Die heilige Passionszeit

Quelle: Distrikt Deutschland

Einführung

Ein neuer Abschnitt der heiligen Fastenzeit beginnt. Bisher lebten wir - von Septuagesima an - der Reinigung und Läuterung unseres Wesens und Lebens.

Das bezweckte die Liturgie dieser sieben Wochen. Durch die Zucht der Sinne und der Leidenschaften, durch die Entsagung, das Fasten, Beten und Almosengeben sind wir für das Große, das uns von jetzt an zu beschäftigen hat, empfänglicher geworden.

„Selig die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen", das göttlich Hehre und Heilige, das sich in den zwei Wochen der Passionszeit vor unsern Augen abspielt.

Von heute an nehmen wir ganz am Tod und an der Auferstehung des Herrn Anteil. Das ist jetzt das Wesentliche, dass wir uns von den Feiern und Geheimnissen des Leidens und Sterbens Christi vollkommen ergreifen und erfüllen lassen. Auf diese Weise gelangen wir zu den erhabenen Gütern, die uns diese Feiern zu vermitteln bestimmt sind.

Im Mittelpunkt der heiligen Liturgie steht das heilige Kreuz. Jetzt ist es an uns, das Kreuz im Sinne des Herrn schätzen, verstehen und lieben zu lernen. Denn vom Kreuze geht das Heil des Menschengeschlechtes aus. Vom Baume des Paradieses kam der Tod: vom Baume des Kreuzes kommt das Leben. Am Baume des Paradieses hat Satan den Menschen besiegt, am Baum des Kreuzes wird er besiegt durch Christus unsern Herrn (Präfation vom heiligen Kreuz). Aber nicht bloß das Kreuz Christi! Vielmehr im Kreuze des Herrn unser Kreuz, die Leiden und Bitterkeiten des Lebens verstehen, schätzen und lieben lernen! Das ist jetzt unsere Aufgabe. „Wer Mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Wer aber sein Leben um Meinetwillen verliert, der wird es finden." (Mat 16,24f)

„Alles ist für uns im Kreuze beschlossen, im Sterben. Es gibt keinen andern Weg zum Leben und zum wahren innern Frieden als den des Kreuzes und des täglichen Sich-selber-Sterbens. Je mehr einer sich selber stirbt, um so mehr beginnt er Gott zu leben. Gäbe es für das Heil des Menschen etwas Nützlicheres und Besseres als zu leiden, dann hätte Christus es durch Wort und Beispiel kundgetan." (Nachfolge Christi, II. Buch, 12. Kapitel)

Die liturgische Messfeier des Passionssonntags

Mit dem heutigen Sonntag tritt Christus in Seinem Opferleiden und Opfertod in den Vordergrund. Die Kirche geht in zartem, liebendem Verstehen und Empfinden in Sein Leiden und Sterben ein. Sie legt die Trauerkleider an. Sie verhüllt ihren Schmuck, die Kreuze und Bilder, sie unterlässt in der Feier der heiligen Messe jedes „Ehre sei dem Vater". Im Brevier wird die laufende Schriftlesung aus den Büchern Mosis unterbrochen. Statt dessen tritt der Prophet Jeremias auf den Plan, das Vorbild des leidenden Christus. „Aus dem Rachen des Löwen rette mich, Herr", so lautet der immer wiederkehrende Fleh- und Hilferuf. Die Kirche lebt ganz in der liebenden Teilnahme am Leiden und Sterben des Erlösers. Aus dieser seelischen Verfassung der Kirche heraus muss die Messliturgie der Passionszeit gewertet und miterlebt werden.

1. Gleich der Introitus versetzt uns in den Anblick des Hohenpriesters Christus am Fuße des Kalvaria. Wir sind Zeugen Seines Flehens und Seiner tiefen Beklemmung: „Schaff Recht mir, Gott, und führe meine Sache gegen ein unheiliges Volk", das mich zu verderben gedenkt. Aber wir bleiben nicht bloß Zeugen des Ringens Christi, wir wissen uns eins mit Ihm, wir mitsamt der ganzen heiligen Kirche identifizieren uns mit Ihm, wir machen Seine Not zu unserer eigenen Not und Sein Gebet zu unserem Gebet. Ein gewaltiges Rufen Christi und Seiner Kirche. das sich in den ernsten Melodien des Kyrie eleison und in der Oration zum Himmel emporarbeitet.

