Fatima – 13. August 1917
Am 13. August war eine Menschenmenge von über 20’000 Personen in der Cova da Iria zusammengekommen. Am Morgen kam der Bezirksvorsteher von Vila Nova de Ourem zusammen mit dem Priester einer naheliegenden Großstadt mit seinem Wagen zum Haus von Francisco und Jacinta. Er gab vor, an die Erscheinungen zu glauben und zum Schutz der Kinder gekommen zu sein.
Zuerst brachte er sie zusammen mit dem Priester zum örtlichen Pfarrhaus, wo der Gemeindepriester die Kinder in seiner Gegenwart noch einmal verhörte. Nach der Befragung gab der Bezirksvorsteher vor, nun überzeugt zu sein und lud die Kinder ein, sie zu ihrer Sicherheit zum Erscheinungsort zu fahren. Doch anstatt sie zur Cova da Iria zu bringen, fuhr er zu seiner Stadt Ourem zurück. Als sie ankamen, schloss der Bezirksvorsteher sie in einem Zimmer ein und erklärte, dass sie erst herausgelassen würden, wenn sie das Geheimnis verraten hätten.
Unterdessen warteten die Menschen in der Cova da Iria umsonst auf die Ankunft der Kinder. Jemand verkündete, dass der Bezirksvorsteher sie entführt hatte.
Die Augenzeugin Maria Carreira berichtete: „Ich weiss nicht, was passiert wäre, wenn wir nicht den Donnerschlag gehört hätten. Viele Menschen waren erschrocken, und manche fingen an zu schreien, dass sie sterben müssten. Alle liefen schnell vom Baum weg, auf dem Unsere Liebe Frau schon drei Mal erschienen war, doch natürlich musste niemand sterben. Nach dem Donnerschlag kam das Blitzlicht und dann sahen wir eine sehr kleine weiße Wolke. Sie verweilte einige Augenblicke über dem Baum, erhob sich dann in die Luft und verschwand.“ Die Mehrheit der Pilger bestätigt diese Szene. Die Menschen sagten zueinander: „Bestimmt ist Unsere Liebe Frau gekommen! Wie schade, dass sie die Kinder nicht sehen konnte!“
Inzwischen wurden die Kinder ununterbrochenen Verhören ausgesetzt, insgesamt neun. Erst am 14. August wurden die Kinder getrennt befragt und von einem Arzt untersucht, aber ohne Ergebnis. Deshalb entschied sich der Bezirksvorsteher, stärkere Waffen anzuwenden: Er ließ die Kinder ins öffentliche Gefängnis bringen. Jacinta litt furchtbar unter der Trennung von ihren Eltern. Francisco tat es am meisten weh, die Verabredung mit Unserer Lieben Frau versäumt zu haben. Die Gefangenen waren sehr nett zu den Kindern und versuchten sie zu trösten. Sr. Lucia schreibt in ihren Memoiren: „Als nächstes entschieden wir, den Rosenkranz zu beten. Jacinta nahm die Medaille, die sie um den Hals trug, ab und bat einen Gefangenen, diese an einem Nagel an der Wand aufzuhängen. Vor dieser Medaille kniend begannen wir zu beten. Die Gefangenen beteten mit uns. [...] Später begann Jacinta, die während der Verhöre nicht geweint hatte, doch wieder zu schluchzen, als sie an ihre Mutter dachte. ‚Jacinta’, fragte ich, ‚möchtest du dieses Opfer nicht unserem Herrn darbringen?’ ‚Ja, das will ich, aber ich muss immer an meine Mutter denken und kann nicht aufhören zu weinen.’ … Plötzlich erschien eine Wache und rief Jacinta mit furchterregender Stimme zu: ‚Das Öl ist jetzt heiss! Verrate das Geheimnis, wenn du nicht lebendig gebraten werden willst!’
‚Ich kann nicht.‘
‚So? Du kannst nicht? Dann werde ich dich lehren, wie das geht! Mitkommen!’
Sie ging sofort mit, sogar ohne uns ‚Auf Wiedersehen’ zu sagen. Darauf vertraute mir Francisco voll innerer Freude und in tiefem Frieden an: ‚Wenn sie uns töten werden, wie sie sagen, werden wir schon bald im Himmel sein! Wie wunderbar! Nichts anderes zählt!’ Dann, nach einem Augenblick der Stille, sagte er: ‚Gebe Gott, dass Jacinta sich nicht fürchtet. Ich werde noch ein Ave Maria für sie beten!’”
Kurz darauf holte der Wächter auch Francisco, dann Lucia. Jedes Mal fand das gleiche Szenario statt. Der Bezirksvorsteher sprach eine dritte Drohung aus. Alle drei sollten zusammen im Öl sieden. Dennoch verriet keiner das Geheimnis, noch erhielt er irgendeine andere Art von Eingeständnis.
Am nächsten Morgen wurden die Kinder nach einer letzten Befragung nach Fatima zurück gebracht. Jedermann war sehr gegen den Bezirksvorsteher aufgebracht und ebenso gegen den Gemeindepfarrer; denn immerhin wurden die Kinder entführt, als sie sein Pfarramt verliessen. Letzterer schrieb, als er die Betrügerei des Bezirksvorsteher durchschaute, eine öffentliche Erklärung, dass er nichts mit „der abscheulichen und frevlerischen Tat“ zu tun hatte, „die durch die plötzliche Entführung von drei Kindern ausgeübt wurde“. Dank seines öffentlichen Briefes wurden die Ereignisse von Fatima zum ersten Mal in der katholischen Presse veröffentlicht.