Erzbischof Marcel Lefebvre: Zwei unzertrennliche Aspekte des geistlichen Kampfes
Sie dürfen nie vergessen, dass es im christlichen Leben immer zwei grundlegende Aspekte gibt: den Aspekt der Buße, des Abscheus vor der Sünde, der Abwendung von der Sünde, und den des Verlangens nach Gott, der Liebe zu Gott.
1. Der Kampf gegen den Hauptfehler
Die Opfer beziehen sich nicht notwendig und einzig auf die Nahrung. Sie können als Gegenstand auch unsere schlechten Gewohnheiten haben, allen voran unsere Fehler, unsere sündhaften Neigungen, unsere Neigungen zur Sünde. Denken Sie über das nach, was man oft den Hauptfehler nennt, das heißt den, den wir am meisten zu begehen versucht sind, sei es der Mangel an Demut, der Mangel an brüderlicher Liebe, was weiß ich? Nun – es soll ein bestimmter Fehler sein, auf den sich Ihre Anstrengung bezieht. So kommt man allmählich dazu, sich bezüglich seiner verkehrten Neigungen zu bessern.[1]
Aber es hieße, bei einer sehr elementaren Spiritualität stehen zu bleiben, wenn man es bei einer Methode der Gewissenserforschung bewenden ließe, die einfach darin besteht, kleine Notizen über unsere Fehler aufzuschreiben, ohne dafür Sorge zu tragen, in unseren Seelen die Liebe zu Gott, zu unserem Herrn Jesus Christus zu wecken und zu begreifen, wie sehr diese Sünden, diese Fehler, diese Schwächen unseren Herrn schmerzen, ihm zuwider sind, ihn aus unseren Seelen vertreiben. Von diesem Ausgangspunkt her nimmt eine Büßerseele den Kampf gegen die Sünde in sich auf, um sich mehr mit unserem Herrn zu verbinden, ihm näher zu sein, ihm nicht zu missfallen.[2]
2. Die Bekehrung durch die Liebe
Je mehr wir Bewusstsein von der Liebe des lieben Gottes zu uns haben, desto mehr werden wir den Wunsch haben, ihn zu lieben. Und folglich werden wir (denke ich), wenn wir ihn sehr lieben, aufgrund dieser bloßen Tatsache instinktiv der Sünde mit Zurückweisung begegnen, weil die Sünde genau das Gegenteil der Gottesliebe ist, sie ist der Ungehorsam gegen Gott, sie ist die Entfernung von Gott, sie ist die Trennung von ihm.[3]
Demnach suchen wir nicht den Kampf gegen die Sünde um des Kampfes gegen die Sünde willen. Wir suchen die Buße, um zur wahren Liebe zu Gott und zum Nächsten zu gelangen. Das Ziel ist die Liebe, ist die Vereinigung mit Gott, ist die Vereinigung mit unserem Herrn.[4]
Die Buße wird von Gott und von der Kirche gefordert, um uns dahin zu bringen, die Liebe zu üben, um alles in uns zu zerstören, was es da an Egoismus, an Stolz gibt, alles, was es da an Lastern gibt und was unser Herz gewissermaßen einengt und es in einen kleinen Elfenbeinturm einschließt. Dadurch, dass wir diese Tugenden üben, streben wir danach, dort unsere Liebe zur Entfaltung zu bringen, unsere Liebe zu Gott und unsere Liebe zum Nächsten.[5]
Von den ersten Zeilen des Vorwortes zu seiner Regel an stellt der heilige Benedikt, indem er sich an die Seele wendet, dieser das Mönchsleben als eine Rückkehr zu Gott vor.[6] Sie kennen den Grund dafür, nämlich dass die Sünde uns von unserer Geburt an Gott entfremdet hat. „Ihr wart fern“ (Eph 2, 13), sagt der heilige Paulus. Durch die Sünde wendet sich die Seele von Gott ab. Wenn wir darum Gott aufrichtig suchen wollen, müssen wir mit jeglicher ungeordneten Anhänglichkeit an das Geschöpfliche brechen, um uns Gott vollständig zuzuwenden. Das ist es, was der heilige Benedikt Bekehrung zu Gott nennt. Das ist das Los aller Christen. Je nach dem Maß, in dem wir wirklich Hass gegen die Sünde hegen und Liebe zu Gott, kann man uns (würde ich sagen) beurteilen in Bezug auf die Heiligkeit, in Bezug auf die Vollkommenheit.[7]
Wir müssen uns selbst absterben, um das Leben zu finden. Eben das ist das geistliche Leben. Das ist unsere Rechtfertigung. Die Heiligkeit ist nichts anderes. Oh, sie ist sehr einfach. Sie lässt sich zusammenfassen in zwei Bewegungen unserer Seele: Der Sünde sterben, um für Gott zu leben. Eben das bewirkt das Kreuz. Nichts anderes. Es ist die ganze Erklärung für unser geistliches Leben, für unser inneres Leben.
Wir müssen die Sünde in uns verfolgen und uns folglich hinopfern, uns selbst sterben, unsere schlechten Neigungen, unsere Wünsche, Gott nicht zu gehorchen, zum Sterben bringen, um in Gott zu leben. „Frei geworden von der Sünde, sollt ihr Diener der Heiligkeit sein“ (Röm 6, 18), Sklaven der Heiligkeit, sagt der heilige Paulus.[8]
Und wie es der heilige Thomas so gut sagt, sind die beiden Aspekte des christlichen Lebens in demselben Akt, im Akt der Liebe, enthalten.[9] Denn wenn man Gott liebt, verabscheut man alles, was von ihm entfernt. Die Sünde aber entfernt uns von Gott. Infolgedessen müssen wir durch den Akt der Liebe, die wir zu Gott und zu unserem Herrn haben, zugleich unsere Sünden verabscheuen und den lieben, welcher der Urheber unseres Seins ist und der Gnade, die in uns ist.[10]
Anmerkungen
[1] Geistlicher Vortrag, Ecône, 1. März 1977.
[2] Priesterexerzitien, Ecône, 3. September 1986.
[3] Osterexerzitien, Ecône, 25. März 1975.
[4] Geistlicher Vortrag, Ecône, 22. November 1977.
[5] Geistlicher Vortrag, Ecône, 13. Februar 1981.
[6] „Höre, mein Sohn, auf die Lehren des Meisters […]. So wirst du durch die Mühe des Gehorsams zu dem zurückkehren, von dem du dich in der Trägheit des Ungehorsams entfernt hast.“
[7] Geistlicher Vortrag, Ecône, 22. November 1977.
[8] Predigt, Ecône, 14. September 1975.
[9] Summa theologiae, III, q. 85, a. 2, ad 1.
[10] Predigt, Ecône, 7. Januar 1973.