Festgewurzelt im Glauben, freudig in der Hoffnung, glühend in der Liebe

Der hl. Franz von Sales hat uns mit seinen Predigten durch die Fastenzeit begleitet. Zum Abschluss dieser Reihe möchten wir den großen Heiligen noch ein letzes Mal zu Wort kommen lassen, dieses Mal mit einer Osterpredigt:
Ohne Zweifel war in der Arche Noachs die Freude sehr groß, als die Taube, die kurz zuvor fortgeflogen war, um den Zustand der Erde zu erkunden, schließlich mit dem Ölzweig im Schnabel zurückkam, als sicheres Zeichen dafür, dass die Flut zurückgegangen war und dass Gott der Welt wieder den Segen Seines Friedens geschenkt hat.
Mit welchem Jubel aber, o Gott, mit welcher Fröhlichkeit und Freude wurde die Schar der Apostel erfüllt, als sie den Erlöser nach der Auferstehung in ihre Mitte zurückkehren sahen, der in Seinem Mund den Ölzweig eines heiligen und willkommenen Friedens trug: Friede sei mit euch! Er zeigte ihnen die untrüglichen Zeichen der Wiederversöhnung der Menschen mit Gott: Er zeigte ihnen Seine Hände und seine Füße.
Ohne Zweifel waren ihre Seelen nun ganz vom Trost erfüllt: Die Jünger freuten sich, als sie den Herrn sahen. Aber diese Freude war nicht die wichtigste Wirkung dieser heiligen Erscheinung: ihr schwankender Glaube wurde gefestigt, ihre schüchterne Hoffnung wurde gesichert und ihre fast erloschene Liebe wurde neu entfacht.
„Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei; das Größte aber unter ihnen ist die Liebe“. Der Glaube für den Verstand, die Hoffnung für das Gedächtnis, die Liebe für den Willen. Der Glaube ehrt den Vater, denn er stützt sich auf die Allmacht; die Hoffnung ehrt den Sohn, denn sie ist gegründet auf Seine Erlösung; die Liebe ehrt den Heiligen Geist, denn sie umfängt und liebt die Güte. Der Glaube zeigt uns die Glückseligkeit, die Hoffnung läßt uns nach ihr streben, die Liebe bringt uns in ihren Besitz. Alle drei sind notwendig, uzw. für jetzt, denn im Himmel bleibt nur die Liebe. Der Glaube geht nicht in den Himmel ein, denn dort schaut man alles; die Hoffnung noch weniger, denn man besitzt dort alles. Nur die Liebe hat dort ihren Platz, um Gott in allem, durch alles und mit allem zu lieben…
Unser Herr will nichts anderes, als uns diese drei Lehren gut einzuprägen: wie man glauben, hoffen und lieben muß. Das tut Er vor allem in diesen vierzig Tagen, in denen Er nach der Auferstehung mit Seinen Aposteln verkehrt.
Fürs erste: Die Jünger waren in einem Saal versammelt und hatten aus Furcht vor den Juden die Türen fest verschlossen. Der Heiland tritt ein, grüßt sie und zeigt ihnen Seine Hände und Seine Füße. Warum das?
1. Um ihren Glauben zu festigen. Ach, wie war ihr Glaube erschüttert! Die arme Magdalena war ihn unter den Toten suchen gegangen und wollte Ihn einbalsamieren; nun glaubte sie, daß man Ihn geraubt habe. Die Apostel waren in einer Verfassung, dass sie die Kunde für leeres Gerede hielten; sie glaubten ihnen nicht, nämlich den Frauen, die Botschaft, die sie von den Engeln erfahren hatten. Die beiden Pilger (Emmausjünger, Anm.) sagten: Wir hatten gehofft. Der große hl. Thomas rief aus: Ich kann nicht glauben! Um also diesen Glauben zu festigen, dem der Untergang drohte, kam Er und sagte: Friede sei mit euch; und er zeigte ihnen Seinen Leib... So hat Er den Glauben in das Herz der Apostel und in das unsere gebracht…
2. Die Hoffnung. Nun, ihre Hoffnung war schwach: „Wir hatten gehofft“. Sie fürchteten sich. Die Hoffnung ist der Furcht entgegengesetzt. Sie trauerten und weinten, sagt der hl. Markus. Es ist eine ernste Sache, wenn man von Gott getrennt ist. Man ist ängstlich, man verliert die Kraft. So war es bei den Aposteln, so war es bei Magdalena. Wie ein Schiff ohne Lotsen und ohne Steuermann im Unwetter und Sturm zerschellt oder vom Wind getrieben wird, so war dieses arme Schifflein ohne Hoffnung.. Aber Unser Herr kommt, um Hilfe zu bringen, an diesem Ort, der von der Furcht belagert ist: Seht Meine Hände und Meine Seite!
3. Die Liebe. Er nimmt unser Elend und adelt es; er legt unser Elend auf Sein Herz: Er zeigte Seine Seite. Schenken wir Ihm also wieder Liebe, sonst wird Er, der uns Seine Wunden aus Liebe zeigt, sie uns eines Tages in Zorn und Entrüstung zeigen…
Gütiger Jesus, gib, daß wir den Frieden annehmen, den Du bringst, und laß uns Deine Wunden sehen. Und da der Glaube, die Hoffnung und die Liebe bleiben, mögen wir, festgewurzelt im Glauben, freudig in der Hoffnung, glühend in der Liebe, das beseligende Ziel unserer Hoffnung, Deine Ankunft erwarten. Gib, daß wir dabei zur Rechten Dich als Lamm sehen, nicht als Löwen zur Linken. Gib, daß wir anstelle des Glaubens das Schauen, anstelle der Hoffnung den Besitz und anstelle der unvollkommenen Liebe die vollkommene Liebe besitzen, deren wir uns in alle Ewigkeit erfreuen werden. Amen.
Auszug aus einer Predigt des hl. Franz von Sales zum Osterdienstag, Annecy, Frankreich, 12. April 1594