Heute ist euch in der Davidsstadt der Retter geboren…
Den Hirten, die in der Nähe ihre Herden weideten, wurde aus Engels Mund die Kunde:
Das soll euch ein Zeichen sein: Ihr werdet ein Kindlein finden, das, in Windeln gehüllt,
in einer Krippe liegt. Lk 2, 12
Er trug bereits sein Kreuz - das einzige Kreuz, das ein Kind tragen kann: das Kreuz der Armut, der Verbannung und des Gebundenseins. Seine Opferabsicht leuchtete bereits aus der Engelsbotschaft über den Hügeln von Bethlehem:
Heute ist euch in der Davidsstadt der Retter geboren worden,
der ist der Messias,
der Herr. Lk 2, 11
So begann damals schon, durch seine Armut, sein Kampf gegen die Habsucht; durch die ihm im Stall gewordene Verdemütigung erklärte er dem Stolz den Krieg. Die göttliche Macht, die keine Fesseln kennt, läßt sich binden. Diese Tatsache ist oft eine zu große Last für Hirn und Herzen jener, die nur an Macht denken. Solche können den Gedanken an die göttliche Herablassung nicht fassen, ebensowenig den anderen, daß „ein Reicher arm wird, damit wir Menschen durch seine Armut reich werden möchten". Den Menschen sollte kein erhabeneres Zeichen von göttlicher Größe vor Augen gestellt werden als das Fehlen jeglicher Macht. Gerade das Auftreten in Macht hatten sie erwartet: sie erlebten stattdessen das Schauspiel von einem Kindlein, das in Windeln eingewickelt vor ihren Augen lag und später verkünden wird, auf den Wolken des Himmels wiederzukommen.
Er, den die Engel den „Sohn des Allerhöchsten" nennen, stieg auf die Erde herab, von der wir alle genommen sind, um mit den schwachen, gefallenen Menschen in allen Dingen, ausgenommen die Sünde, eins sein zu können. Und die Windeln stellen sein „Zeichen" dar. Wäre er, der Allmächtige, unter Blitz und Donner gekommen, dann hätte sich ein Zeichen erübrigt. Ein Zeichen ist nur dann gegeben, wenn sich etwas ereignet, was natürlicherweise niemand voraussehen kann. Der strahlende Sonnenschein ist kein Zeichen, wohl aber eine Sonnenfinsternis. Am Jüngsten Tag wird, wie er sagte, seine Wiederkunft von „Zeichen an der Sonne" angekündigt werden, vielleicht durch ein Erlöschen des Lichtes. In Bethlehem erschien der Sohn Gottes um Mitternacht, so daß nur die Herzensdemütigen ihn erkennen konnten.
Nur zwei Klassen von Menschen fanden das göttliche Kind: die Hirten und die Weisen; die Einfältigen und die Gelehrten; jene, die wußten, daß sie nichts wissen, und jene, die wußten, daß sie nicht alles wissen. Er wird weder von einem Dünkelhaften erkannt noch von einem Siebenmalgescheiten. Nicht einmal Gott kann dem Stolzen etwas beibringen! Nur der Demütige kann Gott finden!
Caryll Houselander meint: „Bethlehem ist der Hinweis auf Kalvaria, so wie die Schneeflocke der Hinweis auf das All ist." Diesen nämlichen Gedanken drückt der Dichter aus, wenn er sagt: Würde er das Mauerblümchen in all seinen Einzelheiten kennen, so würde er wissen, „wer Gott und wer der Mensch ist". Und die Wissenschaftler sagen uns, daß das Atom das Geheimnis des Sonnensystems in sich birgt.
Es ist nicht so wichtig, daß Jesu Geburt einen Schatten auf sein Leben warf und schließlich zu seinem Tod führte. Aber eigentlich ist es doch so, daß das Kreuz von Anfang an da war und seinen Schatten bis auf seine Geburt zurückwarf. Für gewöhnlich schreiten die Sterblichen vom Bekannten zum Unbekannten und sind dabei Kräften unterworfen , die ihrer Herrschaft entzogen sind. Deshalb sprechen wir von „tragischen Vorkommnissen". Christus aber schritt vom Bekannten zum Bekannten, vom Grund seines Kommens, nämlich „Jesus" oder „Erlöser" zu sein, zur Erfüllung seines Kommens, nämlich zum Tod am Kreuz. Daher lag in seinem Leben keine Tragik. Tragik schließt das Moment des Unvorhergesehenen, des Unkontrollierbaren und des Unabwendbaren in sich ein. Das moderne Leben ist tragisch, wenn geistige Finsternis und untilgbare Schuld die Menschen belasten. Für das göttliche Kind aber gab es keine unkontrollierbaren Kräfte, keine Unterwerfung unter unabwendbare Fesseln, aus denen es kein Entkommen gab. Es war vielmehr ein Hineinkommen; die winzige Krippe war gewissermaßen wie ein Atom: eine verkürzte Zusammenfassung des gewaltigen Großen, des Kreuzes von Golgotha.
Bei seiner ersten Ankunft nahm er den Namen Jesus oder „Erlöser" an; bei seiner zweiten Ankunft wird er den Namen „Richter" tragen. Vor seiner Menschwerdung hat er den Namen Jesus nicht geführt. Dieser Name bezieht sich auf das, was mit seiner Gottheit verbunden wurde, nicht auf das, was von Ewigkeit her ist. Es gibt Menschen, die sagen: „Jesus lehrte", genauso wie sie etwa sagen: „Plato lehrte". Sie denken nicht im entferntesten daran, daß sein Name „Erlöser von der Sünde" bedeutet. Ein einziges Mal erhielt er diesen Namen: damit wurde Kalvaria bereits sein voller Anteil. Der Schatten des Kreuzes, der auf seine Krippe fiel, fiel auch auf seinen Namen. Das war „der Auftrag, den sein Vater ihm gegeben hatte"; alles andere gehörte dazu.
Aus:
Fulton Sheen
Das Leben Jesu
Sarto Verlag
Predigt zur Christmette am Hl. Abend