Erzbischof Marcel Lefebvre: Die Schönheiten des Himmels

Quelle: Distrikt Deutschland

Wenn wir uns eine Vorstellung von dem machen wollen, was die Auserwählten im Himmel schauen und verstehen können, von dem, was ihre Freude ist und ihr Entzücken, in dem sie sich befinden, scheint mir, dass wir uns auch auf das Evangelium stützen müssen.

Erinnern Sie sich an die Begebenheit der Verklärung unseres Herrn! Die Apostel sind wie zu Boden geworfen durch den Glanz, den unser Herr ihren Augen enthüllt – Glanz, schöner als die Sonne, sagen sie. Vor seiner Passion, vor der Prüfung, welche die Apostel durchmachen sollten, wollte unser Herr ihnen zeigen, was er in Wirklichkeit war. Unser Herr hätte nämlich gewohnheitsmäßig diesen Glanz und dieses Licht haben müssen, angesichts der Tatsache, dass er die beseligende Schau besaß, dass er im Himmel war, und sogar, dass er der Himmel ist.

Wir wissen ebenfalls, dass unser Herr bei seiner Auferstehung durch seinen Glanz, durch sein Licht die Wächter zu Boden geworfen hat, geblendet und gänzlich verblüfft über dieses Licht, das aus seinem Grab hervorbrach (nach Mt 28, 4). So legt sich uns der Gedanke nahe, dass alles da oben Licht ist, alles Größe ist, alles Glanz ist.[1]

Die Gottesschau

Die wahre Seligkeit [fährt der Katechismus des Konzils von Trient fort], jene, die man wesentlich nennen kann, besteht darin, dass wir Gott schauen und die Schönheit dessen genießen, welcher aller Güte und Vollkommenheit Quelle und Anfang ist.[2] ‚Das ist das ewige Leben, spricht unser Herr Jesus Christus, dass sie Dich erkennen, den allein wahren Gott, und den Du gesandt hast, Jesus Christus. (Joh 17, 3). […] Die Seligkeit besteht in zwei Stücken, einerseits, dass wir Gott schauen werden, wie er in seiner Natur und Wesenheit ist, andererseits, dass wir gleichsam zu Göttern werden.[3]

Natürlich werden wir nicht Götter sein, das versteht sich von selbst. Diese unsere Umgestaltung wird sich im Himmel durch das Licht der Glorie vollziehen. Das Licht der Glorie, das eine Teilhabe am Licht der Herrlichkeit des lieben Gottes ist, wird uns in einem gewissen Maß Gott erkennen lassen, wie er wirklich ist. Wir werden Gott unmittelbar schauen, aber wir werden natürlich nicht sein ganzes Innenleben erkennen, sonst müssten wir Gott selbst sein.[4] In Wirklichkeit erkennen nur das Wort, nur die drei Personen der Dreifaltigkeit sich vollkommen, weil sie Gott sind. Das ist also etwas Außerordentliches![5]

Die beseligende Gottesschau ist etwas, wovon wir keine Vorstellung haben, was aber unendlich alles überragt, was wir uns vorstellen können. Der Liebe Gott nimmt uns gewissermaßen in sich hinein. Die Heilige Dreifaltigkeit zieht uns in ihre Familie hinein, um das Schauspiel der Liebe Gottes zu schauen und sich ihrer im Inneren der Dreifaltigkeit selbst zu erfreuen.[6]

Lesen Sie in der Geheimen Offenbarung die Definition des Himmels, wie sie der heilige Johannes gibt: „Einen Tempel sah ich nicht [im Himmel], denn Gott, der Allmächtige, ist sein Tempel“ (Offb 21, 22). Gott selbst ist das Glück der Auserwählten, in Gott selbst wohnen die Auserwählten. Wenn also Jesus Christus Gott ist, dann werden wir in der Ewigkeit in ihm wohnen. Denn als Gott ist er unser Ziel, unser Paradies.[7]

Nicht ein Bild oder eine Vorstellung von Gott wird unser Verstand schauen, sondern Gott selbst, ohne jegliche Vermittlung. Gott – in höchstem Maß erkennbar – wird selbst zum unmittelbaren Gegenstand, zur Form unseres Verstandes. Wir werden ihn also wahrlich so erkennen, wie er ist. Darum ist es auf Erden unmöglich, uns vorzustellen, wie diese Schau einmal sein wird, die unsere Seele mit einer unauslöschlichen Liebe zu Jesus und der Heiligen Dreifaltigkeit entzünden wird. […]

Was wir in Gott schauen werden, wird an Schönheit, an Güte, an Glanz alles übertreffen, was wir uns vorstellen können. Wir werden die triumphierende Kirche bewundern, und vor allem unseren Herrn mit allen seinen königlichen und göttlichen Vorrechten, Maria, die Königin des Himmels, geschmückt mit all ihren Gaben, die Myriaden von Erzengeln und Engeln, und alle Auserwählten, mit ihrer je verschiedenen Herrlichkeit, die nach dem Maß ihrer Liebe bemessen sein wird. Gott wird wirklich alles in allen sein, geehrt und angebetet, wie es sich gebührt, ohne Misston (1 Kor 15, 28). Im Licht des unendlichen Seins der Heiligen Dreifaltigkeit, ihrer Vollkommenheiten, werden unsere Seelen mit Dankbarkeit erfüllt werden für alles, was Gott zu unserem Heil auf sich nehmen wollte, und wir werden beschämt sein angesichts der Barmherzigkeit, die Gott uns erwiesen hat.

Die Überlieferung lehrt uns, dass die Jungfrauen, die Martyrer und die Kirchenlehrer besondere Aureolen* haben werden, die ihre Herrlichkeit vermehren werden.[8]

 

Anmerkungen

[1] Predigt, Ecône, 1. November 1976.

[2] Summa theologiae, I-II, q. 3, a. 4.

[3] Katechismus des Konzils von Trient, Kirchen/Sieg 1993, Erster Teil, Dreizehntes Hauptstück, 7., S. 102.

[4] Summa theologiae, Suppl., q. 92, a. 1, ad 2: „Wir werden in dieser Schau dasselbe sehen, was Gott sieht, nämlich seine Wesenheit, aber nicht so durchdringend (efficaciter).“

[5] Exerzitien, Morgon, Oktober 1988.

[6] Exerzitien für die Schwestern der Bruderschaft, Saint-Michel-en-Brenne, Weißer Sonntag 1989, 3. Vortrag.

[7] Geistlicher Vortrag, Ecône, 20. Januar 1977.

[8] Geistlicher Wegweiser, S. 875 f. (S. 85 f.).