Ich möchte der Bruderschaft ein Kompliment machen, dass sie solche Schulen führt, und ganz allgemein, dass ihre Priester den Menschen als Seelsorger nahe sind. Wir brauchen diese Seelsorger; die Menschen erwarten diese Seelsorger, sind auf sie angewiesen.
Ich war letzthin zu Besuch im Priesterseminar in Zaitzkofen. Dort habe ich gesehen, wie die Priester ausgebildet werden. Daraufhin sagte ich zum Regens: Hier haben wir das Modell für die Kirche. Die Verantwortungsträger in der Kirche müssten auf das zurückgreifen, was in der Bruderschaft geschieht. Sowohl in der Priesterausbildung als auch in der Ausbildung der Jugendlichen, in der Alltagsseelsorge, im gemeinschaftlichen Leben der Priester – das ist sehr wichtig. Idealer Weise ist kein Priester allein, sondern er lebt in einer kleinen Gemeinschaft und ist dort aufgehoben. Das sind die Modelle für die Kirche heute, wie sie sich erneuern kann. Das ist es, was ich der Bruderschaft gegenüber gesagt haben möchte.
Und nun gegenüber den übrigen Priestern: Ich weiß, dass heute viele junge Priester eine Sehnsucht nach der Tradition haben. Das stellt man einfach fest. Ich will nun nicht nach den Gründen fragen, aber ich stelle fest, dass da eine Sehnsucht nach der Tradition ist, eine Sehnsucht nach der überlieferten heiligen Messe. Ich möchte diese Priester ermutigen, dass sie Zeugnis ablegen und versuchen, auf diese Tradition hin, auf diese Überlieferung hin zu leben. Sie sollten sich deswegen nicht scheuen, auch wenn sie zuweilen viel Unangenehmes erleben müssen in der heutigen Situation. Sie sollen sich nicht entmutigen lassen, denn damit setzen sie einen Beginn, der sich in vielleicht 50, 60, 70 Jahren ausbezahlen wird.
Ich komme nochmals zurück auf das Gemeinschaftsleben, das Sie hier im Haus teilen mit unseren Priestern und auch mit den Jugendlichen, die hier zu Schule gehen. Es ist bereits bekannt, dass Sie ein Vorbild sind an Pünktlichkeit beim gemeinschaftlichen Gebet. Und tagsüber sind Sie oft in der Kapelle anzutreffen, wo Sie im Gebet versunken sind. Wir sind uns also sehr einig darin, dass die Konstanz, die Regelmässigkeit in der Pflege des geistlichen Lebens ganz entscheidend ist, um als Priester fruchtbar wirken zu können.
Ja! Es wäre schlimm, wenn der Bischof nicht ein Vorbild wäre. Ich glaube, das muss er unbedingt sein. Und wenn ich das sein darf, so bin ich dankbar, denn es gehört zur Aufgabe des Bischofs, vorbildlich zu leben. Das Gebetsleben hat für mich eine große Bedeutung. Es ist etwas Tragendes im Leben eines Priesters, im Leben eines Bischofs. Es ist aber auch tragend, das muss dazu gesagt werden, im Leben eines Laien. Ich liebe ganz besonders das Breviergebet, also das kirchliche Gebet. Ich bin gerne in der Kapelle vor dem Allerheiligsten; und ja, wir werden sicher gerne beten, wenn wir wissen, dass das Gebet eine Vorwegnahme des ewigen Gotteslobes ist. Wir dürfen jetzt schon den dreifaltigen Gott loben. Jetzt schon! Und wenn wir das bedenken, gehen wir viel lieber zum Gebet. Mit dem Gebet, mit der heiligen Messe stehen wir bereits mit einem Fuß in der Ewigkeit.
Bei der Transkription wurde der gesprochene Stil weitgehend beibehalten.