Fatima: Gebet und Opfer

Quelle: Distrikt Deutschland

Zum Rosenkranzmonat Oktober

Von Pater Gerd Heumesser

Die Muttergottes in Fatima hat zwei Bitten vorgetragen: Die Menschen sollen den Rosenkranz beten und Opfer bringen zur Wiedergutmachung für die Beleidigungen. Es stellen sich zwei Fragen: Erstens: Was heißt Wiedergutmachung? Zweitens: Was ist ein Opfer?

Im Buch Genesis (32) lesen wir, wie Jakob seinen Bruder Esau schwer beleidigt hat. Jakob stahl seinem Bruder den Segen. Er ging zu ihrem alten Vater Isaak hinein und sagte zu ihm: Ich bin Esau, dein Erstgeborener. Gib mir den Segen, der dem Erstgeborenen zusteht. Isaak segnet ihn reichlich. Jakob hat Esau weggenommen, was Esau zugestanden hätte. Als Esau das erfährt, ist er schwer beleidigt, so beleidigt, dass er Jakob töten will. Jakob flieht vor ihm. Erst Jahre später traut sich Jakob wieder zurückzukehren. Er will die Beleidigung wiedergutmachen, die er ihm zugefügt hat. Darum schickt er Knechte voraus mit Geschenken für Esau. Die Heilige Schrift zählt genau auf, was er ihm schenken will: 200 Ziegen und 20 Ziegenböcke, 200 Schafe und 20 Widder, 30 Kamelstuten, 40 Kühe und 10 Stiere, 20 Eselinnen und 10 Eselhengste. Jakob sagt zu den Knechten: Wenn Esau fragt, was das soll, dann antwortet ihm: Ein Geschenk soll es sein für meinen Herrn Esau.

Jakob hoffte, dass Esau sich so über diese reichen Geschenke freut, dass er sich denkt: Mein Bruder hat mich schwer beleidigt, als er mir den Segen geraubt hat; durch diese Geschenke aber hat er mir eine riesig große Freude gemacht, das gleicht sich aus; wir sind quitt.

Das ist Wiedergutmachung: Dem, der den anderen beleidigt hat, wird etwas weggenommen. Dem, der beleidigt wurde, wird etwas gegeben. Beides gleicht sich aus.

Wir Menschen haben Gott beleidigt. Wir haben ihm weggenommen, was ihm zusteht: seine Ehre. Durch unsere Sünden haben wir ihn verunehrt, ihn nicht ernst genommen. Wiedergutmachen heißt, ihm jetzt etwas zu geben, was die Beleidigung ausgleicht. Streng genommen ist das unmöglich. Wir können Gott nie so viel geben, dass wir quitt sind. Wir können nicht wirklich genugtun.

Christus hat das für uns erledigt. Er hat für uns genuggetan. Er hat sich am Kreuz dem Vater dargebracht. Er hat sein Leben hingegeben, um die Sünden der Menschen wiedergutzumachen. Sein Tod war ein Opfer, das heißt eine Tat, die die Beleidigungen Gottes sühnen will. Die Menschen sind Gott ungehorsam, wenn sie sündigen. Christus war dem Vater gehorsam bis zu Tod, das gleicht sich aus. Die Menschen genießen unerlaubte Vergnügen, wenn sie sündigen; Christus hat Ungeheures gelitten: Das gleicht sich aus. Die kleinen, vergänglichen Menschen haben den unendlichen Gott beleidigt; Christus, der Gott-Mensch hat den Vater geehrt: Das gleicht sich aus.

Opfer

An dieses Opfer Christi können wir uns anschließen mit unseren kleinen täglichen Opfern. Diese ahmen das große Opfer Christi nach. Christus hat am Kreuz auf etwas verzichtet. Er hat etwas hergegeben, nämlich sein Leben. Dadurch hat er dem Vater etwas geschenkt: Ehre und Verherrlichung. Paulus sagt: Christus hat sich für uns hingegeben als Opfer, Gott zum lieblichen Wohlgeruch (Eph 5,2). Jedes Mal, wenn wir auf etwas verzichten, um dadurch Gott zu ehren, folgen wir dem Beispiel Christi.

Ein Opfer ist das Gegenteil der Sünde. Wenn wir sündigen, nehmen wir mehr, als uns erlaubt ist: mehr Vergnügen, mehr Ansehen, mehr Eigentum, als uns zusteht, und beleidigen dadurch Gott. Wenn wir ein Opfer bringen, verzichten wir auf etwas: auf einen Genuss, eine Bequemlichkeit … Dadurch ehren wir Gott und machen die Beleidigung wieder gut.

Ein Wesensmerkmal des Opfers ist also der Verzicht: Wir entziehen uns etwas. Es muss aber noch ein Zweites dazukommen. Wer ärgerlich und mürrisch auf etwas verzichtet, macht damit Gott keine Freude. Zum Opfer gehört die Liebe dazu. Nur wer aus Liebe verzichtet, macht Gott Freude. Die Liebe macht uns zu Freunden Gottes. Von einem Freund verlangt man nicht, dass er immer alles genau ausgleicht. So verlangt Gott von uns nicht, dass wir wirklich so große Sühne leisten, wie es unsere Sünden verlangen würden. Er ist mit unseren kleinen Opfern zufrieden. Alles andere hat ja Christus für uns getan. Die Liebe macht also unsere kleinen Opfer groß in den Augen Gottes.

Andererseits genügt die Liebe allein ebenso wenig wie der Verzicht allein. Wer aus Liebe zu Gott an einem Festessen teilnimmt, der tut ein gutes Werk und sammelt Verdienste, aber er bringt dadurch kein Opfer und leistet keine Sühne, denn der Verzicht fehlt. Es braucht also beides: den Verzicht und die Liebe zu Gott.

Heißt das also, dass wir uns immer wieder ausdenken müssen, auf was wir verzichten könnten? Nein, denn jeder Tag bringt irgendetwas Lästiges mit. Sei es die Hitze oder das Unwetter oder eine Krankheit oder der Spott der Kollegen. Dieses Unangenehme können wir nutzen, um daraus Opfer zu machen. Thomas sagt: So können wir aus der Not eine Tugend machen (Summa Suppl. 15.2). Allerdings nur unter einer Voraussetzung: wir müssen das Widerliche geduldig ertragen. Dann wird es unser Eigentum und wir können es aufopfern und damit Wiedergutmachung leisten für unsere Sünden. Wer dasselbe widerwillig trägt, der sühnt nicht nur nicht, sondern wird noch schlechter durch seine Ungeduld. Augustinus vergleicht die Widerwärtigkeiten mit einem Feuer: Im selben Feuer wird das Gold glänzend und die Spreu verraucht (Civ. Dei. 1.8). Und Thomas kommentiert: So werden durch dieselben Schicksalsschläge die Guten gereinigt und die Bösen durch ihre Ungeduld noch schlechter (a.a.O. ad 2).

So sind zum Opfer-Bringen also nur zwei Dinge nötig: die Liebe zu Gott und das geduldige Ertragen der täglichen Widerwärtigkeiten.