2. Christus tritt Seinen schweren Opfergang an. Er tritt nicht wie der Hohepriester des Alten Bundes mit dem Blut von Tieren, mit dem fremden Opferblut vor Gottes Angesicht hin, sondern im priesterlichen Ornat des eigenen Blutes, das Er bis auf den letzten Tropfen hingibt. Er bringt sich selbst als ein unbeflecktes, heiliges Opfer dar, das den Vater mit uns Menschen versöhnt und eine neue Menschheit schafft: in der heiligen Kirche (Epistel). Es ist kein leichter Gang, ein Gang voll der Qual und Seelennot. Aus ihr heraus betet Christus und beten wir mit Ihm die rührenden Worte des Graduale und Tractus. „O, Herr. errette mich von meinen Feinden" Im Evangelium umringen sie Ihn, verdächtigen und schmähen sie Ihn; ja sie heben bereits Steine wider Ihn auf. Aber „Jesus verbarg sich und ging hinweg aus dem Tempel". Ein bedeutsames Ereignis. Er verlässt die Synagoge, die Seine Person und Sein Wort ablehnt und von sich stößt, und wendet sich der Kirche des Neuen Bundes zu. Sie hört Sein Wort und wird Seines Lebens teilhaftig: „Wenn jemand Mein Wort hält, wird er den Tod nicht schauen in Ewigkeit." Die heilige Kirche, wir wollen Sein Wort halten und bejahen diesen unsern Willen in einem kräftigen „Credo — ich glaube", und ich will leben, was ich glaube. "Das tue an Deinem Knecht, dass ich lebe und Deine Gebote halte." (Offertorium)

3. Nun vollzieht Er auf unserem Altare in wirklicher, wenn schon unblutiger und geheimnisvoller Weise Seinen Erlösertod. Wir folgen Ihm. Wir teilen Seinen Todesgang in ebenso geistig-wirklicher wie geheimnisvoller, innerlich verborgener Weise. Wir erwarten und begrüßen Ihn dankbaren Herzens als unsere reine, heilige, unbefleckte Opfergabe, die wir der unendlich erhabenen Gottheit stellvertretend für uns, als Gabe des Dankes, der Huldigung, der Fürbitte, der Sühne übergeben. Aber wir tun ein Zweites. Wir lassen Ihn nicht allein vor den Vater hintreten und sich opfern. Wie Er gehen auch wir den Todesgang und treten „mit dem eigenen Blute" in das Allerheiligste ein, vor Gottes Angesicht. Wie die Substanz des Brotes und Weines aufhört zu sein, gleichsam stirbt, so hören auch wir, ein Mitopfer mit Christus geworden, auf, der alte Mensch zu sein. Wir ziehen den neuen Menschen an, wir leben neue Gedanken, verfolgen neue Ziele, leben ein neues, ganz in Christus aufgegangenes Leben. Wir sind Geopferte geworden, Gott Zugehörige, in die Welt Gottes hineingehoben, mit Christus gekreuzigt, der Sünde und jeder Ungerechtigkeit gestorben. Mit Christus ein Opfer geworden, leben wir nur mehr Gott (Röm 6,11). Als neue Menschen verlassen wir die Feierstunde der heiligen Messe. Mit Christus sind wir mit Gott in innigste Gemeinschaft getreten.



Mit Christus haben wir aus übervollem Kindesherzen unser Vaterunser gebetet, den Erguss der kindlichen Liebe und Hingebung an den Vater. „Gib uns heute unser tägliches Brot." Wie sollte Er uns in diesen heiligen Augenblicken nicht hold sein, wo wir Ihm im Mitopfer mit Christus so nahe gekommen sind? In väterlicher Herablassung schenkt Er uns als Unterpfand Seiner Freundschaft und Vatersorge den Inbegriff alles Guten, Seinen eigenen Sohn und in Ihm Sein seliges, göttliches Leben. „Das ist Mein Leib, das ist Mein Blut. Tut dies zu Meinem Andenken" (Communio), nicht äußerlich, sondern innerlich, in wahrem, geistigem, innerlichem Mitopfern, Mitsterben und Mitleben. Wir erwarten voll Zuversicht, dass das Wort des Evangeliums sich an uns erfülle: „Wenn jemand Mein Wort hält, wird er den Tod nicht schauen in Ewigkeit."

Passionssonntag.

Der Hohepriester.

