Erzbischof Marcel Lefebvre „Ihr müsst das Kreuzesopfer lieben!“
Aus der Wallfahrts-Predigt vom 8. September 1975 in Mariazell
Den Menschen droht heute immer mehr, dass sie das Gefühl für die Pflicht der Anbetung verlieren. Wir schulden Unserem Herrn Jesus Christus Anbetung. Dieser unserer Pflicht wollen wir heute während dieser Gebetsstunde, während dieser Anbetungsstunde nachkommen.
. Zu wem allem wollen wir beten? Wir wollen zur allerseligsten Jungfrau Maria beten hier an diesem Wallfahrtsort Mariazell, dem altösterreichischen Nationalheiligtum, das Sie so sehr lieben, das das Herz Österreichs ist, an diesem Wallfahrtsort, wo vor kurzem der hochverehrte Kardinal Mindszenty beerdigt wurde. Er, der für uns alle ein Vorbild des Glaubens war, ein Mann, der sich allen Feinden der Kirche und allen jenen mutig entgegenstellte, die diesen Glauben, das Unterpfand des ewigen Lebens, ohne den ein katholischer Christ nicht leben kann, aus unseren Herzen reißen wollen. Wir bitten also auch durch die Fürsprache des Kardinals Mindszenty die allerseligste Jungfrau Maria, heute den Glauben in unseren Herzen, in unseren Seelen zu vermehren, damit wir uns wahrhaft zu denen zählen dürfen, die unerschütterlich zum Credo der katholischen Kirche und zum katholischen Priestertum stehen.
Die allerseligste Jungfrau Maria ist zunächst und vor allem die Mutter des ewigen Hohepriesters. Unser Herr Jesus Christus war wesentlich Priester von Ewigkeit, Priester nach der Ordnung des Melchisedech. Das ganze Leben unseres Heilandes Jesus Christus, der einzige Grund, warum Er in unser menschliches Dasein eingetreten ist, galt der Darbringung des Kreuzesopfers. Jesus ist gekommen, um Sich am Kreuz zu opfern. Das war der Sinn und das Ziel des Lebens Unseres Heilandes Jesus Christus. Das ganze Leben Unseres Herrn war getragen vom Verlangen, gekreuzigt zu werden. Wie oft hat Unser Herr gesagt: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“, „Meine Stunde ist genaht“, „Meine Stunde ist gekommen“. Warum? Weil die Stunde Unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus die Stunde Seines Opfers ist. Als Er gekreuzigt wurde und Sein Kreuzesopfer darbrachte, hat Er selbst gesagt: „Es ist vollbracht – consummatum est.“ Ich habe Mein Werk vollbracht. Ich habe Mein Verlangen gestillt. Ich habe den Auftrag erfüllt, um dessentwillen Ich in die Welt gekommen bin. Und dieser Auftrag war: Gott Mein Opfer darzubringen für die Sünden der Welt. Dazu ist Unser Herr und Heiland gekommen, und das lehrt uns auch die allerseligste Jungfrau Maria. Denn die allerseligste Jungfrau Maria ist nur das Spiegelbild Unseres Herrn Jesus Christus. In ihr Herz war kein anderer Name eingegraben als der Name Jesu, und zwar der Name Jesu des Gekreuzigten. Die allerseligste Jungfrau Maria hat Jesus überallhin begleitet, sie war ständig an Seiner Seite, sie begleitete Ihn bis zum Opfer am Kreuz. Sie stand unter dem Kreuz. Sie wollte uns damit gleichsam darüber belehren, welches ihre wichtigste Aufgabe war. Ihre wichtigste Aufgabe war, Unseren Herrn nach Kalvaria zu begleiten, Ihm beim Kreuzesopfer zur Seite zu stehen.
Das will sie uns auch heute in besonderer Weise ans Herz legen, das war immer schon ihr großes Anliegen: Ihr müsst das Kreuzesopfer lieben, ihr müsst im Herrn und Heiland Jesus Christus den gekreuzigten Herrn und Heiland Jesus Christus sehen. Daher müssen auch wir das gleiche Verlangen haben wie Maria, das Verlangen, am Kreuzesopfer Unseres Herrn teilzunehmen, uns mit dem Kreuzesopfer zu vereinigen, damit wir wahrhaft zu Christen werden, die sich zusammen mit Unserem Herrn opfern, die sich innig mit Ihm als ein und dieselbe Opfergabe in Seinem Opfer vereinigen. Darin besteht der wahre Christ. Darin besteht der wahre Katholik. Es scheint mir, als wolle die allerseligste Jungfrau Maria, die in der Nähe des Kreuzes steht, Unsere Liebe Frau vom Mitleiden, Maria die Miterlöserin, jeden einzelnen von uns, jedes menschliche Wesen, das in diese Welt eintritt, einladen und gleichsam bei der Hand nehmen, um uns alle unter das Kreuz zu führen, um uns alle an den Verdiensten Unseres Herrn Jesus Christus teilnehmen zu lassen.
Wie aber wird sie uns an den Verdiensten ihres göttlichen Sohnes zur Vergebung unserer Sünden teilnehmen lassen? Durch die Priester. Unser Herr wollte, dass wir an Seinem Kreuzesopfer teilnehmen, dass wir Seiner Verdienste teilhaftig werden, dass unsere Seele durch Sein Opfer von unseren Sünden reingewaschen wird, das durch die Priester fortgesetzt wird, nachdem Er ihnen beim letzten Abendmahl gesagt hat: „Dieses tuet“ – tuet! – „zu Meinem Gedächtnisse“ – „hoc facite in meam commemorationem“. Unser Herr hat nicht gesagt: Erzählt den Bericht von Meinem Mahl, erinnert euch an Mein Opfer. Er hat vielmehr gesagt: facite – tut, vollbringt dieses Opfer, erneuert dieses Opfer, setzt dieses Opfer fort. „Hoc facite in meam commemorationem“ (1 Kor 11, 24).
Hierin liegt der ganze Unterschied zwischen der katholischen Lehre, wie sie uns immer gelehrt worden ist, und der protestantischen Lehre. Die Protestanten vergessen und wollen nicht anerkennen, dass Unser Herr gesagt hat: „hoc facite – dieses tuet“ zu Meinem Gedächtnisse. Sie sagen einfach: „in meam commemorationem“, erinnert euch an Mich. Und das behaupten eben jene, die das Opfer Unseres Herrn Jesus Christus nicht fortsetzen wollen.