Die Heiligkeit der Madame Lefebvre
Aus der Biographie der Mutter von Erzbischof Lefebvre.
Es handelt sich für uns nicht darum, alles, was mehr oder weniger mit dem Gründer der Bruderschaft St. Pius X. zu tun hat, zu kanonisieren. Die nachfolgenden Worte über Gabrielle Watine, die Mutter Monseigneur Marcel Lefebvres, dürfen nicht dazu missbraucht werden, nachträglich alles zu einem gut geordneten Universum zu arrangieren. Sie wurden zu einer Zeit geschrieben, in der der junge apostolische Vikar von Dakar, der im Alter von 42 Jahren gerade zum Bischof geweiht worden war, ein völlig unbekannter Prälat in der Welt und sogar in Frankreich war.
In derselben Zeit, tausende von Kilometern entfernt vom Senegal, wo unser junger Prälat sein Apostolat aufbaute, hatte sich der Seelenführer seiner Mutter, Hochwürden Pater Montfortain Louis Le Crom, entschieden, das Leben seiner Anvertrauten niederzuschreiben und zu veröffentlichen, so sehr war er davon beeindruckt:
«Wenn ich nun darauf eingegangen bin, diese biographische Skizze vorzustellen, die anhand direkter und unanfechtbarer Zeugen geschrieben wurde, so deswegen, weil ich an die Heiligkeit Madame Lefebvres glaube. Natürlich dürfen wir keine Vorurteile über Entscheidungen der Kirche fällen, aber ist es uns denn nicht erlaubt, wenn wir uns der Autorität der Kirche vollständig unterwerfen, unsere Gefühle der Bewunderung für diese Seelen, die anscheinend das Ideal der christlichen Perfektion vollbracht haben, auszudrücken?»
Gabrielle Watine war das vierte von sieben Kindern in einem Spinnereihaushalt von Roubaix, der in der Enkelgeneration nicht weniger als zehn Berufungen hervorbrachte. Täglich ging sie mit großem Eifer zusammen mit ihrem Ehemann René Lefebvre zur heiligen Messe, und zweimal jährlich durchquerten sie ganz Frankreich, um sich gemeinsam mit ihren Kindern nach Lourdes zu begeben. Als Obere des Drittordens des heiligen Franziskus entwickelte sie ein Innenleben, das ihre ganze Umgebung nur staunen ließ:
«Ich konnte mehrfach ganz in der Nähe von Madame Lefebvre an der Messe teilnehmen» – erzählt eine Gläubige der Gemeinde von Notre-Dame de Tourcoing – «und ich war äußerst erstaunt über ihre Frömmigkeit und ihre innere Sammlung, vor allem nach der heiligen Kommunion; man merkte, wie sie vollkommen von Gott eingenommen war, sodass es keine Ablenkung war, sie zu betrachten, sondern ein Anruf an die Heiligkeit, die sie unbeabsichtigt um sich verbreitete.»
Bemerkenswert ist auch, wie sie mit ihrem Schicksal umgegangen ist. Während des Ersten Weltkrieges wurde sie im Rathaus von den Deutschen gefangen genommen, weil sie sich nicht damit einverstanden erklärte, in Abwesenheit ihres Gemahls den Feind im Elternhaus aufzunehmen. Als dann nach dem Krieg die Textilindustrie von einer harten Wirtschaftskrise getroffen wurde, gab sie sich Mühe, die Buchführung der Firma zu übernehmen, die ihr Gemahl leitete, ohne deswegen jedoch auf irgendeine Weise ihre familiären Pflichten zu vernachlässigen. Ihre Kraft fand sie in dem felsenfesten Vertrauen auf Gott, das sie beispielsweise in folgenden Zeilen, welche sie eines Tages an eine ihrer Töchter adressierte, bezeugte:
«Wenn ich an Dich denke, stelle ich mir Dich gerne als ein Kind vor, das sich vollständig in den Händen Gottes befindet und bereit ist, sich vollkommen der Vorsehung Gottes hinzugeben. So werde ich Dich auch voll Freude empfangen, ohne je andere Wünsche zu haben als die, die Gott für Dich bereithält.»
Ihre zahlreichen Schriftstücke bezeugen übrigens auch die tiefe Verbundenheit mit ihrem Schöpfer:
«Mein lieber Meister, ich habe nur einen Wunsch: Dich immer mehr und mehr regieren zu sehen in diesem Wesen, das Du mir gegeben hast; möge der Atem meiner Seele, die ein Teil Gottes ist, stets rein wie von göttlicher Reinheit bleiben, und möge mein Leib durch Ihn von einem ganz himmlischen Leben beseelt sein.»
Durch eine Krankheit, die ebenso schmerzvoll wie auch schnell verlief, frühzeitig an ihr Sterbebett gefesselt, umgeben von ihren drei Jüngsten, wandte sie sich folgendermaßen an ihre anderen Kinder, die durch Berufung an alle Enden der Welt verstreut waren:
«An meine fünf Ältesten: Danke für all Euren Trost. Ich bitte Euch, weiterhin für mich zu beten. Dort oben werde ich noch gegenwärtiger sein als hier auf Erden. Ich werde Euch helfen.»
Gabrielle Watine wurde am 12. Juli 1938, vor genau achtzig Jahren, von Gott abberufen, und ihr Leib ruht noch immer auf dem Friedhof von Tourcoing. René Lefebvre blieb Witwer und erwog den Eintritt in ein Benediktinerkloster, wurde jedoch, bevor er diese Absicht umsetzen konnte, von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager von Sonnenburg gebracht. Bevor er dort den Tod fand, bezeugte er erneut die Tugenden seiner verstorbenen Gemahlin gegenüber den Mitgefangenen.
(Alle Auszüge stammen aus dem Buch »Une mère de famille, Madame Gabrielle Lefebvre« von R.P. Louis Le Crom aus dem Jahre 1948, neu aufgelegt im Verlag Marchons Droit, Notre-Dame du Pointet, BP 4, 03110 Broût-Vernet)