Erzbischof Marcel Lefebvre: Die Marienfrömmigkeit
Ihre Notwendigkeit
Die Andacht zur allerseligsten Jungfrau Maria ist nicht eine Andacht, wie man sie zu einem anderen Heiligen oder zu einer anderen Heiligen haben kann. Es ist eine notwendige Andacht, weil der liebe Gott es so gewollt hat. Er hätte in diese Welt kommen können, ohne den Weg über Maria zu nehmen. Er hätte ein anderes Mittel finden können, aber er hat dieses Mittel gewählt.[*]
Er hat die allerseligste Jungfrau erwählt, seine Mutter zu sein – und eben dadurch unsere Mutter, weil sie Mutter Jesu ist und Mutter aller Glieder des mystischen Leibs Jesu. Ein Kind, das seine Mutter zurückweist und das sagt: „Ich brauche meine Mutter nicht“, ist ein Renegat, ist ein Kind, das der Natur zuwiderhandelt. Die Andacht zur allerseligsten Jungfrau ist also nicht fakultativ, sie ist für unsere Heiligung völlig unerlässlich.[1]
Wir müssen dem lieben Gott unendlich dankbar sein, uns eine Mutter gegeben zu haben. Die allerseligste Jungfrau Maria ist eine Mutter, die sich um uns und um die Kirche sorgt und die ihr in ihren Wechselfällen folgt. Wir sehen es wohl. Was für eine Liebe hat doch die allerseligste Jungfrau zur Kirche und zu uns!
Wie sollten wir also nicht eine über alle Maßen große Andacht zu ihr haben? Deshalb – seien wir glücklich, diese Mutter im Himmel zu haben, durch die wir alle Gnaden empfangen.[2]
Wahre und falsche Frömmigkeit
Die allerseligste Jungfrau Maria kann durchaus in ihrer Güte kommen, um uns auf dem Weg zum Himmel zu ermutigen, wie sie es in Lourdes, in Fatima, in La Salette und bei zahlreichen anderen Erscheinungen getan hat. Die allerseligste Jungfrau hat sich [sehr großzügig] gezeigt, indem sie [oft] gekommen ist, um uns zu ermutigen. Aber was hat sie gesagt? Sehr einfache Dinge. Sie hat wiederholt, was unser Herr gesagt hat. Man muss Buße tun, man muss beten, man muss dem lieben Gott gehorchen, man muss mit Andacht kommunizieren. Sie hat nur wiederholt, was unser Herr gesagt hatte. Selbstverständlich – aus dem Mund Unserer Lieben Frau sind es Ermutigungen, das ist sicher, und wir haben es nötig. Die allerseligste Jungfrau kennt unsere Schwäche und das Elend der Welt. Darum ist sie gekommen, [uns zu besuchen], so [oft] wie möglich, um die Seelen zu retten. Und dank dieser Erscheinungen haben viele Seelen den Glauben wiedergefunden. Durch die Wunder von Lourdes, zum Beispiel, haben viele Seelen den Glauben wiedergefunden.
Aber man muss vermeiden, sich in kritischen Zeiten wie denen, die wir heute erleben, von den Berichten über Erscheinungen oder Botschaften anziehen zu lassen. Man soll nicht in kleinen Zeitschriften nach Aussagen von Menschen suchen, die angeblich eine Botschaft der allerseligsten Jungfrau empfangen haben, die dies oder jenes gesagt hätte. Gewisse Menschen nähren davon ihre Spiritualität so sehr, dass sie den Eindruck hätten, kein geistliches Leben mehr haben zu können, wenn sie nicht ständig durch derartige Dinge neuen Auftrieb gewinnen würden.
Wir müssen folglich aufpassen, dass wir uns nicht von solcher religiösen Gefühlsduselei mitreißen lassen. Wir dürfen unsere Religion nicht auf dem Gefühl aufbauen, sondern auf Grundsätzen der Spiritualität, die nicht von uns kommen. Wenn man diese objektiven Grundsätze hat, bleibt man Gott im Unglück treu. Leider beurteilen wir unsere Spiritualität allzu oft nach unserem Gefühl. Aber das Gebet gehört nicht in erster Linie der Gefühlsordnung an. Das Gebet gehört der geistigen Ordnung an. Dass der liebe Gott uns einige fühlbare Befriedigungen im Gebet gewährt, das ist seine Sache. Er tut es, um uns zu ermutigen. Aber das Gebet besteht in der Erhebung unserer Seele zu Gott – und nicht unserer Augen, nicht unserer Arme … Die Frömmigkeit darf nicht vom Rhythmus des Herzschlags abhängen, sonst ist man unglücklich, sobald man den Eifer nicht mehr spürt. Man weiß sich nicht zu helfen, man beklagt sich, man hat bald den Glauben verloren, man hat bald alles verloren.
Folglich bedürfen wir heute mehr denn je einer Frömmigkeit, die auf soliden Grundlagen beruht, so wie unser Herr sie uns gegeben hat und sie uns durch seine Heiligen gezeigt hat.[3]
Worin besteht die wahre Andacht?
Der selige Grignion von Montfort rät als Mittel, die göttliche Weisheit zu erwerben, „eine zärtliche und aufrichtige Andacht zu Maria“[4] an. Die wahre Andacht ist zart, weil die allerseligste Jungfrau Maria unsere geistliche Mutter ist und eine kindliche Beziehung zu einer Mutter immer zärtlich ist, das heißt feinfühlig, zuvorkommend, liebevoll. Aber sie wird nur aufrichtig sein, wenn sie auf sicheren Grundsätzen beruht und nicht auf der Einbildung, auf evidenten Feststellungen und nicht auf Hypothesen oder Gefühlen.[5]
Anmerkungen:
[*] Predigt, Ecône, 15. Januar 1987.
[1] Exerzitien für die Schwestern der Bruderschaft, Saint-Michel-en-Brenne, 27. September 1984, 12. Vortrag.
[2] Predigt, Ecône, 15. Januar 1987.
[3] Exerzitien für die Schwestern der Bruderschaft, Saint-Michel-en-Brenne, Weißer Sonntag 1989, 8. Vortrag.
[4] Die Liebe zur Ewigen Weisheit, Feldkirch, o. J., Nr. 203, S. 126.
[5] Exerzitien für die Schwestern der Bruderschaft, Saint-Michel-en-Brenne, 27. September 1984, 12. Vortrag.