Exerzitien: „Eine Elite von glühenden Seelen heranbilden!“
Interview mit Pater Franz Schmidberger
Seine Exerzitien haben einen wesentlichen Beitrag zur Gegenreformation geleistet und auch heute noch profitieren Gläubige und solche, die sich auf der Suche nach Gott und sich selbst befinden, von den geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola (1491–1556). Anlässlich seiner Bekehrung 1521 begeht die Kirche von Mai 2021 bis Juli 2022 ein Gedenkjahr, das seine Bekehrungsgeschichte und die Geschichte der Exerzitien nachzeichnet. Für das Apostolat der Priesterbruderschaft St. Pius X. spielen die Ignatianischen Exerzitien eine zentrale Rolle. Mit fsspx.de sprach Pater Franz Schmidberger, der diese Exerzitien selbst seit Jahrzehnten predigt, über die Bekehrung des hl. Ignatius, die Entstehung der Exerzitien und ihren Wert für Kirche und Gläubige.
Hochwürdiger Pater Schmidberger, neben den Schulen gehören die Exerzitien zum Kern des Apostolats der Priesterbruderschaft St. Pius X. Warum ist das so?
Die Antwort ist einfach: Weil nur katholische Persönlichkeiten eine christliche Gesellschaft neu aufbauen können, und weil solche Persönlichkeiten als Kinder und Jugendliche in katholischen Schulen und als Erwachsene in Exerzitienkursen geformt werden. Die Erneuerung kommt in der Tat weder von der Wirtschaft und den Banken noch von den Massenmedien und der Vergnügungsindustrie, sondern von den unverrückbaren Prinzipien des Naturrechts, der christlichen Soziallehre und vor allem des katholischen Glaubens. Um diese zu vermitteln, bedarf es des Abstandes vom Lärm der Welt, vom Fernsehen und dem Smartphone, um in Stille, Gebet und Nachdenken zum Wesentlichen des Lebens vorzustoßen. Wie könnte man auch anders eine kleine Elite von glühenden Seelen heranbilden, die Sauerteig in einer säkularen Welt sind?
Worin liegt die besondere Bedeutung der Exerzitien – für die Kirche und den einzelnen Teilnehmer?
In den Exerzitien geht es um das Erfassen der Geistigkeit der Seele, um ein Bewusstwerden des Ernstes des Taufversprechens, um ein Verstehen des Sinnes des Lebens, um die Erkenntnis, welchen Platz mir Gott seit ewigen Zeiten in Kirche und Gesellschaft zugedacht hat, um mein Ziel zu erreichen, um andere Menschen zu diesem Ziel zu führen und die Gesellschaft mit christlichen Gedanken zu durchdringen: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Was ist der Sinn meines Lebens? Wozu hat Gott mich geschaffen und in diese heutige Welt des 21. Jahrhunderts gestellt?
In einigen Wochen endet das Gedenkjahr, das an die Bekehrung des hl. Ignatius von Loyola vor 500 Jahren erinnert. 1521 traf ihn eine französische Kugel bei der Schlacht von Pamplona, 1522 ging er nach Manresa. Können Sie ein paar Worte zur Bekehrung des hl. Ignatius sagen?
Bei der Schlacht von Pamplona zerschmetterte ein Geschoss den Unterschenkel des Ignatius. Zum beschwerlichen und auch schmerzhaften Heilungsprozess wurde er auf das väterliche Schloss von Loyola gebracht, wo er zunächst seine Phantasie mit Berichten über Heerführer und Schlachten nährte, bis die Literatur ausging. Da brachte ihm sein Bruder zwei religiöse Bücher, darunter das Leben Jesu, geschrieben von einem Karmeliten, die ihn anregten, sein Leben hinfort in den Dienst des Christkönigs und des Aufbaus Seines Reiches zu stellen. Als Ignatius wieder einigermaßen gehen konnte, machte er sich zu einer Wallfahrt nach Montserrat auf, um seine Waffen zu Füßen der Muttergottes niederzulegen und eine lang dauernde umfassende Generalbeichte abzulegen. Dann begab er sich nach Manresa, einem kleinen Städtchen nördlich von Barcelona, wo er sechs Monate lang mit sich selber über seine Zukunft rang und dabei die höchsten Höhen und die tiefsten Tiefen des geistlichen Lebens erfuhr. Die Frucht dieses sechsmonatigen Kampfes ist das Exerzitienbuch, von dem man sagt, die Muttergottes habe ihm dieses eingegeben für die Geisteskämpfe der modernen Zeit, die ungefähr mit dem Auftreten des Protestantismus und der katholischen Restauration begann.
Wie geht es mit der Entstehungsgeschichte der Exerzitien weiter?