1. „Iudica me — Schaff Recht mir, Gott, und führe meine Sache gegen ein unheiliges Volk. Von frevelhaften, falschen Menschen rette mich; denn Du bist ja mein Gott und meine Stärke." (Introitus) „O, Herr, errette mich vor meinen Feinden. Sie feindeten gar oft mich an von Jugend auf. Auf meinem Rücken schmiedeten die Sünder. Sie trieben ihre Bosheit lange; doch der Herr brach der Sünder Nacken." (Tractus) So betet die Kirche aus dem Herzen des Bräutigams heraus. So tief empfindet sie Seine Not und Sein Leiden mit. Er steht unmittelbar vor Seiner Passion. Schon ist Er der Gewalt Seiner Feinde ausgeliefert.

2. „Brüder! Christus erschien als Hoherpriester der künftigen Güter. Er ging in das erhabenere und vollkommenere Zelt (den Himmel) nicht mit dem Blute von Böcken und Stieren (wie der Hohepriester des Alten Bundes), sondern mit Seinem eigenen Blute ein für alle Mal in das Allerheiligste (des Himmels) ein, nachdem Er (am Kreuze) eine ewige (für ewig gültige und wirksame) Erlösung bewirkt hatte." Die Tieropfer des Alten Bundes können die Reinigung von Sünden nicht bewirken. Christi Blut aber „reinigt unser Gewissen von den toten Werken (Sünden), auf dass wir dem lebendigen Gotte dienen. Darum ist Er der Mittler des Neuen Bundes, damit durch Seinen Tod die Berufenen das verheißene, ewige Erbe erhielten durch Christus Jesus unsern Herrn." (Epistel) Jesus geht mit Seinem eigenen Blute in das Allerheiligste des Himmels ein. Anders der Hohepriester des Alten Testamentes am Versöhnungstag. Er nimmt fremdes Blut, das Blut der Opfertiere, und trägt es in das (irdische) Allerheiligste des Tempels in Jerusalem. Der Hohepriester des Alten Testamentes tut sich mit seinem Opfern nicht wehe. Anders Jesus. Er opfert alles, Seinen letzten Tropfen Blutes, unter namenlosen Verdemütigungen, Ungerechtigkeiten, innern und äußern Leiden und Qualen: im Ölgarten, an der Geißelsäule, auf dem schmerzvollen Kreuzweg, am Kreuze. Um uns, die Seinen, von der Sünde loszukaufen und uns, den Berufenen, das ewige Erbe zu sichern.

„Sie hoben Steine auf, um nach Ihm werfen. Er aber verbarg sich und ging hinweg aus dem Tempel." (Evangelium) Sie können Ihm nichts anhaben. Er ist der Stärkere. Sie glühen von Hass. Sie missdeuten Seine Worte. Er erklärt ihnen: „Ich kenne den Vater und halte Seine Werte. Abraham, euer Vater, hat frohlockt, dass er Meinen Tag sehen werde: er sah ihn (im Geiste) und freute sich. Das reizt die Gegner zum Äußersten. „Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und willst Abraham gesehen haben. Er antwortete ihnen: „Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch: Ehe Abraham ward, bin Ich." Jetzt heben sie Steine auf, um gegen Ihn zu werfen. Aber gegen Seinen Willen können sie Ihm nichts anhaben. Er geht vom Tempel hinweg. Wenn sie Ihn ergreifen, verurteilen und morden, so können sie es nur, weil und soweit Er es ihnen gestattet. Freiwillig unterzieht Er sich dem Leiden und Sterben. „Er wurde geopfert, weil Er selber es wollte." (Js 53,7) In souveräner Macht über den Willen und die Pläne Seiner Feinde bestimmt Er den Augenblick, die Art und die Dauer Seiner Passion. In der Schwachheit, in der Niederlage des Todes am Kreuze ist Er der unüberwindlich Starke, der Triumphator. „Vater, verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." (Luk 23, 34) „Wer von euch kann Mich einer Sünde beschuldigen?" (Evangelium) Als der Starke, der Sieger geht Jesus in Seine Passion ein. Als Sieger geht Er aus ihr hervor.

