Erzbischof Marcel Lefebvre - Der Mythos des Änderns

Quelle: Distrikt Deutschland

Aus einem Vortrag am 10. November 1979 in Berlin

Nun können wir uns fragen: Wie ist es möglich, dass die Bischöfe, die Priester diese Reformen akzeptieren und durchführen konnten? Wie und in welchem Geist haben sie diese Reformen durchgeführt, die die Kirche zerstören? Wir müssen uns da, glaube ich, in die Zeit vor dem Konzil zurückversetzen. Was war damals die Situation der Kirche?

Man muss zugeben, dass damals in vielen Pfarren die Gläubigen weniger zahlreich waren, der Glaube weniger lebendig war. Die Berufungen in den Seminaren gingen schon vor dem Konzil zurück. Die Kirchen verödeten durch all diese von der Kirche selbst organisierten Bewegungen der Jugend, die in mühelosen Transporten mit den Verkehrsmitteln am Sonntag Ausflüge machten, um fern von der Pfarre eine Messe zu haben. 

Die Jugend ging also fort, verließ die Pfarre, um eine Wallfahrt zu machen, um eine Messe im Wald oder im Gebirge zu feiern. Man hat die Pfarren desorganisiert. Die Priester und die Bischöfe wurden unruhig. Schon damals erschienen Bücher wie zum Beispiel „Frankreich – ein Missionsland” [„La France pays de mission?” H. Godin et Y. Daniel, Edition de l' Abeille, Paris 1943]. 

Man sagte, Frankreich sei wieder ein Missionsland geworden, weil man fühlte, dass der Glaube entschwindet. Ich denke, man konnte dasselbe mehr oder weniger von allen Ländern sagen. Und eben zu dieser Zeit gab es einen schwerwiegenden Irrtum, der von der katholischen und selbstverständlich von der nichtkatholischen Presse in den Seminaren, ich möchte sagen, verbreitet, in Umlauf gesetzt wurde: „Die Kirche ist nicht auf der Höhe der Zeit. Die Kirche ist noch mittelalterlich. 

Die Kirche bleibt bei Traditionen, die die Menschen unserer Zeit nicht mehr interessieren. Die Kirche ist rückständig. Sie wusste sich nicht den Menschen anzupassen und es ist der Fehler der Kirche, wenn die Menschen heute nicht mehr in die Kirche gehen oder wenn der Glaube in der Kirche abnimmt. Wenn die Berufungen abnehmen, ist das der Fehler der Kirche. Das zwingt zu dem Schluss“, sagten diese falschen Theologen, diese falschen Propheten, „man muss ändern! Man muss die Kirche umstrukturieren. Man muss die Kirche auf die Welt umschulen. Die Kirche muss sich der Welt gleichstellen. Die Kirche muss sich für die Welt verständlich machen. Die Kirche muss sich der Welt öffnen, dann wird die Kirche einen neuen Weg einschlagen, dann wird sie die Menschen bekehren.” 

Aber man hat nichts dagegen gemacht. Diese Welle wurde ganz bewusst erzeugt, denn diese Schlagworte sind von den Freimaurerlogen ausgegangen. Wir haben die Texte dieser Freimaurerkonvente, in denen sie sagen: „Man muss diese Ideen verbreiten.” Diese Ideen sind also von den Logen ausgegangen. Und leider haben Geistliche, haben Theologen, falsche Theologen, diese Ideen aufgegriffen und überall verbreitet. Und dann hat man gesagt: „Schauen Sie, auch der Papst ist damit einverstanden. Man muss ändern! Man muss die Kirche in Ordnung bringen. Man muss alles ändern.” 

Und so ist die Welle ausgebrochen, die alles, was die Kirche an Überlieferung besaß, was die Kirche an Stützen besaß, vollkommen zerstört hat. Das Konzil ist ein Konzil des Änderns gewesen. Das lag in der Luft, in der Luft des Konzils. Selbst die Bischöfe haben sich von dieser Fata Morgana betören lassen, von diesem Mythos des Änderns. „Man muss ändern!” „Was, was?” „Man muss die Liturgie ändern, die religiösen Gemeinschaften, das Priestertum, die Seminare, die Ordenskleider, den Katholizismus!” Und dann machten sie sich an die Zerstörung der Kirche.

Wenn Sie, wie ich selbst es getan habe, an den Sitzungen des Konzils hätten teilnehmen können, hätten Sie gesehen, dass die öffentliche Meinung in dieser Versammlung einen beträchtlichen Einfluss hatte. Die Bischöfe waren wie die Abgeordneten einer Parlamentsversammlung. Wenn sich ein Bischof erhob und sagte: „Nein, man muss die Überlieferung bewahren, man muss die Stützen unseres Glaubens, die Grundfesten unseres Glaubens bewahren”, wurde er sofort lächerlich gemacht. Er wurde rückständig, mittelalterlich, reaktionär genannt. 

Das Gegenteil geschah, wenn einer sagte: „Man muss ändern, wir müssen uns anpassen. Die Protestanten haben es begriffen und schon zu ihrer Zeit durchgeführt. Wir müssen den modernen Menschen verstehen. Der moderne Mensch von heute ist nicht mehr dies, nicht mehr jenes. Man muss den modernen Menschen verstehen. Er ist ein Mensch, der die Erfordernisse der Zeit begriffen hat.” 

Das waren die Leute, die eine Atmosphäre in einer Versammlung schufen, in die viele Bischöfe geraten waren, ohne auch nur daran gedacht zu haben, dass sie sich solchen Problemen werden stellen müssen. Sie wagten nicht, rückständig zu erscheinen und sagten sich: „Nachdem das die Atmosphäre auf dem Konzil ist und der Papst Änderungen wünscht, machen wir halt Änderungen.” Und so kam es dazu, dass sich eine enorme Majorität von Bischöfen von dieser wahrhaft wahnsinnigen Strömung mitreißen ließ.