Ignatius begab sich nun zu einer Wallfahrt nach Rom und in das Heilige Land. Als er von dort zurückkehrte, waren ihm drei Dinge klar geworden: Erstens wollte er als Priester der Kirche dienen, zweitens konnte er nicht allein kämpfen, sondern brauchte Gefährten. Und drittens muss man, um die anstehenden Glaubenskämpfe auszufechten, besser ausgebildet sein als der Gegner. So drückte er wieder die Schulbank, um sich auf das Universitätsstudium vorzubereiten, das er zunächst in Spanien, dann in Paris absolvierte, während er bereits Gefährten um sich sammelte. Zu siebt stiegen die Glaubensgefährten am 15. August 1534 auf den Montmartre, um dort die klassischen Ordensgelübde abzulegen: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Als viertes Gelübde fügten sie hinzu, in das Land der Mauren zu gehen, um diese für Christus zu gewinnen; würde dies nicht gelingen, dann würden sie sich bedingungslos dem Papst zur Verfügung stellen. Sie machten sich also auf nach Italien, wo sie feststellen mussten, dass alle Häfen für eine Überfahrt nach Kleinasien geschlossen waren. So begab sich Ignatius nach Rom und legte Papst Paul III. (1534–1549) seine inzwischen ausgearbeiteten Statuten vor. Der Papst approbierte sie. Damit war der Jesuitenorden geboren. Nun begann die Arbeit, zunächst in Italien, mit der normalen Seelsorge durch Predigen, Beichthören und das Begleiten einzelner Männer, die in den Jesuitenhäusern dem Exerzitienbuch in dreißigtägiger Einkehr folgten. Außerdem wurden Volksmissionen gepredigt, die nur die erste Woche der dreißigtägigen Exerzitien zum Inhalt hatten. Aus diesen Exerzitien und Volksmissionen baute sich der Jesuitenorden mit den gewonnenen Berufungen auf.
Wie kamen die Exerzitien dann von den Jesuiten zur Piusbruderschaft?
1883 wurde in Barcelona in der sehr katholischen Familie Vallet ein Knabe geboren, Paul Maria, den die Eltern bei den Schulbrüdern auf die Schule schickten und anschließend aufs Kolleg zu den Jesuiten. Nach Überwindung einiger Unsicherheiten trat dieser bei den Jesuiten ein und reifte zu einem begnadeten Exerzitienprediger heran. 1928 gründete er seine eigene Gesellschaft, die Coopérateurs Paroissiaux du Christ Roi („Pfarrei-Mitarbeiter des Christkönigs“ – CPCR), und fand nach vielen Umwegen und Prüfungen für diese eine Heimstatt in der Diözese Valence, zwischen Marseille und Lyon gelegen, wo er in Chabeuil ein Exerzitienhaus aufbaute. Während des Zweiten Weltkrieges schlossen sich ihm zwei Pfarrer aus Marseille an, Pfarrer Barielle und Pfarrer Rivière. Insbesondere Barielle wurde einer seiner engsten Mitarbeiter. Da nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch diese kleine Gemeinschaft von den Irrungen und Wirrungen erfasst wurde, klopfte Pater Barielle 1971 in Ecône an die Tür und stellte sich Erzbischof Lefebvre zur Verfügung. Er wurde zum ersten Spiritual von Ecône, hielt uns Seminaristen geistliche Vorträge, predigte uns Exerzitien und führte uns vor allem in das Predigen von Exerzitien ein. So bildete er bis zu seinem Tod am 1. März 1983 eine Seminaristengeneration nach der anderen zum Exerzitienpredigen heran. Gottes Wege sind wirklich wunderbar!
Nun gibt es Ignatianische Exerzitien, Marianische Exerzitien, Eheexerzitien – was sind die Unterschiede und woher weiß man, welche die richtigen für einen sind?
Die Ignatianischen Exerzitien sind nichts anderes als das systematisch dargelegte Evangelium. Darum sind sie für jedermann richtig, insbesondere für die Männer. Papst Pius XI. schrieb ihnen unter den verschiedenen Exerzitien-Methoden in der Enzyklika Mens nostra den ersten Platz zu. Alle anderen sog. thematischen Exerzitien bauen auf den Ignatianischen Exerzitien auf.
Wie laufen die Exerzitien ab, was muss man mitbringen und wer sollte daran teilnehmen bzw. nicht teilnehmen?
Die Exerzitien, wie wir sie meist für Laien anbieten, dauern normalerweise fünf oder sechs Tage und werden in vollkommener Stille abgehalten, wobei man bei den Exerzitienpredigern immer um Erklärungen, Rat und Richtungsweisungen nachsuchen darf. Sie sind aufgeteilt in vier „Wochen“ genannte Abschnitte: Zunächst geht es darum, in der Betrachtung der Sünde, ihrer Strafe, des Todes, des Gerichtes sowie der Ewigkeit den Schutt des vergangenen Lebens wegzuräumen; dann wird das Leben Christi als Ideal für ein christliches Leben betrachtet und erfasst, es geht um sein Leiden und schließlich um seine Herrlichkeit als Aussicht für jedes wahrhaft christliche Leben.
Jeder erwachsene Mensch sollte daran teilnehmen, auch Andersgläubige sind herzlich eingeladen. Abraten würden wir lediglich Menschen mit einer angeschlagenen Psyche, da sie Schwierigkeiten haben, diesen geschlossenen Rahmen fünf Tage lang durchzustehen. Mitzubringen ist vor allem Hunger und Durst nach Gott und ein offenes Herz.
Was gibt es Ihnen als Priester, Exerzitien zu predigen?
Beim Predigen von Exerzitien sehe ich mir immer wieder selbst den Spiegel vorgehalten im Hinblick auf das Ziel des eigenen Lebens, mache mir Gedanken über die Ernsthaftigkeit des christlichen Strebens und das Ringen vieler Seelen im Hinblick auf ihr ewiges Heil. Beschämende Selbsterkenntnis und Freude, Menschen auf den Weg Gottes geführt zu haben, schenken Erfüllung und neuen Schwung zur Selbstheiligung.