3. Was wir in der Passion und am Kreuz des Herrn sehen, ist nicht bloß ein menschliches Blutopfer: es ist die Erscheinung und Darstellung des Göttlichen, mitten im zerbrechlichen und zerbrochenen Leibe des Gekreuzigten, mitten im Trauerspiel menschlicher Verblendung und Leidenschaft. Da ist nichts vom Geräusch des irdischen Martyriums, kein sich brüstendes Heldenbewusstsein, kein Groß- und Wichtigtun, keine Sensation, keine Menschenverachtung, kein Hass, nichts vom Krampf des eigenen Erlebens und Leidens, der die Seele gegen außen verschließt: nur der friedvolle Sieg der Liebe des Erlöserherzens über die Leidenschaft, Schwäche und Blindheit der Menschen. Das Herz des Gekreuzigten strömt zu uns über: „Vater, verzeihe ihnen." Es ist Friede geschlossen. Der Sieg des Göttlichen im Tode des Gottmenschen! „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn." (Mk 15,39)

„In Seinem eigenen Blute", aus göttlich inniger, starker Liebe zur Menschenseele, zu meiner Seele.

Und wir? Die Kirche verhüllt heute das Kreuz. Sind wir vielleicht nicht mehr wert, es anzuschauen? Sind vielleicht auch wir Seine Feinde und antworten wir auf Seine Liebe, auf Seine Wunder, auf Sein Blut, mit Steinen? Er hat für die Seelen Seiner Brüder Angst ausgestanden bis aufs Blut, sich geißeln, mit Dornen krönen, kreuzigen lassen, und uns lässt die Not der Andern so kalt. Was liegt uns an einer Seele? Wenn wir ein wenig für sie gebetet, wenn wir sie mit armseligen Worten getröstet, wenn wir ein paar Schritte für einen Bedrängten getan, ihn bei einer Caritasstelle empfohlen haben, dann sind wir zu Ende. Und Er? Er hat grausame Geißeln auf sich genommen; Er hat die Dornenkrone getragen. Er hat das schwere Kreuz geschleppt. — Und wir? Wir pflegen unsern Leib so sorglich, als wäre er unser Alles und Letztes; wir wollen um unser Haupt immer einen Kranz von Rosen und Lorbeer tragen und sind unglücklich, ungeduldig, wenn wir dem Kreuzträger Christus auch nur ein Splitterchen Seines Kreuzes nachtragen sollen, das liegen geblieben ist. Sind wir wirklich eines Geistes mit Ihm, das gleiche wollend und nicht wollend, Seine Freunde? Sind wir nicht vielmehr das Gegenteil? Er lebt nur für Gott und für die andern, für uns Sünder, für mich. Und wir leben für uns selbst, unseren Wünschen, unseren Leidenschaften!

Christus und Seine Glieder sind eins. Sie gehen den gleichen Weg, den Weg der Passion. Nicht bloß in der liturgischen Feier, in erhebenden Gedanken und Feiern, sondern im Alltag, in der rauhen Wirklichkeit des Lebens. Christus sucht die Passion auf. Er wählt sie freiwillig! Hier bewährt sich Sein Geist, Seine Lehre. Er flieht die raue Seite des Lebens nicht. Er macht das Leiden in uns, Seinen Gliedern, dem Leben des Geistes dienstbar, der Loslösung von der Erde und von dem Zeitlichen, der Erhebung über das Gegenwärtige und Egoistische zum Ewigen, zum einen Notwendigen.

Jetzt ist die Zeit, in der wir anfangen sollen, das Kreuz, das Leiden zu schätzen und zu lieben. Im Kreuz, im Leiden, im Mitgekreuzigtwerden mit dem Herrn ist unser Heil. Im vollen Ja zu allen Ungerechtigkeiten, die uns persönlich zugefügt werden, zu den täglichen Unannehmlichkeiten, Widerwärtigkeiten, Krankheiten, Mühen, Opfern und Überwindungen. Es fehlt uns der tiefe Glaube. Darum wandeln wir, Gott sei es geklagt, „als Feinde des Kreuzes Christi" (Phil 3,8). Wir fliehen das Leiden, das Kreuz, und sollten es schätzen, lieben, freudig empfangen wie der Herr.

Gebet

Wir bitten Dich, allmächtiger Gott, sieh gnädig auf Deine Familie herab, damit durch Deine Freigebigkeit ihr leibliches Leben Führung und ihr geistiges Leben durch Deine Obhut Schutz habe. Durch Christus unsern Herrn. Amen.

Es ist recht und heilsam, Dir immer und überall Dank zu sagen, allmächtiger Vater, ewiger Gott. Dein Wille war es, dass vom Kreuzesholze das Heil des Menschengeschlechtes ausgehe. Von einem Baume kam der Tod, von einem Baume sollte das Leben erstehen. Der am Holze siegte (Satan im Paradiese), sollte auch am Holze besiegt werden durch Christus unsern Herrn (Präfation vom heiligen Kreuz).