Was haben Gesundheit und Berufungen gemeinsam?

Von Pater Stefan Pfluger
Wir wissen, dass die Gesundheit sehr wichtig ist. Wir wissen, dass wir entsprechend leben sollten. Aber unser Alltag sieht oft anders aus! Wir sollten weniger essen, essen aber mehr, als uns guttut. Wir sollten uns gesünder ernähren, essen aber das, worauf wir Lust haben. Wir sollten uns mehr bewegen, dennoch überwinden wir uns nicht und sitzen bequem herum.
Die Gesundheit ist uns zwar grundsätzlich und theoretisch sehr wichtig. Aber konkret und praktisch ist sie uns doch nicht so wichtig. Sonst würden wir ja anders handeln.
Mit der Frage der Berufungen verhält es sich genauso. Grundsätzlich und theoretisch wissen wir: Es braucht Berufungen und das Gebet um Berufungen ist wichtig. Aber konkret und praktisch nehmen wir dieses Anliegen nicht genug ernst. Unsere Einsicht prägt nicht unser Handeln. Wir sind nicht konsequent.
Es ist jetzt der Zeitpunkt, unsere konkrete und praktische Haltung zur Frage der Berufungen zu überdenken. Diese stellt sich als eine Frage der Notwendigkeit dar, als eine Frage der Dringlichkeit und der Verantwortung.
Die Frage der Berufungen – eine Frage der Notwendigkeit
Gott wollte die Erlösung der Menschen auf eine wunderbare Art bewirken: Die zweite göttliche Person wird Mensch – Jesus Christus – und sühnt durch ihr Leiden alle Sünden aller Menschen aller Zeiten. Dabei sieht Gott vor, dass die von Christus verdienten Gnaden durch die Vermittlung von Menschen den Seelen zufließen. Diese menschlichen Vermittler der Gnade sind die Priester der Kirche, denen Christus Anteil an seinem Priestertum gibt. Wir sind daher auf das Wirken der Priester absolut angewiesen: Ohne Priester gäbe es keine Messe. Ohne Priester gäbe es keine Kommunion. Ohne Priester gäbe es keine Beichte. – Ohne Priester wären wir verloren!
Wenn wir so sehr auf die Priester angewiesen sind, dann müssen wir für Berufungen beten. Denn es ist schwierig, eine Berufung zu erkennen. Und es ist noch schwieriger, der erkannten Berufung treu zu folgen!
Was für Priesterberufungen gilt, kann man auch auf Ordensberufungen anwenden. Ordensleute bereiten durch ihre Opfer und ihr unablässiges Gebet dem Wirken der Priester den Boden.
Die Frage der Berufungen – eine Frage der Dringlichkeit
Das aktuelle Durchschnittsalter der Priester unserer Bruderschaft im deutschen Distrikt beträgt 53 Jahre! Die ältesten Priester sind schon längst im Pensionsalter. Andere sind krank oder geschwächt. Immer mehr Priester können nur noch teilweise oder gar nicht mehr ihre bisherigen Aufgaben erfüllen. Es werden immer mehr Neupriester allein schon dazu benötigt, die entstandenen Lücken zu füllen und das bisherige Apostolat weiterzuführen. Und was ist mit der seelsorglichen Betreuung der neu zu uns stoßenden Gläubigen?
Wir bräuchten immer noch mehr Berufungen. Die Wirklichkeit sieht leider anders aus: In den 1980er-Jahren wurden in der Priesterbruderschaft St. Pius X. 36 junge Männer aus Deutschland zum Priester geweiht. In den 1990er-Jahren waren es 21 Weihen. In den 2000er-Jahren gab es noch elf Neupriester aus Deutschland. In den 2010er-Jahren sind es nur noch acht Neupriester! Es ist also ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Wenn diese Tendenz nicht umgekehrt werden kann, werden die Oberen der Priesterbruderschaft gezwungen sein, das Apostolat einzuschränken und das „Angebot“ zu verringern.
Wenn wir eine gewisse Sicherheit haben wollen, dass wir an unserem Lebensabend auf eine ausreichende priesterliche Betreuung zählen können und nicht ohne priesterlichen Beistand sterben müssen, ist es höchste Zeit, die Gebete um Berufungen zu intensivieren – oder damit zu beginnen!
Die Frage der Berufungen – eine Frage der Verantwortung
Es ist erschütternd, wenn die Zahl der Berufungen so abnimmt, wenn in zehn Jahren aus 45 Mess-Zentren Deutschlands nur acht Neupriester hervorgehen. Angesichts dieser Zahlen schrillen die Alarmglocken! Das sind viel zu wenig Berufungen!
Vielleicht fragen wir uns, warum uns die Frage der Berufungen bisher nicht stärker vor Augen stand oder am Herzen lag. Was könnten die Gründe sein?
Ein erster Grund ist wohl der, dass wir geistlich gut versorgt sind. Wir haben ein relativ gutes Angebot. Ein weiterer Grund dürfte die Übersättigung an äußerlichen Gütern sein. Wer im Wohlstand lebt, empfindet weniger Hunger nach den geistlichen Gütern. Aus diesem Grund wird auch das vorhandene Angebot an geistlicher Nahrung und seelsorglicher Betreuung weniger genutzt, als es möglich und wünschenswert wäre.
Mit andern Worten: Wir sind satt, wir haben, was wir wollen! Dabei übersehen wir, dass unser „Besitz“ auch eine Verantwortung mit sich bringt. Was ich damit meine, möchte ich erklären:
Unser Eigentum haben wir selbst erworben oder von anderen Menschen erhalten. Aber letztlich haben wir alle unsere Güter von Gott bekommen, dem Geber aller Gaben. Gott gibt uns diese Gaben nicht nur für uns, sondern auch für die Anderen. Wir sind immer Teil einer Gemeinschaft, sei es der Familie, der Kirche oder des Staates. Und so haben wir nicht nur für uns, sondern auch für die Anderen zu sorgen. Besitz – auch geistlicher – bedeutet immer auch Verantwortung. Niemand von uns wird einmal darüber beurteilt werden, was er besessen hat, sondern wie er mit seinem Besitz umgegangen ist, ob er ihn in den Dienst der Nächstenliebe gestellt hat.
Wenn wir also in unserem geistlichen „Schlaraffenland“ sitzen mit dem riesigen Angebot an geistlichen Gütern und dabei den Blick und die Sorge verlieren für diejenigen, die das nicht haben, und für die kommenden Generationen – dann nehmen wir unsere Verantwortung nicht wahr! Gerade weil wir Zugang zu so vielen Messen, Vorträgen etc. haben, haben wir eine Mitverantwortung für das geistliche Wohl der Menschen anderer Länder, die dringend nach Priestern verlangen, aber keine bekommen (weil sie hier bei uns wirken)! Das Heil dieser Menschen muss uns am Herzen liegen! Wir müssen tätig werden, damit es mehr Berufungen gibt.
Damit sind wir wieder bei der eingangs gestellten Frage angelangt: Was haben Gesundheit und Berufungen gemeinsam? – Ihnen gemeinsam ist die Gefahr, dass wir nicht konsequent sind. Es ist mit den Berufungen wie mit der Gesundheit: Es genügt nicht, wenn sie uns grundsätzlich und theoretisch wichtig sind! Nein! Gebet und Opfer, um dem Mangel an Berufungen abzuhelfen, müssen konkret und praktisch ein Anliegen sein, das uns prägt, das uns interessiert, das uns leitet und begleitet!